„Ist China der Zukunftsstandort?“
Von Joachim Herr, München
Die strengen Lockdowns in China haben die Cherry AG hart getroffen. Rolf Unterberger, der Vorstandschef des Herstellers von Computermäusen, Tastaturen und Schaltern für Gaming, Büro, Industrie und Gesundheitswesen, klagt über die Folgen der Schließungen von Fabriken der Zulieferer und von Lagerhäusern sowie der eigenen Fertigung in Zhuhai in der Provinz Guangdong.
Die Lieferzeiten für manche Bauteile hätten sich auf ein Jahr oder sogar etwas mehr verlängert. „Am schlimmsten war der Lockdown in Schanghai“, sagt Unterberger im Gespräch mit der Börsen-Zeitung. „Dort sitzt unser zweitgrößter Distributor.“ Cherry habe diesen gebeten, kurzfristig ein kleines Lagerhaus zu bauen, um von dort wenigstens die Städte zu beliefern, die nicht im Lockdown waren.
Im eigenen Werk in Zhuhai gelang es immerhin, weiter zu produzieren, da loyale Mitarbeiter die Fabrik nicht verließen und dort übernachteten, wie Unterberger berichtet. In China beschäftigt das Unternehmen 80 bis 90 Mitarbeiter, am Hauptsitz in Auerbach in der Oberpfalz mehr als 350 der insgesamt rund 540. Der dritte Produktionsstandort ist in Wien. In Auerbach ist ein Teil der Beschäftigten seit April in Kurzarbeit.
Nach den Erfahrungen mit dem Standort in China während der Pandemie antwortet Unterberger auf die Frage nach den Perspektiven: „Man muss sich grundsätzlich überlegen, ist China der Zukunftsstandort einer eigenen Produktion oder von Sublieferanten?“ Viele in der Branche dächten über Vietnam nach, auch Cherry. „Es hat aber keinen Sinn, eine Fertigung in Vietnam zu haben, wenn die Supply Chain in China sitzt“, meint Unterberger. Eine Verlagerung sei deshalb ein langfristiges Thema. Es dauere Jahre, ein Netzwerk aufzubauen. Ob der Schritt aus China letztlich gemacht werde, sei fraglich.
Stark automatisiert
Generell spielen die Arbeitskosten für Cherry nicht die große Rolle. Unterberger begründet dies damit, dass die Materialkosten etwa die Hälfte ausmachten und der Automatisierungsgrad der Fertigung hoch sei. Ob eine Maschine der nächsten Generation mit einer erheblich verbesserten Effizienz in China, Deutschland oder der Slowakei stehe, bedeute keinen großen Kostenunterschied, erläutert der Vorstandschef. Von den stark gestiegenen Materialpreisen könne Cherry einen Teil weitergeben: „Wir liegen bei ungefähr 60%.“
Umsatz und Ergebnis in diesem Jahr hängen nach Unterbergers Erwartung aber vor allem davon ab, wie schnell sich die Lockdowns in China auflösen oder ob es sogar neue gibt. Für dieses Jahr erwartet das Unternehmen einen Umsatz von 170 Mill. bis 190 Mill. Euro. Verglichen mit dem Wachstum von gut 29% im vergangenen Jahr auf 169 Mill. Euro bedeutete dies eine klare Abschwächung. Die Umsatzrendite bezogen auf das bereinigte operative Ergebnis (Ebitda) soll 23 bis 26% erreichen: ein Rückgang nach zuletzt 29%.
Dem Aktienkurs gibt diese Perspektive keinen Schub – im Gegenteil. Wie für zahlreiche Technologiewerte geht es auch für Cherry abwärts. Seit dem 29. Juni des vergangenen Jahres sind die Aktien im Prime Standard der Frankfurter Börse notiert. Vom Emissionspreis von 32 Euro ist aktuell nicht einmal ein Viertel geblieben.
Erstmals unter Druck geraten war der Kurs im September, als der Hamburger Finanzinvestor Genui seinen restlichen Aktienanteil von 13% verkaufte. Einziger großer Aktionär mit einem zweistelligen Anteil ist seitdem die US-amerikanische Private-Equity-Firma Argand Partners, die 30,8% besitzt. Die Marktkapitalisierung von Cherry fiel vom Höchststand von rund 950 Mill. Euro im August auf derzeit 172 Mill. Euro.
Drei Trends
Unterberger zeigt sich aber zuversichtlich, vom kommenden Jahr an zu einem starken Geschäftswachstum zurückzukehren. „Wir bereiten uns darauf vor.“ Es gebe drei Trends, die Cherry weiter beflügelten: „Gaming wächst weiter“, sagt er an erster Stelle. Zweitens bleibe das Arbeiten von zu Hause auch nach der Pandemie bedeutend: „Die Basis ist größer geworden.“ Und: „Wir sind einer von zwei Playern im deutschen Gesundheitswesen.“ Cherry bietet hier unter anderem Lesegeräte für Chipkarten an.
„Was wir beeinflussen können, müssen und werden wir tun“, betont Unterberger mit Blick auf den Aktienkurs. Dazu gehört auch, dank der Mittel aus dem Börsengang die Professionalität im Unternehmen zu steigern – etwa indem neue Produkte schneller auf den Markt gebracht werden und die Bekanntheit der Marke erhöht werden soll. Zudem schaut sich der Vorstand weiterhin nach Zukäufen um. Im Blick stehen Firmen mit einem Jahresumsatz von 10 Mill. bis 50 Mill. Euro, wie Unterberger berichtet.