Zementhersteller

Holcim stutzt Zement-Geschäft

Holcim treibt den Umbau hin zu umweltfreundlicherem Geschäft voran und verkauft seine indischen Zementaktivitäten. Käufer ist der größte private Stromerzeuger Indiens, hinter dem der Multimilliardär Gautam Adani steht.

Holcim stutzt Zement-Geschäft

dz Zürich

Jede Münze hat zwei Seiten. Die Metapher erhält mit dem am Sonntagabend kommunizierten Verkauf des indischen Zementgeschäfts durch den Schweizer Holcim-Konzern eine ernüchternde Bestätigung. Während Holcim mit der Transaktion den Ausstoß von Treibhausgasemissionen um ein Viertel senken kann, erhält der Käufer, der indische Multimilliardär Gautam Adani, einen Hebel in die Hand, mit dem er sein Geschäft als Kohleproduzent und größter privater Stromerzeuger Indiens weiter voranbringen kann.

Adani zahlt 6,4 Mrd. sfr für die Mehrheit an den beiden Zementkonzernen Ambuja und ACC, in die sich Holcim ab 2005 schrittweise eingekauft hatte und so zum zweitgrößten Zementhersteller Indiens aufgestiegen war. Es sei „unmöglich“ gewesen, das Angebot auszuschlagen, sagte Holcim-Chef Jan Jenisch bei einer Telefonkonferenz mit Journalisten. Adani will die beiden an der Börse in Mumbai kotierten Gesellschaften vollständig übernehmen und dafür 10,5 Mrd. Dollar auf den Tisch legen. Das entspricht gut einem Drittel des aktuellen Börsenwertes von Holcim.

Indien hat 2021 gut ein Viertel zum gesamten Zementumsatz von Holcim in Höhe von 200,8 Mill. Tonnen beigesteuert. Allerdings ist das Geschäft in der Region überdurchschnittlich profitabel. Jenisch sagte, er sei mit Indien „nicht unglücklich“ gewesen. Aber der Manager will den Zementmulti grüner machen. Dazu muss er das Zementgeschäft verkleinern. Die energieintensive Zementherstellung verantwortet rund 7% der globalen Treibhausgasemissionen – viel mehr als die weltweite Flugbranche.

Holcim will das Geld in den Kauf von Baumaterialfirmen stecken, die einen Beitrag zur Steigerung der Lebenserwartung und zur Verbesserung der Ökobilanz von Gebäuden leisten. In den vergangenen 15 Monaten hat Holcim bereits mehr als 5 Mrd. sfr in solche Akquisitionen gesteckt. 3,4 Mrd. Dollar legte Holcim für den Kauf von Firestone, den amerikanischen Spezialisten für Flachdachbeschichtungen, hin. 1,4 Mrd. Dollar zahlte Holcim für die Firma Malarkey, die Schindeln zur Bedachung typisch amerikanischer Wohnhäuser herstellt.

Derzeit habe er etwa zehn Angebote für weitere Übernahmen dieser Art auf dem Tisch liegen, sagte Jenisch. Bis 2025 will Holcim das neue Geschäftssegment Products & Solutions auf 30% des Gesamtumsatzes ausweiten. 2021 waren es erst 11%. Jenisch erhofft sich, so den Wert von Holcim zu steigern. Die stark gestiegene Bedeutung von Nachhaltigkeitsratings bei Investoren hat die Börsenbewertung von Holcim aufgrund der CO2-intensiven Zementproduktion um 30% gedrückt, sagte er im Januar 2021.

Dem indischen Käufer Gautam Adani schwebt anderes vor. Im vergangenen Jahr schockte der Selfmade-Unternehmer mit einem geschätzten Vermögen von über 100 Mrd. Dollar die globale Klimabewegung mit dem Projekt, eine neue Kohlemine in Australien mit einer Kapazität von 60 Mill. Jahrestonnen zu graben. Indien braucht Unmengen australischer Kohle zum Betrieb von Kohlekraftwerken im eigenen Land. Rund 70% des indischen Stroms stammen aus Kohlekraftwerken. Und Adani ist der größte private Kraftwerksbetreiber Indiens.

In der Diversifikation in den Zementsektor sieht Adani erhebliches Synergiepotenzial. Die aus der Verbrennung von Steinkohle frei werdende Flugasche lässt sich dem Zement beimischen, was den Output steigert und auch die Qualität des Zements verbessern kann. Adani deponiert die überschüssige Flugasche seiner Kraftwerksbetreiberin Adani Power Maharashtra laut „Times of India“ in der Region Vidarbha im Zentrum des Landes auf einem ehemaligen Waldstück in der Größe von 150 Fußballfeldern und hat mit dem schwermetallhaltigen Material gravierende Umweltschäden angerichtet. Die lokalen Behörden wollten Adani zur vollständigen Wiederverwendung der Flugasche etwa in der Zementherstellung zwingen. Der Unternehmer hat sich gegen den Beschluss erfolgreich gewehrt. Immerhin ergibt sich dank der Holcim-Transaktion nun vielleicht doch noch eine Lösung des Problems.