"Dress to impress"
Von Sabine Wadewitz, FrankfurtMit Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie und neuen Kodex-Vorgaben sind deutsche Konzerne gezwungen, ihre Vergütungssysteme für Vorstände anzupassen. Von 2021 an müssen die Unternehmen diese auf den Hauptversammlungen zur Abstimmung stellen. Das Say-on-Pay ist hierzulande anders als in anderen Ländern unverbindlich. Wenn die Aktionäre in größerer Zahl den Daumen senken, muss der Aufsichtsrat gleichwohl schnell reagieren. Viele Investoren erwarten eine Überarbeitung des Vergütungssystems, wenn die Schwelle von 80 % Zustimmung unterschritten wird. Das Vergütungssystem muss nach den neuen Regeln mindestens alle vier Jahre auf die Tagesordnung, der Vergütungsbericht jedes Jahr.Es gibt erste Erfahrungen mit der Umsetzung neuer Vergütungsregeln und deren Akzeptanz durch die Anleger. Einige Unternehmen aus der Dax-Familie sind vorangegangen und haben bereits 2020 angepasst und über die Saläre abstimmen lassen. Nach einer Aufstellung des Beratungsunternehmens Willis Towers Watson hat ein Viertel der Firmen aus dem Kreis ein Votum eingeholt – mit unterschiedlichem Resultat. “Es zeigt sich, dass nicht alles reibungslos von den Investoren abgesegnet wird”, fasst es Florian Frank zusammen, Leiter des Bereichs Talent & Rewards von Willis Towers Watson Deutschland und Österreich.Unter der kritischen Marke von 80 % Zustimmung blieben zum Beispiel Deutsche Börse und SAP, im MDax wurde bei Rheinmetall, Aroundtown, Grand City Properties, Commerzbank und LEG Immobilien die Gelbe Karte gezückt (siehe Tabelle). Bei Deutz goutierten gerade mal 21,23 % die Vergütung.Es ist nicht immer die Höhe der Managergehälter, die bei den Investoren auf Kritik stößt. “Kernthemen sind die mangelnde und meist nicht transparent genug dargestellte Pay-for-Performance-Ausrichtung”, sagt Frank. Es muss erkennbar werden, ob und wie das Gehalt mit der Leistung korreliert. In vielen Fällen könnten Bedenken der Investoren durch bessere Transparenz und Argumentation ausgebügelt werden.”Die Regulatorik macht die Vergütungssysteme nicht einfacher, aber sie müssen trotzdem transparent dargestellt werden”, fasst es Stephanie Schmelter, Vergütungsexpertin im Bereich Executive Compensation von Willis Towers Watson, zusammen. Eine namhafte Zahl von Unternehmen im Dax und vor allem im MDax habe bislang nicht offengelegt, inwieweit der Vorstand die für ihn gesteckten Ziele erreicht hat. Von 2022 an müsse nun ex post in den Vergütungsberichten dargelegt werden, wie es zur Höhe der ausgezahlten Beträge gekommen ist. Die Berater appellieren an die Unternehmen, den Vergütungsbericht und die Einladung zur Hauptversammlung nicht als lästiges Übel zu betrachten, sondern als Chance, die Anleger zu beeindrucken – “dress to impress”, empfiehlt Frank.Die Ansprüche der Investoren an die Vergütungssysteme steigen. Sie entwickeln ihre Guidelines mit Blick auf die Aktionärsrechterichtlinie weiter. “Es kommen aber auch neue Trends herein, die über die bestehende Regulierung hinausgehen”, sagt Frank. Für Unternehmen werde es deshalb immer wichtiger, sich mit den Vorstellungen ihrer Investoren auseinanderzusetzen und auf sie zuzugehen: “Was genau erwarten meine Investoren, wie haben meine Investoren sich bislang zu Themen positioniert, wie kann ich die Zielsetzung des Vergütungssystems transparent darstellen und begründen, wie gehe ich mit negativem Feedback um, und an welchen Stellen lohnt es sich zu kämpfen?”Es sei angeraten, sich für diesen Dialog Zeit zu nehmen, “die Macht der Investoren nimmt zu”, warnt Frank. Und deren Guidelines und Abstimmungsrichtlinien seien im Detail nicht einheitlich. Es zeigten sich bei institutionellen Anlegern enorme Unterschiede in der Häufigkeit von Gegenstimmen. Mancher habe sehr detaillierte Leitlinien für die Governance von Unternehmen, drücke in der Hauptversammlung aber weniger häufig auf den roten Knopf als andere, die strikt entlang ihrer Guidelines abstimmten.Auch nach einem guten Abstimmungsergebnis sollten Unternehmen das Gespräch mit Investoren und Stimmrechtsberatern fortsetzen. Zu empfehlen sei eine kontinuierliche Kommunikation. Roadshows könnten den Auftakt machen, rät Schmelter. Aus Großbritannien gebe es gute Erfahrungen mit “Chairman-Statements”, in denen auf zwei Seiten im Remuneration Report die