RECHT UND KAPITALMARKT

Kleiner Bonus - große Folgen

Wie die Europäische Kommission und die Europäische Bankaufsichtsbehörde den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz umdeuten

Kleiner Bonus - große Folgen

Von Gunnar Schuster *)Der deutschen Kreditwirtschaft, insbesondere den zahlreichen kleineren und mittleren Instituten des Sparkassen- und Genossenschaftssektors, steht eine tiefgreifende Änderung bevor, sollte die Europäische Bankaufsichtsbehörde (EBA) an ihren Plänen festhalten, die europäischen Vergütungsregeln ohne Ansehung der Größe und Komplexität der betreffenden Banken durchzusetzen.Die deutsche Institutsvergütungsverordnung unterscheidet bislang zwischen “bedeutenden” und sonstigen Kreditinstituten. Während grundlegende Anforderungen an Vergütungssysteme für alle Kreditinstitute gelten, wozu auch die Bonusgrenze von 1 : 1 bzw. bei Zustimmung der Anteilseigner 1 : 2 gehört, werden die besonders komplizierten Vergütungsvorschriften auf “bedeutende” Institute beschränkt. Das sind alle Kreditinstitutsgruppen, die der Aufsicht der EZB unterstehen, potenziell systemgefährdend sind oder eine Bilanzsumme von mindestens 15 Mrd. Euro haben. Nur diese müssen bislang beispielsweise die Vorschriften über die Identifizierung von Risikoträgern oder die Regeln über mehrjährige Zurückbehaltungsfristen einhalten. Differenzierung auf der KippeDiese Differenzierung droht nun zu kippen. Denn die EBA und die Europäischen Kommission haben eine bedenkliche Kehrtwende bei der Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes eingeläutet.Die verschärften Anforderungen an Vergütungssysteme wurden nach der Finanzkrise eingeführt, um Fehlanreizen kurzfristig orientierter Bonussysteme in vornehmlich international tätigen Banken entgegenzuwirken. Die entsprechenden Empfehlungen des Financial Stability Boards (FSB) vom 2. April 2009 richteten sich demgemäß an alle bedeutenden Finanzinstitute, insbesondere die großen, systemrelevanten Banken. Sie wurden in einer ganz ähnlichen Empfehlung der Europäischen Kommission vom 30. April 2009 aufgegriffen, und zwar unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, damit kleinere Banken von unnötigen Kosten verschont bleiben.Genau diese Richtung schlug der europäische Gesetzgeber bereits bei Revidierung der Bankenrichtlinie im Jahr 2010 (CRD III) ein. Die CEBS-Leitlinien (Committee of European Banking Supervisors) zu Vergütungssystemen vom Dezember 2010 enthielten dementsprechend einen eigenen Abschnitt zum Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und erkannten an, dass unterschiedliche Institute, je nach Art und Risikoträchtigkeit ihrer Geschäfte, bestimmte Anforderungen der CRD III nicht vollumfänglich umsetzen müssten (sogenannte “Neutralisierung”), nämlich genau diejenigen Vorgaben, die gemäß der Institutsvergütungsverordnung nur von “bedeutenden” Instituten zu beachten sind.Die EBA selbst hatte im Jahr 2012 hierzu festgestellt, dass diese Flexibilität zwar zu unterschiedlichen Umsetzungen in den Mitgliedstaaten geführt hatte, diese aber insgesamt alle richtlinienkonform seien. An diesem Rechtszustand wollte der europäische Gesetzgeber bei Einführung der CRD IV nichts ändern. Art. 92 (2) CRD IV nimmt wörtlich dieselbe Formulierung auf, die schon in der CRD III gebraucht worden war (“in einer Art und in einem Ausmaß anwenden, die der Art, dem Umfang und der Komplexität ihrer Geschäfte angemessen sind”).Dass die Europäische Kommission und die EBA nunmehr eine Kehrtwende vollziehen und nichts mehr von ihrem eigenen, früheren Verständnis von Verhältnismäßigkeit wissen möchten, überrascht. Noch mehr irritiert, dass der juristische Dienst der Europäischen Kommission in einer Stellungnahme an die EBA diesen Schwenk auf den – gegenüber der CRD III insoweit unveränderten – Wortlaut des Art. 92 (2) CRD IV stützen möchte. Angeblich gestatte der Wortlaut (“in der Art … anwenden”) nicht, bestimmte Regeln, wie etwa die Regeln über die Zurückbehaltung variabler Vergütungsbestandteile, gar nicht anzuwenden, also zu “neutralisieren”, sondern allenfalls, sie gegebenenfalls in weniger strikter Form