RECHT UND KAPITALMARKT

Handlungsoptionen gegen Aktivisten

Lehren aus dem Proxy Fight bei Stada - Vorbereitung ist Vorstandspflicht - Auf den Einzelfall abgestimmte Strategie nötig

Handlungsoptionen gegen Aktivisten

Von Christoph H. Seibt *)Der “Sommerkrimi” um die Attacke von Active Ownership Capital gegen die Organe von Stada Arzneimittel hat mit der Hauptversammlung einen Zwischenabschluss erreicht, der es erlaubt, einige Lehren für die Handlungsoptionen deutscher Börsenunternehmen in solchen Situationen zu ziehen. Dies ist für die Unternehmensleitung wichtig, da aktivistische Fonds aus den USA und dem Vereinigten Königreich eine Marktausdehnung vor allem auf Deutschland planen. Die “Stada-Fallstudie” ist ein Hot Topic in diesen Kreisen. Und sie zeigt, dass selbst in einer aktuellen Krise Spielräume bestehen, um die Handlungshoheit der Unternehmensorgane zu behalten bzw. zurückzugewinnen. Risikoanalyse angeratenZunächst gilt indes: Vorbereitung ist besser als Reaktion. Es gehört zu den Pflichten von Vorstand und Aufsichtsrat, die Unternehmensstrategie und ihre Durchführungsschritte zu entwickeln, anhand der tatsächlichen und prognostizierten Rahmenbedingungen in angemessenen Zeitabschnitten anzupassen und mögliche Risiken für die nachhaltige Ertragsfähigkeit zu detektieren. Das schließt ein: einen Benchmark-Abgleich mit relevanten Vergleichsunternehmen, die Untersuchung alternativer Strategien und deren Auswirkungen auf die Unternehmensbewertung, die Durchführung einer sog. Vulnerability Study (aus der sich spezifische Risiken für Attacken aktivistischer Aktionäre ergeben) und die Entwicklung eines Frühwarnsystems, in dem Erkenntnisse aus den Bereichen Investor Relations, Corporate Development, Recht sowie Finance vernetzt werden.Dieser Frühwarnkreis analysiert die Aktionärszusammensetzung und deren Veränderungen, die Entwicklung und das Handelsvolumen bestimmter Finanzinstrumente, Anlage- und Stimmrechtsrichtlinien bei wesentlichen Investoren und Stimmrechtsberatern, deren Stellungnahmen zum Unternehmen sowie Peer-Group-Gesellschaften, Themensetzung durch Finanzanalysen und Branchenberichten sowie Hauptversammlungsergebnisse. Zudem entwickelt er wesentliche Finanzkennziffern, die typischerweise Handlungsauslöser bei Aktivisten sind.Zu den Rechtsthemen der Verletzlichkeitsanalyse kann z. B. der Vorschlag für eine Satzungsänderung gehören, derzufolge Aufsichtsräte wie nach dem aktienrechtlichen Normalstatut nur mit 75-Prozent-Mehrheit abberufen werden können, der Aufsichtsrat frei den Versammlungsleiter bestimmen kann oder spezifische Regeln für Aufsichtsratswahlen mit zwei oder mehr Kandidaten für eine Position bestehen. Die Richtlinien wesentlicher Investoren und Stimmrechtsberater sind für die Auswahl von Aufsichtsratskandidaten, die Ausgestaltung der Vergütungssysteme und bei der Corporate-Governance-Berichterstattung zu beachten. Schließlich sind ein Krisenreaktionsteam und dessen organisationelle Strukturen vorzuplanen.Die Reaktion auf die Kontaktaufnahme aktivistischer Aktionäre hängt im Wesentlichen vom Inhalt und der Art der Kommunikation, insbesondere dem Grad der Öffentlichkeit, sowie der Stimmrechtskraft der Proponenten ab. Wählt der Aktivist wie im Stada-Fall den Weg der unangekündigten Ergänzungsanträge zur Hauptversammlung (Abwahl und nachfolgende Neuwahl von Aufsichtsratsmitglieder), kann es sehr sinnvoll sein, die Hauptversammlung zu vertagen, um eine sachorientierte und bestmöglich informierte Meinungsbildung sowie eine hohe Mobilisierung der Aktionäre zu erreichen und damit zufällige Abstimmungsergebnisse auszuschließen. Plant die Gesellschaft Dividendenausschüttungen, so kommt im Regelfall eine Vertagung über den Ablauf des achten Monats nach Geschäftsjahresende hinaus nicht in Betracht.Das Krisenreaktionsteam wird in der Regel drei Handlungsstränge verfolgen: In erster Linie geht es um die Entwicklung einer eigenständigen und im Unternehmensinteresse liegenden Positionierung zu den Kritikpunkten, also z. B. um die Festlegung eines adäquaten Dividendenbetrags, die strukturierte und transparente Suche nach Wahlkandidaten für den Aufsichtsrat, die Entwicklung eines neuen Vorstandsvergütungssystems oder die Änderung von Corporate Governance-Praktiken.Steht die personelle Neubesetzung des Aufsichtsrats