Drei Muskeltiere in der Cloud
Von Heidi Rohde, Frankfurt
Mit Sorge und zunehmender Hilflosigkeit blicken Politik und Wirtschaft in Europa auf die globalen Supermächte der Internet-Ökonomie, die auf einigen wenigen Riesenplattformen das Produkt- und Service-Angebot für Milliarden Menschen kontrollieren. Während die Schlacht um den Privatkunden offenbar geschlagen und für europäische Unternehmen verloren ist, ruht die Hoffnung auf dem Aufbau industrieller Cloud-Plattformen, bei denen sich mehr Vielfalt abzuzeichnen scheint, da hier Branchen- und Prozess-Know-how in Industriesektoren oder auch Regionen eine Rolle spielen.
Chance der Krise
Die vollautomatisierte und komplett vernetzte Fabrik wurde hierzulande bereits zum Nukleus von Internet-of-Things-(IoT-)Plattformen wie Siemens Mindsphere oder Bosch IO, mit der die beiden Unternehmen dem Internet der Dinge in der deutschen Wirtschaft auf die Sprünge helfen. Auch die unter mittelständischer Regie gegründeten Plattformen Adamos und Axoom zählen zu den Initiativen der frühen Stunde. Dabei haben insbesondere Siemens und Bosch mit ihren IoT-Plattformen durchaus globale Reichweite aufgebaut. So eignet sich Mindsphere für eine breite Palette an Unternehmens- und Geräteanwendungen und verbindet Systeme, Anlagen, Maschinen und Produkte. Die gelieferten Daten werden sicher übertragen und lassen sich umfangreichen Analysen unterziehen. Just hat der Siemens-Vorstand dabei die Chancen der Krise bzw. der konjunkturellen Erholung hervorgehoben, um das eigene Angebot für die Kunden auszuweiten, und will verstärkt investieren. Der gerade verkündete Zukauf des US-Elektronikmarktplatzbetreibers Supplyframe, der Entwickler und Hersteller von Elektronikkomponenten zusammenbringt, fügt sich in das Platform-as-a-Service-Modell von Mindsphere ein und erweitert die Wertschöpfung.
Indes müssen auch Plattformen wie Supplyframe oder Mindsphere auf eine globale Cloud-Infrastruktur zurückgreifen. Diese wird derzeit von großen Hyperscalern gestellt, bei denen sich ein US-Trio als marktbeherrschend herausgebildet hat. Weltmarktführer ist Amazon Web Services (AWS), dicht gefolgt von Microsoft Azure sowie Google Cloud, die einen dynamischen Aufholprozess gestartet hat. Selbst Konzerne wie Siemens kommen, sobald es um die globale Server-Infrastruktur in der Cloud geht, an ihre Grenzen.
Brutal hohe Investitionen
Patrick Vollmer, Geschäftsführer bei Accenture und zuständig für das lokale Industriegeschäft, betont, für nahezu jeden anderen als die „drei Muskeltiere“ im Cloud-Geschäft „sind die brutal hohen Investitionen, die hier nötig sind, gar nicht zu leisten“. Die Hyperscaler stemmen praktisch 2 Mrd. Dollar jeden Monat, um die Performance ihrer Plattformen zu gewährleisten und ihr Angebot etwa um Planungs- oder Supply-Chain-Lösungen für das IoT zu erweitern.
Unternehmen, die dem Trio die Stirn bieten könnten, sind in Europa nicht zu erkennen. Stattdessen reflektiert auch der Hosting-Markt inzwischen die beiden wirtschaftlichen Gravitationszentren Amerika und Asien. Mindsphere beispielsweise läuft auf AWS und auf Azure aber auch auf Alibaba Cloud. Der chinesische Gigant hat zwei – ebenfalls chinesische – Rivalen, die auch schnell expandieren: Tencent und Baidu.
