Luka Mucic

„Es ist keine Voodoo-Kunst nötig“

Im Interview erklärt Finanzvorstand Luka Mucic, warum der Zukauf Taulia eine Verstärkung ist, der Cash-flow-Schub erst 2023 kommt und SAP heute in einer Situation wie Microsoft vor ein paar Jahren ist.

„Es ist keine Voodoo-Kunst nötig“

Sebastian Schmid.

Herr Mucic, finanzielle Details zu Ihrem jüngsten Zukauf Taulia werden nicht genannt. Können Sie ein paar Details zum Unternehmen selbst zur Einordnung nennen?

Sicher. Taulia wurde 2009 gegründet, zählt 350 Mitarbeiter und hat eine Kundenbasis von mehr als 100 multinationalen Konzernen – da­runter Airbus, AstraZeneca und Vodafone –, die ihre Lieferketten über Taulia mit Supply-Chain-Finanzierungsprozessen bedienen. Das Netzwerk ist mit mehr als zwei Millionen angebundenen Lieferanten sehr groß. Zudem arbeitet das Unternehmen mit großen Finanzdienstleistern wie Unicredit und J.P. Morgan zusammen, die die eigentliche Finanzierung unterstützen. Das sind Geschäfte, die bei vielen Unternehmen aktuell hoch auf der Prioritätenliste stehen, um etwa ihre Lieferketten abzusichern. Vor dem Hintergrund sich anbahnender steigender Zinsniveaus wird Lieferanten so eine effektive Möglichkeit gegeben, auf Basis der Kreditratings der großen Kunden, für die sie arbeiten, bessere Finanzierungskonditionen zu bekommen. Zum Akquisitionsvolumen haben wir nichts gesagt, weil es für uns eine sogenannte Tuck-in-Akquisition ist. Der Kaufpreis liegt deutlich unter 1 Mrd. Dollar. In solchen Größenordnungen geben wir in Abstimmung mit den Verkäufern nie Preise an.

Hatte SAP selbst schon ähnliche Dienstleistungen im eigenen Produktangebot?

Wir hatten rudimentäre Ansätze hierzu im Rahmen des Ariba-Netzwerks, die allerdings erst ganz am Anfang standen, und bei denen vor allem der Netzwerkcharakter einer kritischen Masse an Kunden, Lieferanten und Funding Partnern im Supply Chain Finance nicht gegeben war. Es hätte Jahre gebraucht, das selbst aufzubauen. Da wir hier aktuell eine starke Nachfrage sehen, war es für uns logisch, auf Taulia und eine anschließende Integration in unser Business-Netzwerk zu setzen.

Wie wird das Angebot von Taulia bei SAP integriert?

Wir hatten mit Taulia schon vor dem Kauf eine etablierte Partnerschaft mit Blick auf eine Integration des Angebots in unsere S/4-Hana-Finance-Plattform. Das macht es uns in der Integration, die wir jetzt noch einmal vertiefen wollen, natürlich sehr einfach. Künftig soll es auch in unsere Beschaffungssoftware Ariba sowie unsere Supply-Chain-Netzwerke integriert werden. Aus Portfolioper­spektive handelt es sich um einen sehr komplementären Zukauf.

Wie groß sind die Überlappungen in der Kundenbasis zwischen SAP und Taulia?

Die sind erfreulicherweise sehr groß. Rund 85% der Taulia-Kunden nutzen auch SAP. Natürlich werden auch die anderen Kunden künftig durch Taulia weiter bedient. Uns bietet diese hohe Übereinstimmung aber Cross-Selling-Potenzial, wenn wir künftig ganzheitliche End-to-End-Szenarien für CEOs, CFOs und Treasurer abbilden können.

Wie funktioniert die Abrechnung bei Taulia?

Neben einer Grundsubskription sind die Umsätze im Wesentlichen transaktionsbasiert. Es wird also ein bestimmter Prozentsatz je Finanzierungstransaktion an Taulia überwiesen.

Wie entwickelt sich denn der Umsatz des Unternehmens?

Taulia hat 2021 eine deutliche Wachstumsbelebung aufgrund der Lieferkettenthematik gesehen. Mit Blick auf den gesamten Cloud-Umsatz von SAP ist Taulia zwar keine relevante Größe, aber die Wachstumsraten sind schon enorm und auch die Wachstumssynergien mit SAP dürften hoch ausfallen. Und je mehr Bankenpartner wir hinzugewinnen, die Taulia dann auch mit vertreiben – wie dies beispielsweise J.P. Morgan schon tut –, desto größer wird der Netzwerkeffekt, den wir hier erzielen können.

Werden Sie neben kleineren Akquisitionen dieses Jahr auch wieder eine große Akquisition in Angriff nehmen? Die Nettoverschuldung ist schon wieder deutlich geschrumpft.