anzuwenden.Das ist zwar eine denkmögliche, aber angesichts der Gesetzeshistorie und des darin verkörperten Willens des europäischen Gesetzgebers fernliegende Interpretation. Die Kommission setzt sich damit offen in Widerspruch zu ihrem früheren Verständnis des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Motiviert wird diese Richtungsänderung offensichtlich von dem politischen Ziel einer Maximalharmonisierung bei der Regulierung von Boni und anderen variablen Vergütungsbestandteilen. Niemand wird bestreiten, dass die Vergütungsregulierung wettbewerbliche Implikationen hat und eine gleichmäßige Anwendung der Regeln wünschenswert wäre. EBA überdehnt ihr MandatAllerdings überdehnt die EBA mit dieser Interpretation ihr Mandat. Nach Art. 75 (2) CRD IV gibt die EBA “Leitlinien für eine solide Vergütungspolitik” heraus, die den Grundsätzen gemäß Artikeln 92 bis 95 entsprechen. Die Leitlinien tragen den in der Empfehlung der Kommission 2009/384/EG vom 30. April 2009 im Finanzdienstleistungssektor enthaltenen Grundsätzen für eine solide Vergütungspolitik Rechnung. Selbstverständlich kann die EBA mit ihren Leitlinien nicht weiter gehen, als die CRD-IV-Richtlinie selbst. Die CRD IV aber eröffnete den Mitgliedstaaten als bloße Richtlinie Umsetzungsspielräume.Nun ist es zwar Aufgabe der EBA, zur Verhinderung von Aufsichtsarbitrage und zur Förderung gleicher Wettbewerbsbedingungen beizutragen sowie einen Beitrag zur kohärenten Anwendung des europäischen Aufsichtsrechts zu leisten. Dies ist bei europäischen Verordnungen deutlich einfacher als bei umsetzungsbedürftigen Richtlinien. Denn bei unmittelbar anwendbaren Verordnungen kann die EBA ohne weiteres Interpretationsleitlinien herausgeben, die zu einer einheitlichen Anwendung des europäischen Rechts beitragen. Zwar sind solche Leitlinien unverbindlich, haben aber wegen ihrer “Comply or explain”-Wirkung gemäß Art. 16 (3) der EBA-Verordnung erhebliche praktische Autorität. Von nationalen Gesetzgebern genutzte Umsetzungsspielräume von Richtlinien kann die EBA indes nicht einfach mit Blick auf eine wünschenswerte Harmonisierung einebnen. Denn Leitlinien der EBA richten sich nur an die nationalen Aufsichtsbehörden; sie können weder den europäischen noch den nationalen Gesetzgeber zu einem “Comply or explain” zwingen. Hinzu kommt im vorliegenden Fall, dass die Kommission mit ihrer Empfehlung 2009/384/EG selbst den Mitgliedstaaten ausdrücklich die Möglichkeit eingeräumt hatte, im Interesse einer verhältnismäßigen Anwendung der Vorgaben der Größe, dem Umfang der Geschäfte und der Komplexität kleiner Kreditinstitute Rechnung zu tragen. Diese Flexibilität so zurückzuschneiden, dass sie eine “Neutralisierung” bestimmter Vorgaben überhaupt nicht mehr gestattet, widerspricht dem bewusst liberaleren Ansatz der CRD IV und der ausdrücklich in Bezug genommenen Kommissionsempfehlung aus dem Jahr 2009. Thema der PolitikAm Ende wird diese Auseinandersetzung nicht auf juristischer Ebene entschieden werden, sondern auf praktisch-politischer. Hierzu gibt es zwei Wege: Entweder die EBA bleibt bei ihrem Ansatz, dann muss die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, falls die Institutsvergütungsverordnung nicht geändert wird, beschließen, diese Empfehlung wegen des Vorrangs des Gesetzes nicht anzuwenden. Dies wäre zwar die klarste, wegen des damit verbundenen Affronts gegenüber der EBA aber nur die zweitbeste Lösung.Oder der EBA wird bewusst, auf welch dünnes Eis sie sich mit ihrem Vorschlag begibt und welchen Aufwand sie in einem Bankenmarkt wie dem deutschen verursachen würde und findet einen Weg, dem Verhältnismäßigkeitsprinzip, insbesondere bei den besonders bürokratischen Vergütungsregeln, wie denen zur Identifizierung von Risikoträgern oder zur Zurückbehaltung variabler Vergütungsbestandteile, in anderer, flexibler Weise Rechnung zu tragen. Hier sind durchaus De-minimis-Regelungen denkbar, wenn beispielsweise die variable Vergütung von Mitarbeitern kleiner Banken nur einen geringen Anteil an der Gesamtvergütung ausmacht.—-*) Dr. Gunnar Schuster ist Partner im Frankfurter Büro von Freshfields Bruckhaus Deringer.