Healthineers gibt Mitbestimmung mehr Raum
Im Gespräch: Ralf Thomas
Healthineers mit mehr Mitbestimmung
„Ein sehr großer Schritt“ – Aufsichtsratschef bekennt sich zur Sparte Labordiagnostik und lobt den Vorstand
mic München
Wenn die Siemens-Healthineers-Aktionäre sich am Donnerstag am Bildschirm zur virtuellen Hauptversammlung versammeln, werden sie eine 64 Seiten dicke Tagesordnung vorfinden. Zwar nimmt der Vergütungsbericht einen Großteil des Raums ein, aber viele Seiten beschäftigen sich mit einem ungewohnten Thema: Teile des operativen Geschäfts der Siemens Healthineers GmbH sollen auf dem Wege einer Abspaltung auf die Siemens Healthineers AG übertragen werden. „Dies sieht natürlich nicht so spektakulär aus wie beispielsweise der Börsengang 2018, ist aber ein sehr großer Schritt für das Unternehmen“, erklärt Healthineers-Aufsichtsratsvorsitzender Ralf Thomas im Gespräch mit der Börsen-Zeitung.
„Kein reines Kostenthema“
Was passiert? 2018 wollte die Siemens AG ihr Medizintechnik-Geschäft ohne überflüssige Risiken auf das Parkett bringen. Da eine Abspaltung nicht nur die Zustimmung der Mitarbeiter, sondern auch der Aufsichtsbehörden wegen der Übertragung von Lizenzen in gut 100 Ländern erfordert hätte, landete Healthineers mit einer AG an der Börse, in der die GmbH die Geschäfte führte und die AG keinen mitbestimmten Aufsichtsrat hatte. Der IG Metall stand die Zornesröte im Gesicht.
„Die Veränderung, die wir nun der Hauptversammlung vorschlagen, versetzt uns in eine sehr gute Position für die Abarbeitung der strategisch ambitionierten Pläne“, erklärt Thomas, der zugleich auch Finanzvorstand der Siemens AG ist: „Wir erhoffen uns, dass wir die Vorteile, die wir auch in anderen mitbestimmten Unternehmen gesehen haben, in denen ich tätig sein darf, noch stärker zum Tragen bringen können.“ Die ebenfalls mitbestimmte Siemens AG hält 75% der Healthineers-Anteile.
Das Streichen einer Organisationsebene in der gesellschaftsrechtlichen Struktur sei damit kein reines Kostenthema, betont Thomas. Mitbestimmung sei eine sehr gute Regelung, sie fördere Motivation und nutze auch die Kompetenz der Belegschaft: „Sie trägt dazu bei, dass die Zugehörigkeit zum Unternehmen weit über den reinen Broterwerb hinausgeht.“ Als Dax-40-Unternehmen wolle Healthineers außerdem auch in der Governance zu den Spitzenwerten in Deutschland gehören: „Wir wollen nicht nur operativ exzellent sein.“ Das Timing sei günstig: Die Integration des US-Strahlentherapiespezialisten Varian gelinge, nun könne man diese weitere Aufgabe angehen.
Die neue Siemens Healthineers AG wird der HV-Einladung zufolge 20 Aufsichtsräte haben, während gesetzlich lediglich mindestens 16 Kontrolleure notwendig sind. Auf diese Weise könnten sich die bereits amtierenden Aufsichtsräte der Anteilseignerseite, die eine hohe Kompetenz mitbrächten, komplett für die neue Struktur zur Wahl stellen, sagt Thomas.
Thomas bleibt für weitere fünf Jahre
Die Amtszeiten werden gestaffelt, Thomas selbst bewirbt sich für eine fünfjährige Periode. Die Funktion sei de jure nicht an seine Rolle als Siemens-Finanzvorstand gekoppelt, sagt Thomas. Dort wird der 63-Jährige, der seit diesem Jahr auch einen Sitz im Aufsichtsrat der deutschen Allianz-Sachversicherungstochter hat, mit dem 14. Dezember 2026 ausscheiden.
