Emissionshandel trifft Stahlindustrie

Milliardenbetrag könnte als Zusatzlast drohen - ArcelorMittal fordert CO2-Abgabe auf Billigimporte

Emissionshandel trifft Stahlindustrie

Europas Stahlindustrie warnt Brüssel vor den negativen Folgen einer Verknappung der CO2-Zertifikate und fordert Sonderregeln für die Branche. In Straßburg berät das EU-Parlament heute über die Reform des EU-Emissionshandels. ArcelorMittal-Chef Lakshmi Mittal fordert zugunsten eines fairen Wettbewerbs eine CO2-Abgabe auf importierten Stahl.Von Christoph Ruhkamp, DüsseldorfEuropas Stahlindustrie muss sich auf kräftig steigende Kosten für ihre CO2-Emissionen gefasst machen – und in der Folge Wettbewerbsnachteile gegenüber den Konkurrenten außerhalb Europas in Kauf nehmen. Am heutigen Mittwoch stimmt das Europäische Parlament in Straßburg über eine Reform des Emissionshandelssystems ab.Unter dem bisherigen Emissionshandelssystem, das seit 2005 gilt, kostet das Emissionsrecht für 1 Tonne CO2 weniger als 6 Euro – und bietet wegen des geringen Preises kaum einen Anreiz zur Einsparung des Klimagases. Nach den neuen Regeln jedoch würden die Preise für Emissionszertifikate so stark steigen, dass die neuen Regeln “einer CO2-Steuer von 30 Euro je Tonne Stahl entsprechen” würden, wie Lakshmi Mittal, Vorstandschef des weltweit größten Stahlkonzerns ArcelorMittal, vor der Entscheidung warnte. Bei der Produktion einer Tonne Stahl werden rund 2 Tonnen CO2 ausgestoßen. In der EU werden rund 170 Millionen Tonnen Stahl im Jahr hergestellt. Bei einem Zertifikatepreis von 15 Euro je Tonne CO2 würde die Belastung für die Stahlindustrie theoretisch also auf bis zu rund 5 Mrd. Euro im Jahr steigen können. Zum Vergleich: Der Nettogewinn des größten europäischen Stahlherstellers ArcelorMittal lag im vergangenen Jahr bei 1,8 Mrd. Dollar. Überwälzen nicht möglichDie Stahlhersteller können ihre zusätzlichen Kosten für CO2 nicht einfach auf die Kunden überwälzen. Denn ein Viertel der Nachfrage in Europa – ein Rekordwert – wird seit der zweiten Hälfte des vergangenen Jahres laut Europas Branchenverband Eurofer durch Importe gedeckt, die nicht dem Emissionshandelssystem unterliegen. Wie stark sich der Druck auf die hiesige Stahlindustrie trotz der von der EU verhängten Strafzölle auf Billigimporte aus China erhöht hat, zeigt der Vergleichswert: Im langjährigen Durchschnitt lag der Anteil der Importe am Stahlverbrauch in Europa laut Eurofer nur bei 17 %.Die Emissionen der Eisen- und Stahlindustrie lagen im Jahr 2015 laut Deutscher Emissionshandelsstelle bei 37,08 Millionen Tonnen CO2, während eine Zuteilungsmenge von 33,24 Millionen Tonnen CO2 genannt wird. Somit ergibt sich der “bereinigte” Ausstattungsgrad von 90 % für diese Industrie. Dies bedeutet, dass die Eisen- und Stahlindustrie bisher 10 % ihres Bedarfs zukaufen oder aus Überschüssen aus der zweiten Handelsperiode decken muss. WettbewerbsnachteilUm den Wettbewerbsnachteil europäischer Stahlkonzerne wie ArcelorMittal, Thyssenkrupp, Voestalpine oder Salzgitter gegenüber Billigimporten aus China oder Russland aufzufangen, schlug ArcelorMittal-Chef Lakshmi Mittal jetzt eine CO2-Abgabe auf importierten Stahl vor. Die sei notwendig, um die Arbeitsplätze der 320 000 Beschäftigten der Stahlindustrie in Europa zu sichern.Doch die EU-Kommission lehnt diesen Vorschlag ab, weil dies das falsche Signal an die internationale Gemeinschaft senden würde und schwierig umzusetzen wäre. Stattdessen sollen die innerhalb der europäischen Industrie besonders hart getroffenen Stahlhersteller einen Teil ihrer Emissionsrechte kostenlos zugeteilt bekommen.”Europa will der industriellen Wertschöpfung mehr Gewicht geben; mit dem anstehenden Votum hat es das Europäische Parlament in der Hand, dafür eine wichtige Grundlage zu schaffen”, sagte Hans Jürgen Kerkhoff, Präsident des deutschen Branchenverbands Wirtschaftsvereinigung Stahl. Nachhaltiger Klimaschutz sei nur mit der Industrie möglich. Die industrielle Basis dürfe aber nicht zunehmend durch “unrealistische Auflagen” beim Emissionsrechtehandel geschwächt werden.Um die Industrie zu entlasten, steht im Parlament eine Erhöhung des Zertifikateanteils für die freie Zuteilung auf der Agenda. Die bisher diskutierten Ansätze zur Neuregelung des Systems reichen jedoch laut Wirtschaftsvereinigung bei weitem nicht aus, um die Wettbewerbsfähigkeit der Branche zu sichern. “Für die Stahlindustrie sind die Anforderungen schon heute so hoch, dass sie nicht einmal die effizientesten Anlagen erreichen können”, behauptet Verbandspräsident Kerkhoff. Europäische Stahlhersteller hätten eine wesentlich bessere CO2-Bilanz als Produzenten anderswo. “Moderater Aufwärtstrend”Trotz der verschärften Umweltregulierung laufen die Geschäfte der Branche nach zwei Jahren mit rückläufiger Rohstahlproduktion wieder etwas besser. Vor dem Hintergrund gestiegener Auftragseingänge in den letzten Monaten sei nun auch die Herstellung von Rohstahl auf einen “moderaten” Aufwärtstrend eingeschwenkt, teilte die Wirtschaftsvereinigung Stahl mit. So sei die Rohstahlproduktion im Januar um 1 % auf 3,6 Millionen Tonnen gewachsen.