Druck durch Dialog
Es ist eine Gratwanderung, auf die Aufsichtsräte sich in Deutschland begeben, wenn sie den direkten Dialog mit Aktionären pflegen. Denn nach dem Aktiengesetz ist der Aufsichtsrat ein für die Überwachung und Beratung zuständiges Innenorgan, das nur in Ausnahmefällen aktiv die Kommunikation mit den Stakeholdern suchen sollte. So weit die Theorie. Im Unternehmensalltag hat sich längst ein Austausch insbesondere mit institutionellen Investoren etabliert, dessen Intensität von der Persönlichkeit des Aufsichtsratsvorsitzenden ebenso abhängt wie von der wirtschaftlichen Lage des Unternehmens.Nicht selten entsteht selbst bei externen Beobachtern der Eindruck, dass manch Unternehmen mehr vom Aufsichtsratschef als vom Vorstandsvorsitzenden geführt wird. Insofern ist es zu begrüßen, dass nun Leitsätze für den Dialog zwischen Aktionären und den von ihnen gewählten Aufsichtsräten entwickelt wurden. Denn die von der EU-Kommission in der künftigen Aktionärsrechte-Richtlinie vorgesehene aktivere Überwachung börsennotierter Unternehmen durch institutionelle Investoren fordert den Aufsichtsrat als Organ der in Deutschland dominierenden dualistischen Verfassung heraus: Er muss sich jetzt selbst hinsichtlich Zusammensetzung, Vergütung und Arbeitsweise den Eigentümern stellen. Das sollte er zwar bisher auch schon, nämlich in der jährlichen Hauptversammlung. Doch wird das Aktionärstreffen aus guten Gründen kaum noch ernst genommen. Formal wird der direkte Dialog mit Investoren die Hauptversammlung zwar nicht entwerten, faktisch aber doch. Mehr noch als bisher dürfte die Aktionärsversammlung zum Ort von Schaufensterreden und Gardinenpredigten werden. Der wirkliche Dialog findet in vertraulichen Gesprächen statt, wo die Redezeit auch nicht – wie in manchen Hauptversammlungen – auf wenige Minuten beschränkt sein wird.Für den Vorstand hat ein solcher Dialog mit dem Aufsichtsrat Folgen. Zwar betonen die Leitsätze die Zuständigkeiten des Vorstands, nicht zuletzt für Entwicklung und Umsetzung der Unternehmensstrategie. Wenn sich aber der Aufsichtsrat mit Aktionären über die Umsetzung der Strategie und über Anforderungsprofile von Vorständen unterhält, wird es selten abstrakt bleiben. Der damit entstehende Druck auf Aufsichtsrat wie auch Vorstand, stärker im Interesse maßgeblicher Aktionäre zu handeln, ist zu begrüßen. Denn die Steuerung des Managements über die finanzielle Incentivierung muss nach den Bonus-Exzessen der vergangenen Jahre als gescheitert gelten.