In den KI-nderschuhen
In den KI-nderschuhen
Jedes fünfte Unternehmen nutzt Künstliche Intelligenz, aber transformatorische Chancen eröffnet nur die Nutzung strukturierter Daten. Dabei kann Regulierung durchaus helfen, die Aufsicht aber auch noch „ordentlich Bremswirkung“ entfalten.
Von Heidi Rohde, Frankfurt
Disruptive Wirkung und transformatorische Chancen – der Einzug von Künstlicher Intelligenz (KI) in mehr und mehr Bereichen im Unternehmen hat sich 2024 beschleunigt. Nach einer Erhebung des IT-Verbands Bitkom setzt inzwischen jedes fünfte Unternehmen KI ein, wobei die Spanne weit reicht, von 13% bei kleinen Firmen bis zu über 31% bei großen. Auch bei den Investitionen steht die neue intelligente Software im Fokus. Im abgelaufenen Jahr hat schon mehr als Drittel der Wirtschaft in KI investiert, künftig wollen es drei Viertel tun.
Aber die wohlklingende Statistik sagt noch wenig über die Schlagkraft, die das entfaltet. Als erster Schritt stehen oft Effizienzpotenziale im Vordergrund. „Fast alle Unternehmen, die KI nutzen, bemühen sich zum Beispiel um eine intelligente Digitalisierung der Prozesse im Kontakt mit Kunden“, so Susanne Dehmel, Mitglied der Geschäftsführung beim Bitkom. Denn damit lassen sich Personal und Kosten sparen und durch Standardisierung auch Fehler vermeiden. Auch im Marketing ist der Einsatz von KI-Software schon verbreitet. Bosch erstelle damit beispielsweise Produktvideos, zugeschnitten auf die Kundenbedürfnisse in aller Herren Länder. Industrielle Anwendungsfälle gewinnen Kontur. Lufthansa teilte just mit, dass die Instandhaltungsprozesse mithilfe von KI optimiert werden sollen und auf diese Weise, die Zeit, in der Flugzeuge am Boden sind, um bis zu 10% reduziert werden könne.
Stufe eins überall gezündet
„Solche teilweise einfachen und vielfältigen Einsatzmöglichkeiten für KI hat die Wirtschaft inzwischen querbeet entdeckt. Es handelt sich dabei allerdings gewissermaßen um Stufe eins: "Ich nehme ein entsprechendes Programm von Microsoft, Google oder einer anderen Softwarefirma und lasse es für verschiedene Zwecke ausprobieren. Das hat allerdings noch keine transformatorische Wirkung“, so Kirsten Rulf, Partnerin bei Boston Consulting Group und bis Frühjahr 2023 Leiterin der Abteilung Digitalpolitik im Kanzleramt. Dafür müssten die Unternehmen die „nächste Stufe“ zünden. Als solche bezeichnet die Expertin „Leuchtturmprojekte“, durch die etwa ganze Abteilungen in ihrer Arbeitsweise transformiert werden oder eine neue Wissensbasis geschaffen wird, die viele Prozesse erneuert und erleichtert. Stufe drei wären dann zum Beispiel komplett KI-gesteuerte Teile einer Fertigungskette.
Daten fehlen
Um die nächsten Schritte zu gehen, fehlen laut Rulf indes noch Grundlagen. Und da beginnen, die Schwierigkeiten. Denn die Daten zu beschaffen, um eine KI so hinreichend zu trainieren, dass sie etwa komplexe Aufgaben wie das Design eines neuen Auto-Modells übernehmen kann, ist eine Herausforderung, die die Industrie in Deutschland erst noch meistern muss. „Alle Kernindustrien haben da eigentlich gute Voraussetzungen“, befindet die Managerin. Aber dennoch gibt es auf dem Weg zur Datensammlung und Datenaufbereitung noch zahlreiche Stolpersteine, der Fortschritt ist zäh.
Bestes Beispiel ist die deutsche Autoindustrie, die viele gute Voraussetzungen mitbringt. Die Branche ist stark automatisiert und digital – über die Cloud – vernetzt. Sie verfügt so über reiche Datenschätze, deren Wert auch bereits in Ansätzen über einen offenen kollaborativen Datenraum, die Plattform Catena X, gehoben wird. Der erste Betreiber, der den Datenaustausch für die Unternehmen ermöglicht, Cofinity X ist am Start, aber eben erst am Start.
Rahmen gesetzt
Wenn es um die Aufbereitung und Bereitstellung „strukturierter Daten“ geht, kommt allerdings nicht nur die IT von Unternehmen und Forschungsinstituten ins Spiel, sondern auch die staatliche Regulierung. Dabei hat die EU auf verschiedenen Ebenen einen Rahmen gesetzt: durch die Datenschutzgrundverordnung, durch den Data Act und zuletzt durch den AI Act. Gerade letzterer war von vielen Unternehmen, die KI anwenden wollen, grundsätzlich begrüßt worden, weil sie sich mehr Rechtssicherheit beim Einsatz von KI erhofften. In der Umsetzung liegt allerdings Sprengstoff. So kann insbesondere die konkrete Ausgestaltung der Aufsicht nach Einschätzung von Dehmel noch „ordentlich Bremswirkung“ entfalten. Neue Vorgaben und Aufwände gibt es sowohl „sowohl in hochregulierten Bereichen wie etwa Medizinprodukte oder Maschinen, als auch für Anwendungen, die bislang nicht unter eine entsprechende Produktregulierung fallen wie Software mit KI in Bewerbungsverfahren.“
Ein weiterer Bremsklotz ist bisher der Zugang der Unternehmen zu den benötigten Rechenkapazitäten. Der Bitkom hat erhoben, dass IT-Anwendungen in der Cloud sich bei den Firmen hierzulande bisher zu knapp 40% durchgesetzt haben. Der Sprung in eine Cloud-Umgebung ist aber vielfach Voraussetzung, um auf Computerkapazitäten zuzugreifen, die leistungsfähig genug sind, um eine KI mit Daten zu trainieren. Formal stehen die Supercomputer im Forschungszentrum Jülich der Wissenschaft und der Industrie zur Verfügung. „In der Praxis ist der Zugang für Unternehmen aber noch sehr schwer realisierbar“, moniert Dehmel.
Schub durch Data Act
Dagegen erwartet Rulf, dass die Implementierung des EU Data Acts neue Chancen eröffnet. Das Gesetz muss ab Mitte September 2025 in der EU einheitlich angewendet werden. Es ermöglicht Austausch und Nutzung von Unternehmensdaten. Die Datenhoheit liegt bei den Nutzern vernetzter Geräte. Den Herstellern obliegt es, ihre Produkte so zu gestalten, dass ein Datenaustausch technisch auch möglich ist. Rulf geht davon aus, dass die „Klarstellung, dass Nutzer über die Verwendung der Daten und vor allem die Konditionen der Weitergabe an Dritte bestimmen dürfen, neue datenbasierte Geschäftsmodelle fördern wird.“
Eine Rohstoffknappheit in Gestalt fehlender Datenmengen sollte die KI-Revolution also bald nicht mehr hemmen. Für die Bereitstellung der digitalen Infrastruktur mangelt es nicht am Wesentlichen: Kapital steht bereit, die Verbindung zur Wirtschaft muss noch hergestellt werden.
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