UNTERM STRICH

Jedem Vorstand sein Deckelchen

Börsen-Zeitung, 16.11.2019 Das Leben besteht aus Kompromissen, in der Politik sowieso. Ob gefundene Lösungen als "kluger" Kompromiss oder als "fauler" Kompromiss bewertet werden, liegt im Auge des Betrachters. So auch bei den Regelungen zur...

Jedem Vorstand sein Deckelchen

Das Leben besteht aus Kompromissen, in der Politik sowieso. Ob gefundene Lösungen als “kluger” Kompromiss oder als “fauler” Kompromiss bewertet werden, liegt im Auge des Betrachters. So auch bei den Regelungen zur Vorstandsvergütung, über die sich die Regierungskoalition nach langem Hin und Her in der zurückliegenden Woche endlich verständigt hat und die zunächst den Rechtsausschuss und dann auch den Bundestag passiert haben. Die Zustimmung im Bundesrat Ende des Monats gilt als sicher, so dass das Gesetz zur Umsetzung der zweiten Aktionärsrechterichtlinie (Arug II) zum 1. Januar 2020 in Kraft treten kann. Nach der EU-Vorgabe hätte die Bundesregierung die Umsetzung in nationales Recht bis zum 10. Juni erledigen müssen, doch in der Vergütungsfrage waren sich schwarze und rote Regierungsfraktion lange Zeit nicht grün. Aufsichtsrat oder Aktionär?Der Streit drehte sich vor allem um die Frage, ob für die Festsetzung der Vorstandsvergütung wie bisher der Aufsichtsrat oder – wie von vielen Aktionärsvertretern mit Sympathisanten im CDU-Lager gefordert – die Hauptversammlung zuständig sein solle. Die von der Politik gefundene Antwort: Beide sind zuständig. Der Aufsichtsrat legt das Vergütungssystem fest und muss künftig sogar eine Maximalvergütung der Vorstandsmitglieder bestimmen, also einen Cap definieren. Damit erhebt der Gesetzgeber zur Pflicht, was in vielen Dax-Konzernen gelebte Praxis ist. Allerdings kann die Hauptversammlung diesen Deckel der Vergütung – entweder für die Bezahlung des Vorstands insgesamt oder nur für einzelne Vorstände – künftig durch HV-Beschluss verbindlich herabsetzen. Da Letzteres an eine ganze Reihe von Bedingungen geknüpft ist, unter anderem ein Mindestquorum von 5 % oder 0,5 Mill. Euro Nominalkapital am Grundkapital zur Erweiterung der HV-Tagesordnung, wird es faktisch bei der Verantwortung des Aufsichtsrats für die Vorstandsvergütung bleiben. Das freut das SPD-Lager, in dem Aktionäre immer noch mit dem Generalverdacht kapitalistischer Ausbeutung belegt werden, deren Macht zu beschneiden sei. Und via Aufsichtsrat haben in den großen mitbestimmten Unternehmen eben auch Betriebsräte und Gewerkschaftsfunktionäre ein Wörtchen bei der Vorstandsvergütung mitzureden – so sie denn von diesem Recht Gebrauch machen und sich nicht mit Deals an anderer Stelle kaufen lassen.Die Regierung war gut beraten, die grundsätzliche Zuständigkeit für die Vergütung beim Aufsichtsrat zu belassen. Wer die Vorstände aussucht und beruft, muss auch deren Bezahlung regeln und verantworten, zumal ein kluges Vergütungssystem ein zentrales Element zur Führung des Vorstands sein kann. Dass Aufsichtsräte damit überfordert seien, ist zwar durch zahlreiche Beispiele der Vergangenheit eine im Einzelfall gut zu belegende These, lässt sich aber dennoch nicht verallgemeinern. Wer dem Aufsichtsrat als Teil der Corporate Governance zumutet, über Fusionen, Unternehmensabspaltungen, milliardenschwere Investitionsprogramme und den Erhalt oder Abbau von tausenden von Arbeitsplätzen entscheiden zu können, der sollte diesem Gremium auch die Festlegung der Vorstandsvergütung anvertrauen können.Dass der Gesetzgeber dem Aufsichtsrat dafür mit Arug II und der in Kürze folgenden Novellierung des Corporate Governance Kodex einige Leitplanken aufstellt, ist nach den Fehlleistungen etlicher Aufsichtsräte in Sachen Vorstandsvergütung nicht nur nachvollziehbar, sondern zu begrüßen. Zu oft fehlte es Aufsichtsräten am nötigen Fingerspitzengefühl, am gesellschaftspolitischen Verständnis oder schlicht am Mut, ausufernden Gehaltsvorstellungen von CEO-Kandidaten entgegenzutreten und sie auf ein angemessenes Maß zu stutzen.Als Korrektiv unserer eher repräsentativen Spielart von Aktionärsdemokratie ein stärker basisdemokratisches Element einzubauen, wie es auch dem politischen Zeitgeist entsprechen würde, und die Vorstandsvergütung verbindlich von den Aktionären in der Hauptversammlung bestimmen zu lassen, wäre kontraproduktiv. Denn die von der Gehälterdebatte betroffenen, überwiegend dem Dax angehörenden Gesellschaften liegen mehrheitlich in der Hand ausländischer, vornehmlich angelsächsischer Investoren. Den Vertretern der Fondsgesellschaften von der Insel oder aus Übersee freilich ist es am Ende egal, wie viel der Vorstand verdient, solange er den Shareholder Value maximiert.Wer amerikanische Maßstäbe anlegt, wird die meisten Dax-Vorstände für unterbezahlt halten. Und er wird sich auch nicht daran stoßen, wenn der Vorstandsvorsitzende ein Vielhundertfaches des Durchschnittslohns eines Mitarbeiters der Firma verdient. Da angelsächsische Investoren sich beim Abstimmungsverhalten zunehmend von Stimmrechtsberatern wie ISS und Ivox Glass Lewis leiten lassen, denen die hierzulande geltende Sozialbindung von Eigentum unbekannt ist oder unter dem Modewort “Purpose” gerade erstmals begegnet, wäre eine weitere Kompetenzverlagerung vom Aufsichtsrat zur Hauptversammlung eine zweischneidige Sache. Aber weniger TransparenzWas allerdings nottut und mit dem Arug II eher einen Rückschritt erfährt, ist die Transparenz und Vergleichbarkeit in Vergütungsfragen – beim Gehaltspaket wie auch den Pensionsleistungen. Den auf dem Governance-Kodex basierenden und seit einigen Jahren etablierten Mustertabellen entzieht Arug II die rechtliche Grundlage. Insofern ist die Sorge berechtigt, dass man mit Arug II in Sachen Transparenz “zurück in die Steinzeit” fällt, wie es der Vergütungsberater Michael Kramarsch jüngst formulierte. Umso mehr ist künftig der Aufsichtsrat gefordert, in ihrer Wirkung nachvollziehbare und transparente Vergütungssysteme zu etablieren. Für Diskussionsstoff bereits in der nächsten Hauptversammlungssaison ist also gesorgt, auch wenn die neuen Vorschriften zum “Say on Pay” eine lange Übergangsregelung haben und erst ab Januar 2021 gelten. – c.doering@boersen-zeitung.de——Von Claus DöringDie Regelungen zur Vorstandsvergütung im Arug II nehmen den Aufsichtsrat in die Pflicht und ermöglichen Aktionären das Eingreifen. ——