Erbitterter Streit um Stahlsparte von Thyssenkrupp
Erbitterter Streit um Thyssenkrupp Stahl
Sanierungsgutachten soll Finanzbedarf klären – Restrukturierung verzögert sich
ab Köln
Die Verhandlungen zwischen Thyssenkrupp und ihrer Stahltochter sind festgefahren. In der Aufsichtsratssitzung am Freitag konnten sich die Beteiligten nur auf den kleinsten gemeinsamen Nenner einigen. Nach stundenlangen Beratungen trat Aufsichtsratschef Sigmar Gabriel am späten Abend vor die Presse und erklärte, dass in wesentlichen Punkten keine Einigung erzielt werden konnte. Im Zentrum der Streitereien steht die Frage nach der Höhe der Finanzierungskosten für die anstehende Restrukturierung und von wem diese getragen werden.
Dem Vernehmen nach will Thyssenkrupp-Chef Miguel López der Stahltochter maximal 2,5 Mrd. Euro auf den Weg in die Selbständigkeit mitgeben. Der Betrag entspricht in etwa den Pensionsrückstellungen der Stahlsparte. Für Investitionen in die Restrukturierung müsste der Stahlkonzern dann komplett selbst aufkommen. Der Vorstand der Stahltochter soll den Bedarf dagegen auf 3,5 Mrd. Euro taxieren, derweil die IG Metall einen Korridor zwischen 3,8 und 4 Mrd. Euro aufzieht. Gabriel zufolge klafft eine Finanzierungslücke von 1,2 bis 1,3 Mrd. Euro. Ein Gutachten von Roland Berger komme sogar zu einem noch höheren Delta.
Fortführungsperspektive
Da sich die Beteiligten in diesem Punkt verhakt haben, wurde beschlossen, den Finanzierungsbedarf im Rahmen eines neutralen Gutachtens ermitteln zu lassen. Die Vorstände von Thyssenkrupp und Thyssenkrupp Steel Europe (TKSE) würden nun gemeinsam und unverzüglich ein Sanierungsgutachten nach IDW S6 in Auftrag gegeben, sagte Gabriel. Mit dem Gutachten sollen vor allem die Finanzbedarfe für das Restrukturierungsprogramm und die vom Mutterkonzern beabsichtigte Verselbständigung der Stahltochter beziffert werden.
Zudem bewertet das Gutachten, ob die beabsichtigten Effizienzziele mit den vom Vorstand vorgestellten Maßnahmen erreicht werden können und das Unternehmen eine positive langfristige Fortführungsperspektive hat. Laut Gabriel soll das Gutachten noch in diesem Jahr vorliegen. Bis dahin liegen aber praktisch alle Restrukturierungsmaßnahmen auf Eis.
Kapazitätsreduktion
Damit haben die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat ihre Forderung durchgesetzt, erst dann über Stellenabbaupläne zu verhandeln, wenn geklärt ist, wie viel Geld der Mutterkonzern seiner Tochter mit auf den Weg gibt. Die überfällige Restrukturierung verzögert sich also. Unstrittig ist, dass TKSE die Produktionskapazitäten reduzieren muss. Nach früheren Angaben soll sie von 11,5 auf 9 bis 9,5 Mill. Tonnen (t) verringert werden.
Hatte sich TKSE lange bedeckt gehalten, an welchem Standort die Kapazitäten stillgelegt werden, läuft es nun auf den Standort der Hüttenwerke Krupp Mannesmann (HKM) im Duisburger Süden hinaus. HKM ist ein Gemeinschaftsunternehmen von TKSE (50%), Salzgitter (30%) und Vallourec (20%). Mit den bei HKM produzierten Stahlbrammen werden die Gesellschafter beliefert. TKSE bezieht von dort jährlich 2,5 Mill. t.
Verkauf von HKM
Der Aufsichtsrat beauftragte den Vorstand, vorrangig den Verkauf von HKM voranzutreiben. Mit der Hamburger Beteiligungsgesellschaft CE Capital gibt es eine Kaufinteressentin, mit der bereits verhandelt wird. Der Verkauf von HKM sei das Leitszenario, sagte Gabriel. Sollte sich der Verkauf zerschlagen, dürfte es wohl auf eine Abwicklung von HKM hinauslaufen. Denn HKM soll mit besonders unattraktiven Kostenstrukturen arbeiten, so dass praktisch alle Gesellschafter die Gesellschaft lieber heute als morgen los wären.
Außer Frage steht, dass die Gesellschafter im Falle eines Verkaufs dem Käufer eine Mitgift mit auf den Weg geben müssten. Wie hoch diese ausfällt, ist nicht bekannt. Sie dürfte aber allemal unter den mit einer Stilllegung verbundenen Kosten liegen. Bei HKM arbeiten derzeit noch 3.000 Menschen.
Nächste Sitzung am 29. August
Angegangen wurde in der Aufsichtsratssitzung auch die Frage der kurzfristigen Finanzierung der nächsten 24 Monate. Das Thema ist virulent geworden, da Thyssenkrupp mit dem Verkauf einer Beteiligung von 20% der Stahltochter an den Investor Daniel Křetínský die bestehenden Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträge aufgelöst hat.
Damit muss nun für die kommenden 24 Monate eine Finanzierungsvereinbarung geschlossen werden, um den ordnungsgemäßen Weiterbetrieb von TKSE zu gewährleisten. An die Stelle des Cash-Pooling treten Darlehensvereinbarungen, die bestimmte Voraussetzungen erfüllen müssen. Insbesondere geht es um den Nachweis, dass TKSE ihren Zahlungsverpflichtungen in den nächsten 24 Monaten jederzeit nachkommen kann. Laut Gabriel sollen damit auch jedwede Spekulationen über eine drohende Insolvenz von TKSE beendet werden.
Der Vorstand wurde nun beauftragt, die kurzfristige Finanzierungsvereinbarung mit Thyssenkrupp bis zum 20. August zu konkretisieren, damit sie in einer AR-Sitzung am 29. August beraten und beschlossen werden kann. Gabriel betonte, dass diese Vereinbarung aus satzungsrechtlichen Gründen unter Zustimmungsvorbehalt des Aufsichtsrats der TKSE stehe.