Zu langer Anlauf
Plattform-Initiativen wie das mit viel Tamtam explizit als europäische Antwort auf die Hyerscaler angekündigte Projekt GaiaX, bei dem rund 200 Unternehmen den Antrag auf Aufnahme gestellt haben, brauchen aus der Sicht von Kritikern einen viel zu langen Anlauf. Das Ziel einer „leistungs- und wettbewerbsfähigen“ sowie „vertrauenswürdigen“ Dateninfrastruktur für Europa ist bisher über eine hehre Absichtserklärung noch nicht hinausgekommen. Klangvolle Namen, darunter hierzulande die Deutsche Telekom, SAP, Siemens aber auch BMW und Bosch haben ihre Unterstützung für das Projekt erklärt, Anwendungsentwicklungen gibt es indes erst vereinzelt.
Die Frontrunner kommen auch hier aus den USA. Der IT-Dienstleister HPE (Hewlett Packard Entreprise) stellt gerade ein Lösungspaket vor, „das Kunden in die Lage versetzt, über die GaiaX-Infrastruktur Daten und Dienste auszutauschen, um ihre digitale Wertschöpfung und Souveränität zu stärken“, wie das Unternehmen wissen lässt. Außerdem haben die Unternehmen, gegen die Europa im Wettbewerb antreten will, ebenfalls Aufnahmeanträge gestellt, namentlich AWS, Microsoft und Google. Darüber hinaus ist auch der chinesische Technologiekonzern Huawei, gegen den in zahlreichen Staaten Sicherheitsbedenken bestehen, bei GaiaX mit dabei. Ob eine Non-Profit-Organisation als Plattformbetreiber die richtige Wahl ist, um GaiaX mehr Dynamik zu geben, erscheint angesichts von Kapitalbedarf und Innovationsdynamik in diesem Geschäft mehr als fraglich.
Während das europäische Projekt also nur sehr langsam Gestalt annimmt, zeigt sich, dass große Konzerne hierzulande, vor allem die deutsche Automobilindustrie, deren geballter Bedarf an Cloud-Services das nötige Gewicht mitbringt, in der Infrastruktur eindeutig auf die US-Hyperscaler setzen. „Gerade für Global Player sind die Angebote der Hyperscaler in puncto Sicherheit, Skalierbarkeit und Performance – zu einem günstigen Preis – entscheidende Argumente, die kleinere Anbieter zunehmend ausstechen. Es gibt noch immer Fälle, in denen Argumente gegen das Verschieben von Daten in die Cloud zu hybriden Lösungen mit lokalen IT-Dienstleistern führen. Aber es werden zunehmend weniger“, so Vollmer.
Kommoditisierung
Dennoch ist auch die Position der Hyperscaler nicht endlos komfortabel. Denn der Infrastruktur-Plattform als solcher droht schnell die Kommoditisierung, während Anwendungsplattformen wie Mindsphere und andere gegen Wettbewerbs- und Preisdruck viel besser gefeit sind. IoT-Plattformen, die vielfach spezifisches Branchen- und Prozess-Know-how mitbringen, sind deshalb ein Markt, der wächst und dessen Anteile noch nicht verteilt sind, wie auch Gartner-Experte Alexander Höppe betont. Gerade in der Automobilindustrie bilden Konzerne wie VW eine „Nahrungskette“ angefangen beim Hyperscaler Azure, über die Siemens-Plattform Mindsphere bis hin zur Zusammenarbeit mit Systemintegratoren wie T-Systems.
Im „Trend zu Ökosystemen“ bauen indes die kapitalstarken Hyperscaler weiter Druck auf, indem sie ebenfalls versuchen, nicht mehr nur die Infrastrukturplattform, sondern auch Softwaresysteme (Software as a Platform) zu bieten und damit auch Anbieter wie SAP, die ihren Ansatz zu Branchenlösungen auf die Cloud überträgt, anzugreifen. Dennoch: Die Schlacht bei Industrieplattformen ist noch nicht geschlagen.