Konzerne brauchen Risiko-Radar für China-Geschäft
Nun besteht Klarheit: Xi Jinping ist für eine dritte fünfjährige Amtszeit Generalsekretär der Chinesischen Kommunistischen Partei (CCP); im März 2023 wird er voraussichtlich auch eine dritte Amtszeit als Präsident Chinas antreten. Der laufende, 20. CCP-Parteitag hat nach verbreiteter Ansicht eine personelle und inhaltliche Stärkung seiner Position gebracht, die die staatliche Kontrolle der Wirtschaft mit den Zielen eines „gemeinsamen Wohlstands“ und „einer hohen technologischen Unabhängigkeit“, eine „durchsetzungsfähigere Diplomatie“, ein „stärkeres Militär“ und die Übernahme von Taiwan in den Vordergrund stellt.
Parallel hierzu treiben die USA und China durch vielfältige Gesetze und Exekutiv-Maßnahmen eine (Teil-)Entkoppelung der jeweiligen Wirtschaftskreise, insbesondere in Hochtechnologiebereichen, voran. In Kürze werden die USA nach den weitreichenden Exportbeschränkungen leistungsfähiger Halbleiter von Anfang Oktober voraussichtlich ein neues Outbound-Investitionskontrollverfahren für Direktinvestitionen und sonstige wirtschaftliche Aktivitäten („National Critical Capabilities Defence Act“) verabschieden.
China-Strategie in Arbeit
Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) arbeitet erstmals an einer umfassenden China-Strategie, mit deren Veröffentlichung im Frühjahr 2023 gerechnet wird; die Vergabebedingungen für Investitionsgarantien des Bundes für China-Investitionen sind bereits verschärft (Stichwort: Xinjiang). Nach dem aktuellen CFO Survey der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft Deloitte (Q1/2022) sehen 77% der CFOs hohe geopolitische Risiken für ihre Unternehmen: Top-1-Position.
Die „geopolitische Dauerkrise“ bringt die Pflicht der Geschäftsleitung, Chancen und Risiken aus geopolitischen Entwicklungen bei der Unternehmensführung prominent zu berücksichtigen, stärker in den Vordergrund. Diese „Pflicht zur Geopolitik“ lässt sich in mehrere Einzelpflichten auffächern:
Aus der Leitungsverantwortung des Vorstands folgt seine Pflicht zur fortlaufenden Strategieentwicklung und -überprüfung. Inhaltlich besteht hier zwar ein breiter Beurteilungsspielraum, aber es sind die Grundsätze sorgfältiger Entscheidungsfindung mit angemessener Informationsbasis und professionellem Verfahren zur Meinungsbildung einzuhalten. Unter den heutigen VUCA-Rahmenbedingungen (Volatility, Uncertainty, Complexity, Ambiguity) sind Strategien plausibel, die die Prinzipien der Resilienz tendenziell höher gewichten als die der Kosteneffizienz (Corporate Resilience Management). Bei Unternehmen mit hoher geopolitischer China-Exposition (Hochtechnologie; China-Bedeutung wegen Zulieferern, Produktionsstandort oder Absatzmarkt) sind die jeweiligen Strategieansätze an geopolitischen Szenarienbetrachtungen – eben zu China – zu messen.
Risikomanagement essenziell
Die Geschäftsleitung ist verpflichtet, ein risikoadäquates Risikomanagement zu betreiben („ob“), die konkrete Ausgestaltung („wie“) richtet sich im Grundsatz nach vielfältigen, unternehmensbezogenen Kriterien wie sachliches und geografisches Tätigkeitsfeld, Kreis der Netzwerkpartner, Größe und Komplexität der Unternehmensorganisation.
Nicht nur wegen des zukünftigen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes (LkSG) ist im Hinblick auf China-Aktivitäten deutscher Unternehmen eine spezifische Risikoanalyse, einschließlich der möglichen Maßnahmen zur Prävention von Schadenseintritten und gegebenenfalls zur Minimierung der Schadensfolgen, vonnöten.
Hier ist es Best Practice, dass Länderrisiken dann spezifisch betrachtet werden, wenn der Umsatz- beziehungsweise Ergebnisbeitrag zum Gesamtkonzept mindestens 5% beträgt oder die Bedeutung dieses Landes aus anderen Gründen (zum Beispiel Beschaffungsmarkt, wichtiger Logistikraum, Know-how oder Talentmarkt, zukünftige Investitionen) von erheblicher Bedeutung für die Wertentwicklung ist.
