GastbeitragNachhaltigkeit

Investieren in ESG – Trends und Chancen für 2024

Vermögensverwalter sollten sich intensiv mit den strategischen Implikationen, technischen Innovationen sowie regulatorischen Rahmenbedingungen der Klima-Transformation auseinandersetzen.

Investieren in ESG – Trends und Chancen für 2024

Gastbeitrag

Investieren in ESG – Trends und Chancen

Makroökonomische und geopolitische Risiken prägten den Jahresauftakt an den Märkten. Sie bieten wenig Rückenwind für Investitionen in Umwelt und Soziales. Gleichzeitig bleibt die Klima-Transformation die vielleicht größte ökonomische Aufgabe seit Beginn der Industrialisierung. Die gute Nachricht vorneweg: Anlagen in eine nachhaltige Wirtschaft bieten auch im Jahr 2024 interessante Opportunitäten. Für Investoren werden diese sechs Trends mittelfristig besonders wichtig:

Klimarisiken: Der jüngste Global Risks Report des World Economic Forums identifiziert fünf der zehn bedeutendsten langfristigen Risiken als umweltbedingt. 2024 steht außerdem der Höhepunkt des aktuellen El Niño im Südpazifik bevor. Das erhöht die Wahrscheinlichkeit von Extremwetterereignissen, insbesondere in der südlichen Hemisphäre. Zu den physischen Klimarisiken kommen die Folgen des Verlustes an Biodiversität und natürlichen Ökosystemen. Eine neue Studie der Universität Oxford beziffert den Wert dieser sogenannten naturbezogenen wirtschaftlichen Risiken auf 5 Bill. US-Dollar. Mindestens ebenso bedeutend sind transitorische Risiken. Der Klimaschutz zwingt Unternehmen zur Anpassung ihrer Betriebs- und Geschäftsmodelle. Eine aktuelle Umfrage von KPMG unter deutschen Managern zeigt, dass mehr als drei Viertel der Befragten in den nächsten drei bis fünf Jahren signifikante Auswirkungen auf ihr Produkt- und Serviceportfolio erwarten.

Investments in Naturkapital: Sogenannte Nature Based Solutions sind integraler Baustein der Klimawende. Auf der Weltnaturkonferenz COP15 verpflichteten sich 2022 mehr als 190 Länder dazu, 30% der globalen Ökosysteme bis 2030 wiederherzustellen und zu schützen. Die neue EU-Verordnung zu entwaldungsfreien Lieferketten verlangt von Unternehmen relevanter Sektoren die Herkunft ihrer Rohstoffe zu prüfen. Die Taskforce on Nature-related Financial Disclosures (TNFD) hat Empfehlungen für eine naturbezogenen Berichterstattung von Unternehmen veröffentlicht. Auch das Interesse am Anlagesegment Natur nimmt zu. Investitionen sind mittlerweile in diversen Asset-Klassen, sowohl im Eigenkapital- als auch im Fremdkapitalbereich möglich. So hat auch der Anteil grüner Anleihen mit einer Mittelverwendung für den Erhalt der biologischen Vielfalt stark zugenommen.

Transition Plans: Die Umsetzung von Klimazielen gerät in das Zentrum der Aufmerksamkeit von Investoren und Regulatoren. Durch die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) der EU oder das Transition Plan Disclosure Framework in Großbritannien, werden Unternehmen jetzt angehalten, ihre Fortschritte auf dem Weg zur Netto-Null-Emission transparent zu machen. Rund 40% der globalen Marktkapitalisierung, gemessen am MSCI All Country World Index entfallen auf Unternehmen, die sich wissenschaftlich fundierte Net Zero Ziele gesetzt haben. Jedoch sind diese nur für ungefähr 20% der Emissionen des Index verantwortlich. Besonders wichtig sind deshalb Investitionen in die Dekarbonisierung von Branchen mit hohen Emissionen, wie Stahl, Zement oder Chemie. Noch existiert kein globaler Standard für die Definiten von Transition Investments, trotzdem sollten sie Bestandteil professioneller Klima-Portfolios sein.

ESG-Daten: Die bereits genannte CSRD ist ein Meilenstein in der ESG-Berichterstattung. Investoren stehen jetzt vor der Herausforderung, sich auf eine umfangreiche Datenflut vorzubereiten. Etwa 50.000 Unternehmen in Europa werden perspektivisch von diesen neuen Berichtspflichten erfasst. Sie müssen in Zukunft eine breite Palette an Nachhaltigkeitsindikatoren offenlegen, darunter teilweise auch aus bisher weniger beachteten Bereichen wie Biodiversität, Kreislaufwirtschaft oder Wassermanagement. Für Finanzmärkte besonders relevant wird die neue Transparenz zu Klimarisiken und Dekarbonisierung. Die verfügbaren ESG-Daten bewirken eine größere Vergleichbarkeit der ESG-Performance von Unternehmen. Die Relevanz von Nachhaltigkeitsaspekten in Investitionsentscheidungen dürfte das stärken.

CO2-Emissionszertifikate als Anlageklasse: Die Finanzwelt interessiert sich zunehmend für die Preisentwicklung von Zertifikaten des Europäischen Emissionshandelssystems (ETS) sowie von Carbon Allowances des US-Bundesstaates Kalifornien. Sowohl das EU-ETS als auch das System des California Air Resources Board (CARB) operieren auf Basis eines „Cap and Trade“-Prinzips. Ein großer Unterschied zu konventionellen Rohstoffmärkten besteht darin, dass das Angebot an Zertifikaten planmäßig und regelmäßig sinkt. Die Folge ist eine Verknappung des Angebots. Derzeit bewegt sich der Preis für ein Emissionsrecht für eine Tonne CO2 in der EU unter 70 Euro. Prognosen zufolge könnte dieser Preis bis zum Jahresende deutlich ansteigen. Es entstehen bereits erste Anlageprodukte, die auch für Privatanleger zugänglich sind.

Das Akronym ESG: Es wird (gerade in den USA) weiter politisiert – ganz besonders im Jahr der US-Präsidentschaftswahl. Konservative Milieus in den USA haben im sogenannten Woke Capitalism ein Feindbild gefunden. Republikanisch regierte Staaten wie Florida oder Texas erließen Verbote für der Berücksichtigung von ESG in der Verwaltung öffentlicher Gelder. Große Asset Manager sitzen zwischen den Stühlen – sie werden von Klima-Aktivisten und -Aktivistinnen zu mehr Fokus auf das Thema Nachhaltigkeit gedrängt, von konservativen Stimmen jedoch zum genauen Gegenteil. Immer öfter wird die Abkürzung ESG in der Außenkommunikation deshalb faktisch fallengelassen.

Fazit: Wichtig für Vermögensverwalter ist eine tiefgehende Auseinandersetzung mit den strategischen Implikationen, technischen Innovationen sowie regulatorischen Rahmenbedingungen der Klima-Transformation. Die Abkürzung ESG mag unter Druck geraten. Für die Themen, die in ihr stecken, gilt das keinesfalls.

Dr. Benedikt Herles ist Head of ESG Innovation & Insights bei KPMG.