Einhornherde erhält weiteren Zuwachs aus Deutschland
Von Stefan Paravicini, Berlin
Im vergangenen Jahr hat sich die Zahl der sogenannten Einhörner – privat finanzierte Firmen mit einer Bewertung oberhalb von 1 Mrd. Dollar – in Deutschland mehr als verdoppelt auf gut zwei Dutzend. Der Münchner Softwarefirma Celonis gelang als erstes deutsches Start-up der Sprung zum Decacorn mit einer Bewertung oberhalb von 10 Mrd. Dollar. Europaweit schafften nach Angaben der österreichischen Investmentfirma i5 Invest gleich 85 Firmen den Sprung auf eine Bewertung oberhalb von 1 Mrd. Dollar, womit sich ihre Zahl auf dem Alten Kontinent auf 132 erhöhte. Weltweit legte die Zahl nach Angaben des Informationsdienstes CB Insights auf mehr als 1000 zu und mehr als 30 Start-ups erreichten eine Bewertung von 10 Mrd. Dollar oder mehr.
Der Exit über die Börse dürfte für die meisten Unicorns angesichts der großen geopolitischen Unsicherheit bis auf weiteres versperrt bleiben. Dessen ungeachtet kann die Einhornherde nach Einschätzung von Marktbeobachtern auch in Deutschland weiter mit Zulauf rechnen. Die Investmentbank GP Bullhound hat gerade eine Liste mit 16 deutschen Nachwuchsfirmen vorgelegt, denen sie demnächst eine Bewertung oberhalb von 1 Mrd. Dollar zutraut. Darunter auch das Chemnitzer Softwareunternehmen Staffbase, das den Sprung bereits Anfang der vergangenen Woche geschafft hat. Der Spezialist für interne Kommunikation vermeldete eine Finanzierungsrunde in Höhe von 106 Mill. Euro und erzielte eine Bewertung oberhalb von 1 Mrd. Dollar.
Nach Einschätzung von GP Bullhound gibt es europaweit rund 100 Unternehmen, die demnächst eine Bewertung in ähnlicher Größenordnung wie Staffbase erreichen könnten. i5 Invest kommt nach einer Befragung unter Investoren auf 253 Unternehmen aus Europa, die sich innerhalb der nächsten 24 Monate der Einhornherde anschließen könnten. Bis dahin müssen sie allerdings noch ordentlich Gewicht zulegen, denn ihre durchschnittliche Bewertung liegt derzeit bei 285 Mill. Euro und Investoren haben den potenziellen Einhörnern im Durchschnitt 121 Mill. Euro zur Verfügung gestellt.
Die 2014 gegründete Staffbase hat mittlerweile rund 300 Mill. Dollar Wagniskapital erhalten. Bei der bisher größten Finanzierungsrunde sammelte das Start-up vor knapp einem Jahr 122 Mill. Euro bei Investoren unter der Führung von General Atlantic ein, die auch in der aktuellen Runde vorangeht. Insight Partners ist seit 2019 bei Staffbase engagiert und zog auch bei der Finanzierungsrunde im März 2021 mit. Seither hat das Unternehmen seinen Umsatz mehr als verdoppelt und die Belegschaft inklusive der Übernahmen von Bananatag aus Kanada und Valo aus Finnland an 14 Standorten weltweit auf mehr als 600 Köpfe aus 50 Nationen erhöht. Mit den frischen Mitteln will das Unternehmen das internationale Wachstum vorantreiben und die Produkte weiterentwickeln. Außerdem will das Start-up eine Akademie für interne Kommunikation aufbauen und das von Staffbase organisierte Branchentreffen „Voices“ zur führenden Konferenz für Kommunikationsverantwortliche in Unternehmen ausbauen. Im laufenden Jahr sind Investitionen in Höhe von mindestens 50 Mill. Euro geplant.
„Es gibt keinen Zweifel mehr, dass gute Mitarbeiterkommunikation ein zentraler Faktor für den wirtschaftlichen Erfolg ist“, sagte Unternehmensgründer und CEO Martin Böhringer anlässlich der neuen Finanzierungsrunde. Und wie sieht es mit dem Einhorn-Status als Faktor für den weiteren Unternehmenserfolg aus? „Der Einhorn-Status ist für uns ein wichtiger Meilenstein, weil wir damit die Attraktivität unseres Marktes beweisen“, sagte der Firmengründer auf Anfrage der Börsen-Zeitung. Für manche Entscheider in der Wirtschaft sei es in der Vergangenheit nicht immer einfach gewesen, das Potenzial von Mitarbeiterkommunikation zu verstehen. „Die Milliardenbewertung basiert auf unserem starken Umsatzwachstum und zeigt damit, wie viel Kraft in diesem Thema steckt“, sagt der CEO. Die Kommunikationsinstrumente auf der digitalen Plattform von Staffbase werden mittlerweile von mehr als 2000 Unternehmen wie Deutsche Post DHL, Paulaner oder MAN Truck & Bus SE mit gut 13 Millionen Beschäftigten genutzt.
Die besondere mediale Aufmerksamkeit erhalte Staffbase nicht allein wegen des Einhorn-Status, sondern wegen eines außergewöhnlichen Geschäftsmodells und dem überdurchschnittlichen Erfolg, stellt Böhringer klar. „Hinzu kommt bei uns sicherlich, dass wir einen gewissen Exoten-Status haben, da wir das erste Unicorn aus dem Osten Deutschlands sind, wenn man Berlin einmal ausnimmt.“
Fabeltiere sind gesprächig
Trotz der positiven Nebeneffekte für das Unternehmen spricht nicht jedes Start-up öffentlich über das Erreichen des Unicorn-Status. „Die Leute sollten nicht nur über die Bewertung reden. Das war eine bewusste Entscheidung, weil wir sehr stolz auf unsere Erfolge waren“, erklärte Alex Gayer, der Finanzchef des Berliner Mikromobilitätsdienstes Tier Mobility, im vergangenen Sommer im Interview (vgl. BZ vom 30.6.2021), warum das Start-up nach einer Finanzierungsrunde im November 2020 die erstmals erzielte Milliardenbewertung nicht publik machte. Wenn die Einhornherde das nächste Mal Zulauf aus Deutschland verzeichnet, stehen die Chancen trotzdem gut, dass der Markt es schnell erfahren wird.