an, sollte bei der Zusammensetzung des Nominierungsausschusses auf einen Mix geachtet werden aus solchen Personen, die den Aufsichtsrat verlassen und daher interessenkonfliktfrei sind (Vorsitz!), und solchen, die auch zum Zukunftsteam gehören sollen. Auf der Basis eines mittelfristigen AR-Arbeitsprogramms sind ein Anforderungstableau für dessen Zusammensetzung sowie Einzelprofile zu erstellen und es sind dann häufig mit Unterstützung externer Personalberater die Wahlkandidaten auszuwählen. Die Kandidaten müssen inhaltlich in das “Wahlprogramm” eingeführt und auf die öffentliche Debatte bis zur und auf die Hauptversammlung vorbereitet werden.Die Anforderungsprofile und der Prozess sollten durch Website-Veröffentlichung transparent gemacht werden. Die aus der Sphäre der Aktivisten kommende Kritik kann z. B. auch zur Revision der eigenen Geschäftsplanung und zur erstmaligen Veröffentlichung einer Mehrjahresguidance führen, aber auch zu internen Untersuchungen zu Compliance-Vorwürfen.Ein zweiter, wesentlicher Workstream ist die Identifikation, Kommunikation und Motivation der Aktionäre und sonstigen wesentlichen Stakeholder. Die Hauptrolle gebührt dem Vorstand. Aber entsprechend den neuen “Leitsätzen für den Dialog zwischen Investor und Aufsichtsrat” wird der Aufsichtsratsvorsitzende in Einbindung in das übergeordnete und vom Vorstand verantwortete IR-Konzept zu Corporate-Governance-Themen kommunizieren. Das Bestehen beider Stränge darf die One-Voice-Politik des Unternehmens nicht beeinträchtigen.Die Kommunikation erfolgt direkt gegenüber wesentlichen Aktionären und potenziellen Investoren, zu Stimmrechtsberatern, zu Privataktionären, aber auch nach innen zu Führungskräften und Arbeitnehmern sowie zu wesentlichen Vertragspartnern. Kommunikationsmedium, Präsentationsform und Detailinhalte sind auf die Empfänger anzupassen. Bezogen auf die Hauptversammlung ist größtmögliche Transparenz durch die Website-Veröffentlichung von Investorenpräsentationen und eines FAQ-Katalogs herzustellen.Zur HV-Vorbereitung als drittem Workstream gehört regelmäßig die Prüfung der Stimmrechtsberechtigung durch den Versammlungsleiter, insbesondere bei Anhaltspunkten für die Verletzung kapitalmarktrechtlicher Meldepflichten. Dann ist die Gesellschaft verpflichtet, diesen Sachverhalt der BaFin mit der Bitte um Untersuchung zu übermitteln. Die BaFin-Untersuchung führt jedenfalls zu einem Disziplinierungseffekt in der Weise, dass die durchaus erlaubte Aktionärskommunikation hiernach zumeist in rechtlich einwandfreien Bahnen verläuft. Weiter gehört hierzu die minuziöse Vorplanung des HV-Ablaufs sowie aller denkbaren Abstimmungsszenarien, also einschließlich möglicher Ad-hoc-Anträge (Auftreten neuer Wahlkandidaten und Nichtkandidatur bekanntgemachter Wahlkandidaten) sowie von Minderheitenanträgen auf Vorab-Abstimmungen über Gegenkandidaten.Die Erkenntnisse hieraus müssen bei der Weisungsgestaltung berücksichtigt werden, ebenso wie die technischen Rahmenbedingungen bei den der Abstimmung zwischengeschalteten Intermediären. Schließlich kann es sich anbieten, die Versammlungsleitung einem externen Dritten zu überantworten, um einerseits die Hauptversammlung von unproduktiven Formaldebatten freizuhalten und andererseits dem AR-Vorsitzenden zu ermöglichen, die sachlichen und personellen Vorstellungen des Aufsichtsrats pointiert vorzutragen. KrisensituationDer Stada-Fall zeigt, dass der Proxy Fight eine Krisensituation ist, die sorgfältige Vorbereitung und Prophylaxe-Maßnahmen verlangt. Bei öffentlichem Auftreten aktivistischer Aktionäre ist eine durchgeplante, auf den Einzelfall abgestimmte Reaktionsstrategie vonnöten. Die Handlungsspielräume von Vorstand und Aufsichtsrat sind weit und sollten im Unternehmensinteresse auch ausgenutzt werden. Dabei gibt es in der Regel nicht ein oder zwei “Gewinnerthemen”, sondern der Erfolg beruht auf der Verfolgung von vielen Einzelmaßnahmen. Die Bedeutung passgenauer Stakeholder-Kommunikation und juristisch-technischer Detailmaßnahmen ist hierbei nicht zu unterschätzen.—-*) Prof. Dr. Christoph H. Seibt ist Partner im Hamburger Büro von Freshfields Bruckhaus Deringer und Honorarprofessor an der Bucerius Law School. Er hat Stada im Zusammenhang mit den jüngsten Aktionärsforderungen und zur Hauptversammlung 2016 beraten.