Vergütungs-Highlights dargelegt werden.Viel Verbesserungspotenzial gibt es nach Einschätzung von Frank in der Offenlegung. Erschwert wird Transparenz und Vergleichbarkeit der Vergütungssysteme dadurch, dass der regulatorische Rahmen bei einigen wesentlichen Komponenten noch nicht eindeutig sei. So gibt es noch keine Vergütungstabellen, die EU-weit Standard sind. Zudem haben die EU-Länder die Aktionärsrechterichtlinie mit Blick auf nationale Gepflogenheiten unterschiedlich umgesetzt. Die in Deutschland seit einigen Jahren über den Governance-Kodex verbreiteten Mustertabellen sind mit Blick auf die neuen EU-Normen gestrichen worden. “Von einheitlichen Maßstäben in Europa sind wir noch weit entfernt”, resümiert Frank. In kleinen Schritten voranBei den wichtigsten Änderungen, die mit der Neuregulierung der Vergütungssysteme zu beachten sind, verweist der Experte auf Pay-for-Performance, Langfristigkeit, Nachhaltigkeit, Aktienbesitzrichtlinie und Maximalvergütung. “Das ganz, ganz große Thema ist die Einarbeitung von ESG-Kriterien in die Vergütungssysteme, hier sehen wir momentan den größten Diskussionsbedarf”, so Frank. Es muss überlegt werden, was in den kurzfristigen und was in den langfristigen Bonus geht.Schaut man sich die bereits nach den neuen Regeln angepassten Vergütungssysteme an, lassen sich bestimmte Muster erkennen. “Die Unternehmen tasten sich heran, die Reaktionen sind noch überschaubar”, sagt Schmelter. Es würden in der Regel bislang keine komplett neuen Systeme entwickelt, es werde vielmehr an einzelnen Stellschrauben gedreht, zum Beispiel würden Performancekriterien überarbeitet. Nur vergleichsweise wenige Unternehmen aus Dax und MDax passen die Kalibrierung der Zielwerte an, schauen sich also die Auszahlungskurve an und die Mindestwerte, die zu erreichen sind, um einen bestimmten Betrag einzustreichen. “Die Investoren überprüfen verstärkt, ob ambitionierte Ziele gesetzt werden”, mahnt Schmelter.In der Verankerung von ESG-Kriterien tun sich viele Unternehmen noch schwer, insbesondere in den Komponenten der Langfristvergütung. Deshalb haben die meisten Konzerne zunächst damit begonnen, ESG-Kriterien in die kurzfristige Vergütung einzubeziehen. “Zahlreiche Firmen hatten schon in der Vergangenheit Nachhaltigkeitsaspekte als eines der Ziele in den Vergütungssystemen integriert, aber oftmals gut versteckt”, sagt Schmelter. Das rücke jetzt in den Fokus.Nachholbedarf besteht nach Einschätzung der Berater beim Thema Aktienbesitzrichtlinien. “Hier hinkt Deutschland deutlich hinterher”, so Schmelter. Nach der Analyse von Willis Towers Watson haben etwa 55 % der Dax-Unternehmen inzwischen Aktienhalteverpflichtungen für Vorstände eingeführt, im MDax sind es 30 %. Der Deutsche Corporate Governance Kodex empfiehlt seit der jüngsten Reform, dass gewährte variable Vergütungsbeträge überwiegend in Aktien der Gesellschaft angelegt werden sollen oder von vornherein aktienbasiert gewährt werden.Von Investoren wird gefordert, dass die Manager diese Aktien mindestens bis zum Ende ihrer Vorstandstätigkeit halten. Angelsächsische Adressen verlangten sogar, dass die Führungskräfte die Titel noch fünf Jahre nach ihrem Ausstieg aus dem Job in ihrem Depot belassen, erklärt Schmelter. Mit den neuen Vorgaben für Nachhaltigkeit und Langfristigkeit habe bislang ein Fünftel der Dax-Konzerne komplett neue Long-Term-Incentive-Pläne für ihre Vorstände eingeführt. Reaktionen auf CoronaDass große Konzerne mit Blick auf die Coronakrise aktiv würden und in den Vergütungssystemen Zielerreichung oder Performance-Kriterien anpassten, um eine Erosion der Gehälter zu verhindern, sei nicht zu beobachten. Die große Mehrheit der Dax-Unternehmen hat nach Kenntnis von Willis Towers Watson diesbezüglich noch nichts in Angriff genommen, um Ziele oder Zielerreichungskriterien nachträglich an die stark durchgeschüttelten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen anzupassen, sagt Frank.Gleichwohl gehen die Berater davon aus, dass sich die Firmen früher oder später damit auseinandersetzen müssen, wie man in der Vergütung mit solchen Ausnahmesituationen umgeht. Für Banken ist das regulatorisch bereits umgesetzt worden: Bevor der Bonus ausgezahlt wird, ist zu prüfen, ob sich die Bank das mit Blick auf Liquidität, Profitabilität, Risiko und Eigenkapital leisten kann, erklärt Frank.