Der Healthineers-Vorstand sei personell sehr gut aufgestellt, erklärt Thomas: „Es ist wünschenswert, dass es in dieser erfolgreichen Konstellation weitergeht.“ Aktuell sehe er auch keine Notwendigkeit, einen fünften Vorstand zu etablieren, damit das Unternehmen gut laufe. Nach vorn geblickt sei zwar richtig, dass Siemens Healthineers mit der Varian-Akquisition ein neues Feld betreten habe, aber er wolle in diesem Punkt nicht spekulieren, sagt Thomas mit Blick auf Folgen für die Vorstandsebene.
Nachhaltigkeit gewinnt an Bedeutung
Auf der Governance-Ebene habe Healthineers keine Lücken zu schließen, erklärt Thomas. Nachhaltigkeit gewinne aber immer mehr an Bedeutung, so dass es auch für Siemens Healthineers wichtig sei, hier rechtzeitig die Hausaufgaben zu machen. Beispielsweise komme der neue Magnetresonanztomograf mit einer Weinflasche voll Kühlmittel aus, statt 1.500 Liter zu benötigen.
Wichtig sei auch, dass sich die Arbeit der Gremien stärker professionalisiere: „Weiterbildungskonzepte werden in der Aufsichtsratsarbeit immer wichtiger.“ Darüber hinaus müsse ein global agierendes Unternehmen wie Siemens Healthineers darauf achten, den Governance-Regelungen in allen Erdteilen gerecht zu werden.
Sorgenkind auf gutem Weg
Das Geschäft mit der Labordiagnostik, das in der Vergangenheit als Dauerbaustelle galt, ist aus Sicht von Thomas auf gutem Weg. Mit Sharon Bracken habe Siemens Healthineers eine ausgezeichnete Führungspersönlichkeit für die Sparte gewonnen: „Ich habe mich an verschiedensten Stellen davon überzeugen können.“ Sie habe einen hervorragenden Track Record und das uneingeschränkte Vertrauen von Vorstand und Aufsichtsrat: „Alle Datenpunkte, die im operativen
Geschäft entstehen, sind sehr vielversprechend.“ Aber natürlich sei noch einiges zu tun.
Thomas weist Überlegungen in der breiteren Öffentlichkeit, dass Siemens Healthineers sich von der Sparte Labordiagnostik trennen könnte, zurück: „Es wäre kontraproduktiv, jetzt über die Zukunft zu spekulieren, falls etwas gegen unsere Erwartungen schiefgeht.“ Er gehe sowieso von einem Erfolg aus: „Dann haben wir ein riesiges Wertschaffungspotenzial.“ Natürlich müsse jedes Unternehmen prüfen, wie es seine Ressourcen – neben Geld auch Managementkapazität – allokiere, sagt der Aufsichtsratsvorsitzende.
Chancen für Labordiagnostik
Labordiagnostik sei aber ein sehr relevantes gesundheitstechnisches Spielfeld. Vielleicht werde es in Zukunft noch relevanter, wenn Pandemien – wie befürchtet – immer wieder aufträten. Eventuell könnten Standardtests entwickelt werden, die eine Bedrohung der Gesundheit frühzeitig erkennen ließen.
Möglicherweise sei auch die Forschung mit ihrem Versuch erfolgreich, synthetische Moleküle durch Simulationsprozesse effektiver und effizienter herzustellen: „Dann stände die Labordiagnostik in einem völlig neuen Licht da.“ Daher sei Geduld und Umsicht in diesem Feld
gefragt.
Als große Trends im Gesundheitswesen bezeichnete Thomas Digitalisierung und künstliche Intelligenz. Das Ziel in der Entwicklung sei, diagnostische Prozesse unmittelbar mit therapeutischen Entscheidungen zu kombinieren und so Nutzen für die Patienten zu schaffen.
Siemens Healthineers gibt der Mitbestimmung mehr Gewicht. Wenn die Aktionäre am kommenden Donnerstag zustimmen, erhält die AG einen mitbestimmten Aufsichtsrat. Die Organisation wird zudem vereinfacht. Das Timing sei günstig, erklärt Aufsichtsratsvorsitzender Ralf Thomas im Gespräch.