Sie haben recht. Wir stehen jetzt bei einer Nettoverschuldung von 1,5 Mrd. Euro. Das ist für ein Unternehmen der Größenordnung von SAP sehr wenig. Aber das ist auch nicht der Punkt. Entscheidend ist, wie gut ein Unternehmen strategisch in unsere Portfolioplanung passt, ob es Überlappungen gibt und wie einfach die technische Integration sein wird. Wir werden da weiterhin sehr diszipliniert sein. Es kann einige kleinere Akquisitionen dieser Art geben. Das schauen wir uns immer an. Transaktionen wie Signavio im vergangenen Jahr oder jetzt Taulia sind aber sehr viel wahrscheinlicher als größere Deals.

Da Sie gerade Signavio erwähnen: Wie läuft hier das Geschäft?

Sehr gut. Wir haben unseren internen Business Case für das erste Jahr um Längen geschlagen. Die Integration in die Gruppe ist sehr schnell vorangekommen – sowohl technisch wie auch organisatorisch. Wir haben im vergangenen Jahr ein prozentual dreistelliges Wachstum gegenüber der eigenständigen Signavio erreicht und erwarten das auch für das laufende Jahr. Das liegt natürlich auch daran, dass Signavio integrierter Bestandteil von Rise with SAP ist und Letzteres ein durchschlagender Erfolg ist.

Auch bei S/4 Hana ist der Cloud-Auftragseingang dank Rise with SAP kräftig angezogen. Wächst der Rückstand beim Abarbeiten des Bestands nun weiter an?

Eigentlich ist sogar das Gegenteil der Fall. Wir holen bei den Go-lives deutlich auf. Von den 18800 S/4-Hana-Kunden haben wir mittlerweile mehr als 13100 live. Fast 4000 sind aktuell in laufenden Implementierungsprojekten. Zu­sam­mengezählt sind also rund 17000 von 18800 Kunden entweder live oder in Vorbereitung auf den Go-live. Da waren wir schon einmal weiter im Rückstand. Das liegt auch daran, dass sich immer mehr Kunden für die Cloud entscheiden, wo die Implementierung schneller geht. Von den rund 5000 Cloud-Kunden sind bereits 4300 live. Daher erwarte ich auch, dass sich die Schere noch weiter schließen wird. Und das trotz eines weiter stark erwarteten steigenden Auftragseingangs.

Das Cloud-Wachstum zieht kräftig an. Auf der anderen Seite sinkt der Cash-flow. Das Ergebnis stagniert. Wird hier 2022 die Talsohle erreicht sein?

Das ist eine berechtigte Frage. Ab 2023 wird der freie Cash-flow wieder signifikant ansteigen. Wir hatten bei der Vorstellung der neuen Strategie 2020 bereits erklärt, dass die Entwicklung beim Cash-flow nicht entkoppelt vom Ergebnis betrachtet werden kann und wir deshalb unser Ziel für den freien Cash-flow von 8 Mrd. Euro um zwei Jahre auf 2025 nach hinten verschoben haben. 2021 sind wir besser herausgekommen, als wir gedacht haben, weil wir beim Ergebnis mit einem einprozentigen Plus besser abgeschnitten haben als ursprünglich erwartet. Jetzt prognostizieren wir für 2022 im Prinzip ebenso wie für 2021. Wenn wir wieder beim Ergebnis besser abschneiden als 2021, dann wird auch der freie Cash-flow besser ausfallen als erwartet.

Am Markt fiel die Reaktion heute dennoch enttäuscht aus. Vielleicht auch wegen der ergebnisseitig konservativen Guidance?

Für mich ist wichtig, dass wir konsistente Ziele ausgeben. Alles, was wir für 2022 als Ziele nennen, ist konsistent mit dem, was wir im Rahmen unserer Strategietransformation 2020 bekannt gegeben haben. Ich würde sogar behaupten, wir kommen gerade in der Cloud besser voran, als wir uns das gedacht haben. Dass wir auf der Gesamtkonzernseite dennoch so weit fortgeschritten sind wie damals gesagt, sollte eigentlich auch dem Kapitalmarkt Vertrauen geben. Wir sind schließlich auch nicht das erste Softwareunternehmen, das eine solche Transformation angeht. Microsoft oder Adobe haben vor einigen Jahren denselben Prozess durchlaufen. Entsprechend sollten die Investoren erkennen, dass das gleiche positive Ergebnis auch bei der SAP ansteht. Ich halte die Reaktion am Kapitalmarkt für übertrieben und halte SAP daher aktuell für fundamental unterbewertet.

Momentan tritt die Marge in der Cloud bei knapp 70% auf der Stelle. Was macht Ihnen Hoffnung, dass diese sich ab 2023 dem Ziel von 80% in größeren Schritten nähern wird?

In diesem und im vergangenen Jahr drücken enorme Investitionen aus unserer Initiative zur Harmonisierung unserer Cloud-Infrastruktur auf die Marge. Daher wird die Marge 2022 noch nicht besonders stark ansteigen. Das wird dann in der ersten und mehr noch in der zweiten Jahreshälfte 2023 der Fall sein, wenn wir das Investitionsprogramm abgeschlossen haben. Dann werden einerseits Investitionskosten in dreistelliger Millionenhöhe wegfallen, zudem wird unsere Infrastruktur wesentlich effizienter sein. Für den Margenanstieg ist keine Voodoo-Kunst nötig. Das sind ganz klare technische Gegebenheiten.

Das Interview führte

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