„Investoren schauen kritischer auf Vorstandsgehälter“
Im Gespräch: Ralph Lange
„Investoren schauen kritischer auf Vorstandsgehälter“
Der Experte für Executive Compensation der Unternehmensberatung WTW mahnt Transparenz und einen engen Dialog über die Vergütungssysteme an.
Von Sabine Wadewitz, Frankfurt
Institutionelle Anleger fordern Transparenz und Nachvollziehbarkeit in den Anreizsystemen zur Bezahlung von Vorständen. Unternehmen sind aus Sicht des Vergütungsexperten Ralph Lange von der Unternehmensberatung WTW gut beraten, rechtzeitig mit ihren Investoren in den Austausch zu gehen.
Höhe und Ausgestaltung der Managergehälter haben in der Hauptversammlungssaison 2024 breiten Raum eingenommen. Das Thema hat für Investoren in den vergangenen Jahren stetig an Bedeutung gewonnen, zumal die Mitspracherechte der Aktionäre gesetzlich erweitert wurden. Seitdem sind börsennotierte Unternehmen aufgefordert, jedes Jahr auf der Hauptversammlung (HV) den Vergütungsbericht zur Abstimmung zu stellen – international schon lange geübte Praxis. Mindestens alle vier Jahre muss in Deutschland auch ein Votum über das Vergütungssystem auf die Tagesordnung. Das Say on Pay ist nicht bindend, fordert den Aufsichtsrat aber klar zum Handeln auf, wenn Investoren die Gelbe oder Rote Karte zücken.
Im HV-Jahrgang 2024 zeigt sich in den Abstimmungsergebnissen zu den Vergütungsthemen ein gemischtes Bild. In den Voten zum Vergütungsbericht ist der Durchschnittswert im Dax 40 nach einer Aufstellung der Aktionärsvereinigung DSW im Vergleich zu den beiden Vorjahren weiter nach oben gegangen auf einen Wert von 90,24%. Das schlechteste Votum kassierte Vonovia mit 58,31%. Eine klare Ansage bekam auch Adidas mit 58,92%.
Schlusslicht Vonovia
In der Billigung des Vergütungssystems ging es im Durchschnitt nach unten auf einen Wert von 87,10%, nach 94,83% im Jahr 2023. Mit dem Votum stiegen im laufenden Turnus 14 Unternehmen in den Ring, 2023 waren es elf. Schlusslicht war auch hier der Immobilienkonzern Vonovia, der in der Abstimmung mit 40,41% Ja-Stimmen die Mehrheit verfehlte. Gerade noch durchgekommen ist MTU mit dürftigen 56,51% der Stimmen. Adidas steht in dem Votum über das System mit 94,8% deutlich besser da als in der Abstimmung über den Vergütungsbericht.
Aus Sicht von Vergütungsberatern ist die Meinungsbildung aufseiten der Anleger in stetiger Anpassung. „Man merkt, dass die Investoren in den Abstimmungen über die Vergütungssysteme kritischer werden“, mahnt Ralph Lange, Senior Director Executive Compensation in der Unternehmensberatung WTW.
Wer „gute Abstimmungsergebnisse“ erzielen wolle, müsse sich mit den Erwartungen der Investoren und Stimmrechtsberater an die Vergütungssysteme auseinandersetzen. Und es geht um Transparenz: „Die Vergütungsberichte sind zu überarbeiten, wenn sie für Externe nicht nachvollziehbar sind“, sagt Lange. Man habe in der jüngsten HV-Saison feststellen können, dass einige Unternehmen ihre Berichte überarbeitet hätten, ohne am System etwas zu verändern. Allein dadurch hätten sie deutlich bessere Abstimmungsresultate erzielt.
Neuralgische Punkte
Der Berater empfiehlt den Unternehmen, in dem Thema im regelmäßigen Austausch mit den wesentlichen Investoren zu bleiben. Nur dann könnten sie sicherstellen, dass Anpassungen im Vergütungssystem auf Anlegerseite verstanden würden. Gleichzeitig brauche man den Dialog, um Bedenken der Investoren individuell zu erörtern. Denn in manchen Punkten sei die Kritik etwa von Stimmrechtsberatern nicht konsistent. Mancher Aspekt werde in dem einen Unternehmen moniert, im anderen nicht, erklärt Lange.
Ralph Lange, Vergütungsexperte von WTWInvestoren haben in den vergangenen Jahren auf neuralgische Punkte hingewiesen und setzen das in den Abstimmungen konsequent um.
„Investoren haben in den vergangenen Jahren auf neuralgische Punkte hingewiesen und setzen das in den Abstimmungen konsequent um“, sagt Lange. Die meisten Unternehmen hätten darauf reagiert, „so dass die Abstimmungsergebnisse im Durchschnitt gar nicht so schlecht sind, auch wenn sie teilweise runtergehen“, sagt er. Es gebe dabei auch Unternehmen, „die bewusst eine konträre Position vertreten und rückläufige Abstimmungsergebnisse in Kauf nehmen“.