China wird daher häufig Betrachtungsgegenstand eines solchen „political risk mapping“ sein, bei dem es sowohl um Risiken, die Auswirkungen auf das China-Geschäft haben (wegen einer Entwicklung in China oder anderswo), als auch um solche geht, die wegen des China-Geschäfts Auswirkungen auf das Nicht-China-Geschäft haben (Beispiel: CFIUS-Investitionskontrolle). Dabei ist ein breites Risikoradar politischer Themen einzusetzen. Darüber hinaus sind Szenarienbetrachtungen („was wäre, wenn?“) üblich, zum Beispiel zu einer „Seeblockade“ Taiwans mit dadurch ausgelösten weiteren Beschränkungen der Lieferketten und den erwartbaren rechtlichen und tatsächlichen Gegenmaßnahmen der USA und weiterer Länder.
Die geopolitische Risikoanalyse basiert zwar auf bestimmten überprüfbaren Datenpunkten, ist im Wesentlichen aber eine „soft science“, die trotz alledem in der Regel die Heranziehung internen oder externen Fachwissens erfordert. Die Risikoanalyse umfasst: Monitoring und Informationsbeschaffung; Festlegung von Bewertungsmaßstäben und Frühwarnsignalen; Risikoeinschätzung; Festlegung des Budgets für Risikoprävention und -minimierung.
Zahlreiche Maßnahmen
Zu möglichen Maßnahmen der Risikoprävention gehören: die Änderung der Vertragsverhältnisse mit chinesischen Netzwerkpartnern, um beispielsweise den LkSG-Anforderungen sowie weiteren Verpflichtungen des Lieferkettenrechts gerecht werden zu können; die Absicherung von Kooperationen mit chinesischen Partnern, zum Beispiel durch Zwischenschaltung von Auslandsgesellschaften zur Nutzung schutzintensiver Investitionsschutzabkommen oder die Einbeziehung von Finanzierungspartnern; die Gestaltung von sogenannten „Asset Light“-Strukturen, bei denen der Kreis der von China im Zugriff stehenden Vermögensgegenstände minimiert wird, zum Beispiel durch Änderung von Konzernverträgen und der Wertschöpfungsketten (zum Beispiel Teilverlagerung von Produktionsstätten, Substitution chinesischer Lieferanten); die Versicherung von Risiken; die Einführung eines „China-Konzernkreises“ mit eigener Corporate Governance, Finanzierung und Informationssystem, mit eigener Produktpalette und Markenausgestaltung; die Vorplanung von Exit-Strategien, zum Beispiel durch Regelung von Put-Optionen gegenüber chinesischen Netzwerkpartnern oder anderer Strukturen für einen Teil-Verkauf beziehungsweise eine Teil-Abspaltung des China-Geschäfts.
Über die geopolitischen Chancen und Risiken für das Unternehmen ist entsprechend ihrer Bedeutung angemessen im Chancen- und Risikobericht (Lagebericht) zu berichten. Eine eigene Analyse dieser Berichte von Dax- und MDax-Unternehmen für 2021 hat – wenn überhaupt – überraschend kurze, formelhafte China-Ausführungen gezeigt. Dies wird zukünftig in der Regel nicht ausreichend sein. Im Einzelfall können geopolitisch beeinflusste Entscheidungen oder Entwicklungen auch zur Ad-hoc-Publizitätspflicht führen. Eine Pflicht zu (tages-)politischen Kommentaren zum Beispiel durch den Vorstandsvorsitzenden gibt es nicht. Allerdings wird es Ausdruck eines pflichtgemäßen Corporate Reputation Management sein, in Übereinstimmung mit der LkSG-Menschenrechtserklärung oder anderen Strategieleitsätzen adäquat mit relevanten Stakeholdern auch zur Einschätzung bestimmter geopolitischer Entwicklungen zu kommunizieren; denn auch Schweigen kann als inhaltliche Kommunikation gewertet werden.
Komplexität nimmt zu
Die Entkoppelung der Politik- und Wirtschaftskreise führt auch zur Komplexitätserhöhung bei Entscheidungen über Geschäftsführungsmaßnahmen mit China-Bezug: Zunächst sind im Rahmen der Legalitätspflicht vielfältige Beschränkungen zu berücksichtigen, insbesondere durch Sanktionsgesetze, Export- und Importverbote sowie Investitionskontrollgesetze. Im Rahmen der unternehmerischen, stark prognoseabhängigen Entscheidungen gilt weiterhin die Business Judgement Rule, aber im Rahmen der angemessenen Informationsbasis und bei der sorgfältigen Abwägung der Vor- und Nachteile der Maßnahme sind nun auch geopolitische Aspekte zu berücksichtigen, um vor Haftung zu schützen.
Die „Pflicht zur Geopolitik“ muss sich schließlich in den Kompetenzprofilen der Geschäftsleitungsorgane widerspiegeln. Das bedeutet allerdings nicht, dass es zwingend im Vorstand oder sonst wo eines „Chief Geopolitical Officers“ bedarf (wie mancherorts jetzt gefordert), sondern es reicht der Zugang von Vorstand und Aufsichtsrat zu intern oder extern vorhandenem Expertenwissen aus.