Im gleichen Boot
Von Michael Flämig, München
Auf den letzten Metern des Konglomerat-Umbaus regnet es bei Siemens ins Kontor. In den vergangenen Jahren hatten die Münchner die Verkäufe von Unternehmensteilen großteils mit Sondergewinnen abgeschlossen. Diese Serie reißt mit der Ankündigung am Donnerstagabend, auf die 35%-Beteiligung an Siemens Energy 2,8 Mrd. Euro abzuschreiben (vgl. BZ vom 1. Juli). Fast zwei Jahre nachdem das Kraftwerksgeschäft an die Börse gegeben worden ist, zollt Siemens der Tatsache Tribut, dass die Energy-Beteiligung Siemens Gamesa – die Siemens Energy nun vollständig übernehmen will – vor einem langwierigen Turnaround steht.
Wer eine außerplanmäßige Abschreibung verkündet, der will sofort verkaufen: Diese alte Regel des Kaufmann-Einmaleins allerdings gilt in diesem Fall nicht. „Siemens hat immer darauf hingewiesen, die Beteiligung an Siemens Energy nach der Börsennotierung weiter zu reduzieren“, erklärte zwar ein Sprecher am Freitag. Er fügte allerdings in dem Statement hinzu: „Hinsichtlich des Timings und abhängig vom Marktumfeld wird eine umsichtige Entscheidung im Interesse aller Aktionärinnen und Aktionäre getroffen.“
Dies zeigt: Ralf Thomas will sich nicht geschlagen geben. Denn der Siemens-Finanzvorstand, der mit einem Vertrag bis 2026 ausgestattet ist, setzt auf die Sanierung von Geschäften, bevor er diese möglichst teuer verkauft. Diesen Ansatz verfolgte der Konzern erfolgreich bei anderen Randaktivitäten. „Das Kursziel der Analysten liegt deutlich über dem aktuellen Kursniveau von Siemens Energy“, erklärte Thomas schon im vergangenen Dezember im Interview der Börsen-Zeitung.
Dennoch sei Siemens jederzeit handlungsfähig, erklärte Thomas vor einem halben Jahr: „Eine wesentliche Reduktion der Beteiligung an Siemens Energy wird sich allerdings wie von Anfang an klar und unmissverständlich gesagt über einen längeren Zeitraum erstrecken.“ Zum Zeitpunkt seiner Einschätzung betrug der Aktienkurs von Siemens Energy rund 22 Euro, mittlerweile ist er auf 14 Euro zurückgegangen. Der Anfang 2021 erreichte Höchstkurs von gut 33 Euro liegt in weiter Ferne. Ebenfalls wichtig: Siemens wird nun erst einmal die geplante Kapitalerhöhung für die Übernahme von Siemens Gamesa abwarten, der Siemens-Anteil an Siemens Energy wird dann sowieso verwässert.
Die Siemens-Investoren zeigten sich am Freitag von der nicht zahlungswirksamen Abschreibung weitgehend unbeeindruckt – obwohl diese mehr als 3% der Marktkapitalisierung kostete. Der Aktienkurs ging vergleichsweise geringfügig um 1,1% auf 96,00 Euro zurück, während der Dax minimal im Plus lag.
Die Zurückhaltung erstaunt nicht, schließlich waren die Anleger vorgewarnt worden. Im Halbjahresbericht hatte Siemens darauf hingewiesen, der IFRS-Buchwert von 6,3 Mrd. Euro habe zwischenzeitlich mehr als 30% unter Marktwert gelegen. Dies war als Fingerzeig verstanden worden, dass eine Abschreibung erforderlich sein könnte.
Der HGB-Buchwert, der eine andere Beteiligungshöhe an Siemens Energy widerspiegelt, hatte Ende September 2021 laut Geschäftsbericht 5,3 Mrd. Euro betragen. Damals betrug der Energy-Aktienkurs 23,23 Euro. Der jetzigen Abschreibung liegt der Kurs von 13,99 Euro per Ende Juni 2022 zugrunde.