Siemens

Festakt im Zeichen von Krieg und Frieden

Siemens feiert am 12. Oktober die Gründung vor 175 Jahren. Bundeskanzler Olaf Scholz hält die Festrede unter anderen Voraussetzungen, als der frühere Kanzler Helmut Kohl dies 25 Jahre zuvor tun konnte.

Festakt im Zeichen von Krieg und Frieden

Von Michael Flämig, München

Werner von Siemens und Johann Georg Halske hätten es sich 1847 sicher nicht träumen lassen, dass sie einmal den Terminplan deutscher Spitzenpolitiker mitbestimmen würden. Doch ihre Gründung der Telegraphen-Bauanstalt Siemens & Halske am 12. Oktober in der Schöneberger Straße in Berlin hat Einfluss auf Bundeskanzler.

150 Jahre später war Helmut Kohl gekommen, um am Jubiläumsakt der Siemens AG teilzunehmen. Weitere 25 Jahre danach wird – sofern die Geopolitik den Auftritt nicht torpediert – Olaf Scholz dem Konzern die Ehre geben: An der Nonnendammallee in Berlin Siemensstadt ist er am 12. Oktober der Spitzengast beim Festakt 175 Jahre Siemens.

Firmenjubiläen und Geburtstage der Menschen eint, dass sie einen irgendwie willkürlichen Punkt im Zeitablauf setzen. Andererseits bieten derlei Daten zuweilen den Anlass zur Selbstreflexion. Als Kohl – der mittlerweile verstorben ist – im Berliner Congress Centrum auftrat, begann sich bei Siemens ein Wille zu bilden, der in die Aufspaltung in vier Unternehmen bis zum Jahr 2020 mündete. Denn ein Dreivierteljahr nach Kohls Rede verkündete der damalige Vorstandsvorsitzende Heinrich v. Pierer das 10-Punkte-Programm, mit dem im Juli 1998 die Neuordnung des Unternehmens begann. Das Halbleitergeschäft ging als Infineon an die Börse. Mittlerweile ist das komplette Quartett samt Siemens Healthineers und Siemens Energy im Dax vertreten.

Heutzutage ist ein Umbau dieser Größenordnung, den in wesentlichen Teilen Joe Kaeser als Vorstandschef orchestriert hatte, kein Thema mehr. Siemens steht unter dem CEO Roland Busch vor einer Bewährungsprobe anderer Art: Der Konzern muss zeigen, dass er es richtig gemacht hat. Führt die Flexibilisierung wirklich zu einer besseren Anpassung an die Erfordernisse der Zeit?

Digitalisierung und Klimawandel sind eigentlich als Prüfsteine für die Beantwortung dieser Frage gedacht gewesen. Unerwartet werden die geopolitischen Katastrophen samt der anstehenden Rezession die erste Bewährungsprobe sein, bei der sich zeigt, wie resilient Siemens ist.

Die Voraussetzungen für den Erfolg eines globalen Multis wie Siemens haben sich allerdings seit Kohls Auftritt verschlechtert. Der damalige Bundeskanzler konnte seine Rede noch unter eine verheißungsvolle Überschrift stellen: „Die Chancen der Globalisierung nutzen“. Siemens hat dies mit einer weltweiten Expansion anschließend tatsächlich getan.

Geopolitischer Umbruch

Ein Vierteljahrhundert später gilt aber für Unternehmenslenker eher die Devise, das Ende der Globalisierung positiv zu wenden. Lieferketten müssen neu – und letztlich ineffizienter – gestrickt werden. Absatzmärkte fallen weg. Das Abkoppeln der Wirtschaftsblöcke voneinander bietet für Siemens jedoch tatsächlich Chancen. Schließlich produziert der Konzern Hard- und Software für Fabriken, die für den Aufbau neuer regionaler Fertigungen gebraucht werden. Jede Neuinvestition ist ein potenzieller Auftrag für die Münchner.

Firmengeschichte und Wirtschaftspolitik verblassen, sobald es um Krieg und Frieden geht. Wenn Scholz dieser Tage vor die Siemens-Festgemeinde tritt, wird er einen anderen Ton wählen müssen, als Kohl es tun konnte. Der damalige Bundeskanzler beschrieb den Aufbau von Rechtsstaat und freiheitlicher Demokratie im ehemaligen Ostblock und bezeichnete es als eine große Chance für Europa, wenn in Russland dieser Prozess vorankomme. Er wolle keinen Rückfall in alte Strukturen, egal ob Kommunismus oder Militärdiktatur, sagte er: „Einen solchen Rückfall in überwundene Gegensätze mit immer neuer Aufrüstung müssten auch wir in Deutschland bitter bezahlen.“ Daher sei jede D-Mark, die Deutschland in den östlichen Ländern vernünftig investiere, eine Abschlagszahlung für eine friedliche Zukunft auch der Deutschen.

Das Streben nach Frieden war im Jahr 1998, wie so häufig bei Kohl, ebenfalls eine wichtige Botschaft. Natürlich drohe jetzt in Europa kein Krieg: „Dennoch besteht kein Anlass, sich in falscher Sicherheit zu wiegen.“ In den 1920er Jahren hätten die Menschen auch geglaubt, es werde nie wieder Krieg geben in Europa. Wer klug sei, versuche aus der Geschichte zu lernen, so seine Feststellung: „Die Lektion für uns kann nur heißen: Frieden und Freiheit hängen entscheidend davon ab, dass wir in Europa weiter zusammenwachsen.“ Diesen Prozess hat Russlands Despot Wladimir Putin brutal und brachial beendet.

BZ+
Jetzt weiterlesen mit BZ+
4 Wochen für nur 1 € testen
Zugang zu allen Premium-Artikeln
Flexible Laufzeit, monatlich kündbar.