Investoren mögen keine Überraschungen
Investoren schätzen Vorhersehbarkeit und nachvollziehbare Regeln für die Vorstandsgehälter. So gab es auch in der HV-Saison 2024 Kritik an ungenauen Abweichungsklauseln. Diese Bestimmungen erlauben es dem Aufsichtsrat, in bestimmten Ausnahmesituationen vom Vergütungssystem abzuweichen. Das kann die Entlohnung insgesamt oder einzelne Komponenten betreffen. „Unternehmen können gegebenenfalls andere Kennzahlen heranziehen oder die Zielkurven für die Vergütung neu definieren“, erklärt Lange.
Dabei lehnen Investoren Anpassungen nicht grundsätzlich ab, sie fordern aber konkrete Angaben, in welchen Situationen diese Klauseln greifen können. Diese Transparenz stellen viele Unternehmen nicht her. „In wenigen Fällen wird genau genannt, in welchen spezifischen Situationen der Aufsichtsrat vom Vergütungssystem abweichen kann und in welche Vergütungskomponenten wie eingegriffen werden kann“, sagt der Berater.
Zu breit gefasst
Viele Unternehmen hätten den Wunsch, den Rahmen für Abweichungsklauseln sehr breit zu definieren. Lange zeigt dafür ein gewisses Verständnis. Es sei schließlich schwer vorherzusagen, welche ungewöhnlichen Situationen auftreten könnten, die zu unerwünschten Effekten führen, auf die der Vorstand nur einen geringen Einfluss habe. „Wer hätte mit einer Pandemie oder einem Krieg in der Ukraine gerechnet?“
Häufiger Kritikpunkt sei auch die Festlegung der Ziele im Long Term Incentive gewesen. Deutsche Unternehmen setzten für die relative Aktienperformance (Total Shareholder Return) in der Regel eine symmetrische Kurve an. „Liegt die Performance auf Höhe der Vergleichsunternehmen, gibt es eine Auszahlung für 100% Zielerreichung“, so Lange. In Ländern wie Großbritannien komme es dagegen erst zu einer Auszahlung, wenn der Median erreicht sei. „Man muss sich also oberhalb des Marktes entwickeln, um eine LTI-Auszahlung zu bekommen.“
Unternehmen reagieren
Einige Unternehmen hätten inzwischen auf die Kritik reagiert und seien etwas anspruchsvoller in der Festlegung der TSR-Kurve. Lange hält die symmetrische Kurve durchaus für gerechtfertigt. „Wer seine Zielvergütung nur erhält, wenn die Aktienrendite besser ist als der Markt, hat den Anreiz, ein höheres Risiko einzugehen“, gibt er zu bedenken.
Ralph Lange, WTWEs gibt aus der Historie heraus relativ hohe Pensionszusagen. Das stößt bei Investoren und Stimmrechtsberatern auf Bedenken.
Einen relativ neuen Kritikpunkt habe 2024 der Stimmrechtsberater ISS eingebracht. Er habe moniert, dass die Vergütungssysteme nur begrenzt über die Höhe der Grundvergütung informierten. Das Fixum sei nur bedingt nachvollziehbar, so die Kritik. „Unsere Vermutung ist, dass es um den Prozess der Vergütungsanpassung geht“, meint Lange. ISS wolle also wissen, in welchem zeitlichen Rahmen angepasst werden könne und wie der Prozess ablaufe. Hintergrund der Kritik könnte aus Sicht von Lange sein, dass die Vorstandsvergütung in anderen Ländern „deutlich stärker vorwärtsgerichtet offengelegt wird“.
So informierten Unternehmen im Ausland beispielsweise im Vergütungsbericht des laufenden Jahres bereits über Anpassungen der Festgehälter in der Führungsriege im kommenden Turnus. In Deutschland sei der Vergütungsbericht dagegen rückwärtsgerichtet.
Dauerbrenner Pensionen
Dauerbrenner in der Kritik ist in Deutschland das Thema Pensionen. „Es gibt aus der Historie heraus relativ hohe Pensionszusagen. Das stößt bei Investoren und Stimmrechtsberatern auf Bedenken“, sagt Lange. Doch die Konzerne reagieren. Es sei ein gewisser Trend zu einem Versorgungsentgelt zu erkennen. „In dem Modell erhalten die Vorstände jährlich eine Auszahlung und sorgen damit selbst für ihr Alter vor“, erläutert Lange. „Die Unternehmen haben damit keine Risiken mehr aus der Altersversorgung und keine nachlaufenden Zahlungen an Vorstände.“
Größeres Augenmerk legen Unternehmen auf die Konkretisierung von ESG-Zielen in der Vorstandsvergütung. Investoren hatten in der Vergangenheit moniert, dass die gesteckten Umwelt- und Nachhaltigkeitsziele oft nicht ausreichend ambitioniert sind. Der Trend gehe nun dahin, ESG-Kriterien als eigenständige Ziele festzulegen und separat zu gewichten. Unterdessen hätten 75% der Dax-Unternehmen ESG-Kriterien auch in den Long Term Incentives vorgesehen.