Käufer neuer Lkw müssen lange warten
Von Joachim Herr, München
Wie passt das zusammen? Die europäischen Lkw-Hersteller kommen kaum nach, die Bestellungen abzuarbeiten. Sie haben ihre Auftragsbücher für dieses Jahr geschlossen, damit der hohe Bestand nicht noch weiter wächst. Gleichzeitig meldet der Herstellerverband Acea, dass die Neuzulassungen von Nutzfahrzeugen kräftig sinken: In den ersten sechs Monaten dieses Jahres brachen sie in der EU, in Großbritannien und der Efta um 20,7% ein.
Gros sind leichte Transporter
Grund für diesen nur scheinbaren Widerspruch ist in erster Linie der Rückgang der Zulassungen von leichten Nutzfahrzeugen mit einem Gesamtgewicht bis 3,5 Tonnen. Diese Klasse mit Transportern, die gemessen an der Stückzahl mehr als 80% ausmacht, erlitt von Januar bis Juni ein Minus von 24%. Dagegen hielt sich die Kategorie der schweren Laster mit einem Gesamtgewicht von 16 Tonnen und mehr mit einem leichten Zuwachs auf dem Niveau der ersten Hälfte des Vorjahres. Verglichen mit 2020 bedeuten die knapp 149000 Neuzulassungen schwerer Lkw sogar einen Sprung um 38% nach oben, verglichen mit 2019 ist es jedoch fast ein Viertel weniger.
Das verdeutlicht, wie hart die Coronakrise die Branche, die sich in diesen Tagen auf der Messe IAA Transportation in Hannover trifft, im ersten Halbjahr 2020 getroffen hat und welche Folgen die Pandemie bis heute hat, da es an Material und Komponenten mangelt – nicht nur an Halbleitern.
Es fehle auch an anderen Bauteilen bis zu Plastikverkleidungen, klagte Martin Daum, der Vorstandsvorsitzende von Daimler Truck, im vergangenen Monat. Tausende Lkw ständen deshalb auf den Höfen der Werke, da sie noch nicht ganz fertiggestellt seien – oder weil die Kunden zu wenige Fahrer hätten, die die Fahrzeuge abholten. Grund für den verschärften Mangel an Truck-Lenkern ist der Krieg in der Ukraine. Aus diesem Land sowie aus Weißrussland fehlen nun Fahrer in anderen Ländern, besonders in Polen.
Mehr Absatz wäre möglich
Ohne den Engpass an Bauteilen hätte Daimler Truck im vergangenen und in diesem Jahr jeweils mehr als 50000 Lkw in Nordamerika und Europa verkaufen können, wie Vorstandschef Daum vorrechnet. Bezogen auf den für dieses Jahr erwarteten Absatz von 500000 bis 520000 Nutzfahrzeugen wäre ungefähr ein Zehntel mehr drin. Die Kunden in Nordamerika und Europa brauchen deshalb eine Menge Geduld: In beiden Regionen ist das Unternehmen schon seit Monaten für dieses Jahr ausverkauft, in Europa werden nur selektiv Aufträge angenommen. Das heißt, dass etwa Speditionen ihren Ersatzbedarf nicht rasch befriedigen können.
Auch die Konkurrenten Volvo und Traton, die Nutzfahrzeugholding von Volkswagen, nehmen nur noch restriktiv Bestellungen für neue Lkw an (siehe Grafik). Das liegt nach Aussagen des Vorstands von Traton nicht nur an fehlenden Bauteilen, im Fall von MAN auch Kabelbäume von Zulieferern mit Werken in der Ukraine. Sondern auch daran, dass die Lieferzeiten für Lkw wegen des hohen Auftragsbestands ohnehin ziemlich lang seien. Die Zurückhaltung in der Annahme von Bestellungen schlägt sich im Auftragseingang nieder: Die schwedische Traton-Marke Scania meldete für die erste Hälfte dieses Jahres einen Rückgang des Auftragseingangs um 48%, die Münchner Schwesterfirma MAN von 29%.
Preise erhöht
Schwach entwickelt sich das Geschäft in China. Ein Grund ist die strikte Coronapolitik der Staatsführung. Zudem gilt seit 2021 eine neue Abgasnorm in China. Nachdem Kunden Käufe vorgezogen haben, dümpelt die Nachfrage nun dahin. Der Absatz von Daimler Truck mit Auman-Lkw des Joint Ventures Beijing Foton Daimler Automotive (BFDA) sank in China in der ersten Hälfte dieses Jahres um mehr als zwei Drittel. Volvo senkte die Marktprognose für China.
In den anderen Regionen profitieren Umsatz und Ergebnis der Lkw-Hersteller von höheren Preisen. Daimler Truck steigerte diese zuletzt in Europa in einer zweiten Runde. Hinzu kommt ein stärkeres Servicegeschäft (Aftersales). Zwar nahm auch der Absatz von Daimler Truck im ersten Halbjahr um 5,5% zu. Der Umsatz stieg aber um fast 18% auf 22,7 Mrd. Euro.
Die Zahlen von Traton geben die Geschäftsentwicklung verzerrt wieder, da Navistar, der in den USA übernommene Hersteller von Lkw und Bussen, seit Juli 2021 konsolidiert wird und folglich in der ersten Hälfte des Vorjahres nicht enthalten war. Die Umsätze der Marken MAN und Scania verringerten sich jedoch um 8 und 4 %. Das Minus war aber deutlich geringer als der Rückgang des Absatzes, der sich um jeweils etwa ein Viertel verringerte.
Unterproportionales Plus
Nicht ganz so stark wie der Umsatz von Daimler Truck nahm das um Sondereffekte bereinigte Ergebnis vor Zinsen und Steuern (Ebit) zu. Es stieg um gut 13% auf 1,66 Mrd. Euro. Das ergibt eine operative Marge von 7,3% nach 7,6% im Vorjahreszeitraum. Hier schlagen sich die deutlich gestiegenen Kosten für Rohstoffe, Material und Energie nieder. Der hohe Lagerbestand wegen der Engpässe in der Lieferkette wirkt sich erheblich auf den Cashflow aus: Fürs zweite Quartal weist Daimler Truck einen freien Mittelabfluss von 756 Mill. Euro aus.
Das bereinigte operative Ergebnis von Traton sank im Gegensatz zu Daimler Truck um fast 30% auf 798 Mill. Euro. Der Vorstand begründet dies außer mit den gestiegenen Beschaffungspreisen mit einer geringeren Auslastung der Produktionskapazität – als Folge der Engpässe in der Versorgung mit Bauteilen. „Die Verfügbarkeit von Halbleitern und weiteren wichtigen Komponenten wird zwar langsam besser, hat aber noch nicht Normalniveau erreicht“, sagte zuletzt Christian Levin, der schwedische Vorstandsvorsitzende von Traton.
Abschwung nicht in Sicht
Auch Daimler-Truck-Chef Daum rechnet hier nicht mit einer raschen Besserung, aber auch nicht mit einem Abschwung der Branchenkonjunktur. Er erwartet für 2023 abermals ein starkes Jahr: „Die Nachfrage wird weiterhin das Angebot übersteigen.“ Levin ist trotz einer heraufziehenden Rezession der Gesamtwirtschaft für die Nachfrage nach Lkw leicht optimistisch. Seine Begründung: Das Transportvolumen und die von Lkw gefahrenen Kilometer seien nach wie vor auf einem hohen Niveau. „Das wird aber nicht für immer so bleiben“, sagt Levin. Mittelfristig rechnet er mit einem Rückgang der Nachfrage.
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