In Hauptversammlungen 2025 kommt es zum Schwur
In Hauptversammlungen 2025 kommt es zum Schwur
Zahlreiche Unternehmen müssen Ermächtigung für virtuelles Format der Aktionärstreffen erneuern − Zurückhaltung bei E-Aktie
Von Sabine Wadewitz, Frankfurt
Für die einen ist es auf gutem Weg zum Erfolgsmodell, für die anderen bleibt es eine Übergangslösung: Das in Pandemie-Zeiten eingeführte Format der virtuellen Hauptversammlung (HV) wird von Unternehmen mehrheitlich geschätzt, während viele Investoren lieber in Präsenz in den Austausch mit Vorstand und Aufsichtsrat gehen.
Neues Votum
In der Saison 2025 kommt es abermals zum Schwur, weil zahlreiche Gesellschaften die Satzungsermächtigung für das Online-Format erneuern müssen. Nachdem der Gesetzgeber dauerhaft die Möglichkeit für virtuelle Aktionärstreffen geschaffen hat, sind zahlreiche Unternehmen wegen des Widerstands auf Investorenseite vorsichtig vorgegangen und haben für die Ermächtigung nicht die Option von fünf Jahren ausgeschöpft, sondern sind zum Auftakt bei zwei Jahren geblieben. Auf der sicheren Seite waren indes Unternehmen, bei denen Großaktionäre das Ansinnen zum Online-Format unterstützen und kein Desaster in der Abstimmung über fünf Jahre drohte.
In beide Richtungen
Nach einer Umfrage der Kanzlei Taylor Wessing hat sich auf Seiten der Unternehmen unterdessen ein festes Meinungsbild herausgebildet. „Das Format hat sich 2024 nach dem bestandenen ersten Praxistest im Vorjahr fest etabliert“, sagt Nikolaus Plagemann, Aktien- und Kapitalmarktrechtler bei Taylor Wessing. Die Verteilung zwischen Online- und Präsenz-Format legt aus Sicht des Anwalts nahe, „dass die virtuelle HV vor allem für große Gesellschaften mit tendenziell vielen HV-Teilnehmern attraktiv ist und Kostenvorteile bietet, während kleinere Gesellschaften mit überschaubarem Aktionärskreis oftmals günstiger wegkommen, wenn sie die nächstgelegene Stadthalle mieten und ein Büffet aufbauen“.
Die Anzahl der im virtuellen Format durchgeführten Aktionärstreffen war 2024 der Studie zufolge vergleichbar mit dem Vorjahr. Allerdings sei durchaus eine Migration zwischen den Formaten zu erkennen. Laut Umfrage der Kanzlei haben 2024 etwa 10% der Teilnehmer das HV-Format im Vergleich zum Vorjahr gewechselt. Dabei ging es in beide Richtungen: Einige Unternehmen sind von der Präsenz-HV ins virtuelle Format gewechselt, andere umgekehrt. „Die erste Gruppe hat vermutlich noch abgewartet, wie die Avantgarde mit dem in 2023 erstmals anwendbaren neuen virtuellen HV-Format umgeht und welche Marktstandards sich entwickeln“, sagt Plagemann.
Nicht in Stein gemeißelt
Die Entscheidung zum Wechsel von der virtuellen HV zur Präsenz-HV dürfte nach Meinung des Anwalts in spezifischen Tagesordnungspunkten begründet sein. „Wenn es um wegweisende Beschlüsse geht wie zum Beispiel Strukturveränderungen, mag das Präsenz-Format vorzugswürdig erscheinen, um einer erwartungsgemäß intensiven Aussprache Rechnung tragen zu können. Ähnlich motivierte Entscheidungen erwarten wir auch in der Zukunft“, sagt Plagemann. Auch wenn viele Unternehmen das für sie passende Format gefunden hätten, dürften sie somit „abhängig vom Einzelfall und nach Bedarf“ zwischen Online- und Präsenz-HV hin und her wechseln. „Auch bei einer entsprechenden Ermächtigung ist das HV-Format nach unseren Erkenntnissen nicht in Stein gemeißelt, es wird jedes Jahr neu entschieden“, ergänzt Plagemann.
Mit Blick auf die 2025 anstehende Erneuerung der Ermächtigung empfiehlt Taylor Wessing ihren Mandanten, auf fünf Jahre zu gehen, wie es das Gesetz als maximal mögliche Befristung vorsieht. Damit könnten sie den formalen Aufwand einer häufigen Erneuerung reduzieren.
Frühzeitig abklopfen
„Natürlich sollte man gerade bei voraussichtlich knappen Mehrheitsverhältnissen die Erwartungen der Stakeholder möglichst frühzeitig abklopfen“, rät Sebastian Beyer, ebenfalls Experte für Aktien- und Kapitalmarktrecht bei Taylor Wessing.
