Klingelnberg nach Flutkatastrophe hoffnungsvoll
kro Frankfurt
− Der Schweizer Zahnradspezialist Klingelnberg blickt nach der Überflutung seines wichtigsten Produktionsstandortes im nordrhein-westfälischen Hückeswagen Mitte Juli auf das wohl schwerste erste Halbjahr seiner über 150-jährigen Firmengeschichte zurück. Hatte sich der Maschinenbauer gerade erst aus einer zwei Jahre andauernden Krise herausgearbeitet und für das im April begonnene Geschäftsjahr einen hohen einstelligen Millionengewinn in Aussicht gestellt − ein Ziel, bei dem eigentlich schnell abzusehen war, dass es deutlich übertroffen werden dürfte −, katapultierte die Katastrophe die Schweizer im ersten Halbjahr nun wieder zurück in die Verlustzone.
„Das Jahr hat gut für uns angefangen“, sagte Vorstandschef Jan Klingelnberg, der das Familienunternehmen in siebter Generation führt, bei der Vorstellung der Halbjahreszahlen. Nicht nur vor der Flut, sondern auch danach sei der Bestelleingang stark gewesen und der Auftragsbestand dadurch momentan so hoch wie nie zuvor. „Das Hochwasser hat uns auf dem Höchststand unserer Produktion erwischt“, so der CEO. Was folgte, waren acht Wochen Stillstand. Eine kurze Zeit für all die nötigen Aufräumarbeiten, findet Klingelnberg. „Wir hatten bis zu 1,60 Meter Wasser im Werk. Da, wo normalerweise Autos fahren, fuhren plötzlich Boote. Das hat natürlich einen großen Schaden angerichtet.“
Auftragslage macht Hoffnung
Schätzungen des Unternehmens zufolge dürfte sich der Gesamtschaden auf 55 bis 65 Mill. Euro belaufen. Davon würden etwa 15 Mill. Euro durch die Versicherung gedeckt (hier hat das Unternehmen bereits 8,6 Mill. Euro erhalten), zudem stellt die Credit Suisse eine Überbrückung von 20 Mill. Euro zur Verfügung, für die die Familie Klingelnberg als Hauptaktionärin zur Hälfte bürgt. Von der deutschen Bundesregierung habe es ebenfalls Zusagen für Soforthilfen gegeben. Allerdings stünden hier die Höhe und der Zeitpunkt noch nicht fest. Generell sei das Unternehmen, das in Hückeswagen als größter Arbeitgeber fungiert, aber auch nicht davon abhängig, sagte Klingelnberg. „Es wäre ein zusätzlicher Beitrag obendrauf. Dank des hohen Auftragsbestandes haben wir alles, was wir brauchen, um im nächsten Geschäftsjahr 2022/2023 zu einer bedeutenden Profitabilität zurückzukehren.“
Für den Turnus 2021/2022 rechnet das Unternehmen nun aber erst mal mit einem Verlust auf Ebit-Basis von 30 bis 40 Mill. Euro. Auch wegen der weltweiten Lieferengpässe sei mit einer signifikanten Verbesserung hier nicht zu rechnen. Nach den ersten sechs Monaten kommt Klingelnberg jetzt auf ein operatives Minus von 40 Mill. Euro. „Das ist sicherlich nicht erfreulich, aber vor dem Hintergrund des Unglücks müssen wir damit leben und das ist verkraftbar“, sagte Klingelnberg.
Zuversicht schöpft der Manager zum einen aus der hohen Visibilität, die sich durch den angestauten Auftragseingang von derzeit rund 218 Mill. Euro für das kommende Geschäftsjahr ergeben habe. Zum anderen ist es die strategische Positionierung in den Bereichen Erneuerbare Energien und E-Mobilität, die den 2018 an die Schweizer Börse gegangenen Mittelständler aus seiner Sicht in eine erfolgreiche Zukunft führen wird. Mit seiner Expertise in der Verzahnung und Messtechnik ist Klingelnberg zwar in zahlreichen fertigenden Branchen gefragt. Besonders viel verspricht sich das Unternehmen derzeit aber von der boomenden Windkraft-Industrie, wo weltweit Schleifmaschinen der Schweizer zum Einsatz kommen und wo Klingelnberg zurzeit speziell am Umbau der Energieversorgung in China partizipiert. Dazu spielen dem Konzern in der E-Mobilität unter anderem die erhöhten Anforderungen an ein möglichst geräuscharmes Getriebe in die Karten. Mit seinen Maschinen lassen sich die Zahnradgeräusche überprüfen.
Nach der Flut hätten alle Kunden zum Unternehmen gestanden, sagte Finanzchef Christoph Küster. „Stand heute hat es nicht eine einzige Stornierung gegeben.“ Seit September laufe die Fertigung wieder, zudem habe es auch schon wieder Auslieferungen gegeben. An der Börse freuten sich die Aktionäre mit den Schweizern mit: In einem verhalten positiven Markt legte die Aktie in der Spitze um 3,5 % zu.