Ehrgeizige EU-Industriestrategie gefordert
Die Chefs der größten europäischen Konzerne sorgen sich um die künftige Wettbewerbsfähigkeit Europas und haben deshalb die EU-Kommission aufgefordert, eine neue, ehrgeizige Industriestrategie vorzulegen. Bei Themen wie dem Klimawandel müsse sich die EU an die Spitze der Bewegung stellen.ahe Brüssel – Die Vorstandschefs der großen multinational agierenden Unternehmen in Europa haben die neue EU-Kommission aufgefordert, eine ehrgeizige neue Industriestrategie auszuarbeiten. In einem Strategiepapier, das gestern vorgestellt wurde, wurde die Brüsseler Behörde aufgefordert, bei der Bewältigung der großen Herausforderungen wie dem Klimawandel, der Digitalisierung und dem Welthandel vorwegzugehen. Zugleich warnte der sogenannte European Round Table for Industry (ERT) vor einem Verlust an Wettbewerbsfähigkeit.Der ERT ist ein Zusammenschluss der CEOs und Chairmen der 55 größten europäischen Unternehmen. Aus Deutschland sind Martin Brudermüller (BASF), Tim Höttges (Deutsche Telekom), Joe Kaeser (Siemens), Stefan Oschmann (Merck), Johannes Teyssen (Eon) und Hans Van Bylen (Henkel) daran beteiligt. Die hinter der ERT stehenden Konzerne verbuchen insgesamt einen Umsatz von mehr als 2 Bill. Euro und beschäftigen weltweit rund 5 Millionen Menschen.Zu ihren Forderungen an Brüssel gehört vor allem, dass der europäische “Green Deal” Investitionen in kohlenstoffarme Prozesse und Technologien fördert und zugleich die Versorgung der Industrie “mit sauberen Energien und Rohstoffen zu wettbewerbsfähigen Preisen” gewährleistet. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen will erste Details zu dem Green Deal bereits am morgigen Mittwoch vorstellen.Außerdem verlangen die Konzernchefs einen europaweiten Plan zur Beschleunigung der digitalen Transformation und des Rollouts der 5G-Infrastruktur. Außerdem sollen die EU-Wettbewerbsregeln modernisiert werden. Diese müssten es den europäischen Unternehmen ermöglichen, weltweit im Wettbewerb zu bestehen, hieß es. Eine Reform des Wettbewerbsrechts wird in Brüssel seit der Siemens-Alstom-Entscheidung der EU-Kommission kontrovers diskutiert.Und schließlich fordert der ERT eine Neuausrichtung von Forschung und Innovation in der EU – einschließlich von mindestens 120 Mrd. Euro, die im nächsten mehrjährigen EU-Haushaltsrahmen für das neue Horizont-Europa-Programm gebunden werden sollten.BASF-Vorstandschef Brudermüller, der die Forderungen gestern in Brüssel unter anderem mit der für Digitalisierung und Wettbewerb zuständigen EU-Kommissionsvizepräsidentin Margrethe Vestager diskutierte, verwies darauf, dass Europa vor enormen Herausforderungen stehe. “Aber die gute Nachricht ist: Wir können diese Herausforderungen in Chancen verwandeln, wenn wir auf unseren einzigartigen Stärken aufbauen: unseren gemeinsamen EU-Werten, dem Binnenmarkt und den Innovationen.”Brudermüller leitet derzeit die Arbeitsgruppe Wettbewerbsfähigkeit in der ERT. Ein neuer Bericht dieser Gruppe, der ebenfalls gestern veröffentlicht wurde, listet zahlreiche Probleme auf: So liegen die europäischen Ausgaben für Forschung und Entwicklung (F & E) gemessen an der Intensität aktuell unter dem OECD-Durchschnitt und auch unter den jeweiligen Ausgaben in China und den USA. Die europäischen Wachstumsraten liegen zugleich deutlich unter dem globalen Durchschnitt. Die gesamtwirtschaftliche Produktivität in der EU beträgt nur 75 % derjenigen in den USA. Der Anteil der europäischen Unternehmen im “Fortune 500” ist von 32 % im Jahr 2010 auf 23 % im Jahr 2019 deutlich gesunken. Und auch bei den sogenannten Einhörnern schneidet die EU schlechter ab als die USA und China. Sorge um die WTOZu den wichtigsten Forderungen der Industrie-Allianz gehört auch die Aufrechterhaltung des freien Handels. Es sei wichtig, dass die EU mit allen anderen großen Volkswirtschaften zusammenarbeite, um den Trend zum Protektionismus umzukehren, hieß es. Die EU sollte sich insbesondere bemühen, die Herausforderung des Streitbeilegungssystems der WTO anzugehen.Die Welthandelsorganisation hatte gestern eine dreitägige Krisensitzung hierzu gestartet, weil die USA die Ernennung neuer Richter zur Streitschlichtung blockieren, was auch der BDI bereits als “Hiobsbotschaft” bezeichnet hatte.