Auf Aktionärsseite rechnet der Anwalt weiterhin mit Widerstand: „Die Schutzvereinigungen werden ihre Positionen sicher weiterhin selbstbewusst vertreten und die rein virtuelle Durchführung kritisieren. Nachhaltigkeit, Digitalisierung und Kosteneffizienzen stehen oft dem Wunsch nach persönlichem Dialog und aktiverem Austausch gegenüber, es ist also Bewegung in dem Thema. Das dürfte sich im kommenden Jahr neben der turnusmäßigen Neuermächtigung fortsetzen“, erklärt Beyer. Plagemann empfiehlt den Investoren, es „nicht ideologisch“ zu sehen. „Die Ermächtigung gewährt ja erstmal nur eine Befugnis. Wie nicht zuletzt unsere Studie zeigt, heißt das nicht zwangsläufig, dass sie ausgenutzt wird.“
Managergehälter im Fokus
Mit Blick auf HV-Inhalte gewinnt aus Sicht von Beyer die Vergütung von Vorstand und Aufsichtsrat an Relevanz, weil viele Stakeholder in dem Thema genauer hinschauten als vor einigen Jahren. Viele Unternehmen passten ihre Vergütungssysteme für den Vorstand an. Die Studie habe auch gezeigt, dass die Bedeutung nichtfinanzieller Vergütungsparameter zunehme – sei es durch Neuaufnahme oder Stärkung ihrer Gewichtung. „Das entfaltet eine Indikatorwirkung, die Unternehmen müssen darauf reagieren, wenn sie nächstes Jahr einen starken Rückhalt ihrer Aktionäre gewinnen, aber auch eine nachhaltige Corporate Governance belegen möchten“, sagt Beyer.
Breit diskutiert wird hierzulande auch das Thema Say on Climate. Die meisten Unternehmen befassen sich intensiv mit ihren Klimafahrplänen, sind aber noch nicht so weit, sie ihren Aktionären zur Abstimmung vorzulegen. „Hier zeichnet sich keine Welle ab: In der Studie haben nur rund 10% der Unternehmen geäußert, dass sie ein Say on Climate absehbar erwägen“, fasst Beyer das Szenario zusammen und ergänzt: „Der Weg, den Klimaplan ohne gesetzliche Grundlage auch der HV vorzulegen, scheint noch weit zu sein.“
Der Maschinen- und Anlagenbauer Gea war 2024 als Vorreiter in der Dax-Familie mit dem Say on Climate in die HV gegangen und fand gute Resonanz. Das könnte Unternehmen aus Sicht der Anwälte motivieren, dem MDax-Konzern hier zu folgen. „Viele Fälle sehen wir in den kommenden zwei Jahren noch nicht am Horizont“, dämpft Beyer die Erwartungen.
E-Aktie kein Renner
Zurückhaltend werden nach Kenntnis der Anwälte im Kreis der Emittenten auch die mit dem Zukunftsfinanzierungsgesetz neu geschaffenen Optionen betrachtet. Das betrifft die Möglichkeit der Einführung einer „E-Aktie“ sowie den erweiterten Spielraum für Kapitalerhöhungen. Der Gesetzgeber hat das Volumen für Kapitalerhöhungen aus genehmigtem Kapital mit vereinfachtem Bezugsrechtsausschluss von 10% auf bis zu 20% des Grundkapitals erhöht.
„Für die Möglichkeit, eine digitale „E-Aktie“ zu schaffen, hat bislang nur eine Handvoll Unternehmen einen Satzungsbeschluss herbeigeführt – die Vorteile sind nach unsere Studie noch nicht hinreichend greifbar“, erläutert Beyer. Zurückhaltung zeigten die Unternehmen auch mit Blick auf die Erleichterungen bei Kapitalerhöhungen.
Commerzbank geht voran
Die Commerzbank gehört zu den Vorreitern, die sich 2024 eine Ermächtigung für die Ausgabe elektronischer Aktien bei ihren Anteilseignern eingeholt hat. Eine Umstellung sei aber noch nicht geplant, hieß es in der HV-Einladung, die Bank wolle aber „zukunftsgerichtet“ die Grundlage für E-Aktien schaffen. Der Tagesordnungspunkt fand eine Zustimmung von 99,97%.
Das Gesetz sollte nach Vorstellungen der Bundesregierung die Attraktivität des hiesigen Kapitalmarktes verbessern, nachdem die Eigenkapitalbeschaffung in Ländern wie den Niederlanden deutlich einfacher war, die bisherige 10-Prozent-Grenze in Deutschland also häufig als Standortnachteil empfunden wurde. „Das hat bislang keinen großen Anklang bei den Unternehmen gefunden, auch weil Stimmrechtsberater und andere Stakeholder dem kritisch gegenüberstehen. Sie argumentieren, dass die Rechte der Aktionäre übermäßig beschnitten würden. Auch hier wird es interessant sein zu sehen, ob ein Sinneswandel eintritt“, sagt Beyer.
Die Studienergebnisse der Kanzlei würden das bislang nicht hergeben. „Es ist schon bedenklich, dass der Gesetzgeber zur Stärkung des Kapitalmarktes einen Schritt in die richtige Richtung geht und dies dann keine Akzeptanz findet“, bedauert Beyer.