"Konzerne sollten sich solidarisch zeigen"
Aus Sicht des Vermögensverwalters Federated Hermes müssen Unternehmen mit Blick auf die Folgen der Corona-Pandemie ihre Rolle in der Gesellschaft solidarisch wahrnehmen und die Interessen aller Stakeholder berücksichtigen. In seinen Governance-Grundsätzen für die laufende Hauptversammlungssaison unterstreicht der Investmentmanager Nachhaltigkeitsziele. Von Sabine Wadewitz, FrankfurtDie Coronakrise lenkt das Augenmerk der Investoren auf die Nachhaltigkeitsstrategie von Unternehmen. Institutionelle Anleger müssen in ihrer Funktion als Treuhänder bewerten, wie sich Konzerne auf Risiken wie die Covid-19-Pandemie vorbereitet haben und wie sie sich in einer solchen Extremsituation verhalten – mit Blick auf alle Stakeholder. Hans-Christoph Hirt, Leiter der Corporate-Governance-Einheit EOS (Equity Ownership Services) des Vermögensverwalters Federated Hermes, unterstreicht die Tragweite der Pandemie. Die Auswirkungen beträfen Menschen, die auf Leistungen aus Renten- und Versicherungsfonds angewiesen seien. Diese seien gleichzeitig Arbeitnehmer und Bürger. Die Welt werde nach der Pandemie nicht mehr dieselbe sein – “oder zumindest sollte sie es nicht”, formuliert es Hirt in einem Brief an Aufsichtsräte und Vorstände. “Kein neues Thema”Im Gespräch mit der Börsen-Zeitung appellieren Hirt und Lisa Lange, die bei EOS auf deutsche Firmen fokussiert ist, an die gesellschaftliche Verantwortung der Konzerne. “Alle Unternehmen werden direkt oder indirekt von staatlicher Unterstützung profitieren”, gibt Hirt zu bedenken. Gerade großen Aktiengesellschaften müsse es bewusst sein, dass sie Teil eines Wirtschaftssystems seien, aus dem sie Nutzen ziehen. “Es ist der Staat, der generell die Infrastruktur bereitstellt und in Krisen helfend auf das Wirtschaftssystem einwirkt.” Deshalb bräuchten Konzerne eine “Social Licence to Operate”. “Und um diese zu erhalten, sollten sie ihren Beitrag für eine solidarische Gesellschaft leisten”, unterstreicht Hirt. “Das wird angesichts der absehbaren wirtschaftlichen Probleme nach der Pandemie von hoher Bedeutung für den sozialen Zusammenhalt sein. Der Unternehmenszweck sollte sich nicht nur auf die Interessen der Aktionäre ausrichten. Langfristige Wertschöpfung funktioniert nur mit allen wesentlichen Stakeholdern.”Aus Sicht von Hirt hat manches Unternehmen seine Hausaufgaben nicht gemacht. Die Coronakrise gibt aus seiner Sicht ein gutes Beispiel, wie sich die Vorbereitung auf solche Risiken auszahlen könne. “Pandemien sind ja kein neues Thema. Die Konzerne hätten sich schon lange Gedanken machen müssen, wie sie in solchen bedrohlichen Situationen die Gesundheit ihrer Mitarbeiter schützen, wie sie Arbeitsplätze sichern und wie sie Lieferketten aufrechterhalten können.”Mit Blick auf die Versorgungssicherheit muss man aus Sicht von Hirt hinterfragen, ob eine hohe Abhängigkeit von einem Markt wie China sinnvoll ist. Lieferketten müssten so aufgebaut sein, dass sie resistent gegen Schocks in einzelnen Märkten sind. “Nach der Coronakrise wird es ein Riesenthema werden, im Dialog mit den Stakeholdern vorausschauend über die Folgen von Pandemien, anderer nichtantizipierter Krisen und die Möglichkeit drastischer Maßnahmen von Regierungen nachzudenken. Das gilt insbesondere auch für die Klimakrise und ein entschiedeneres Vorgehen von Staaten, um diese zu moderieren.” Veränderte LeitlinienDie “Lehren” aus der Coronakrise lassen sich mit den Anforderungen an ESG-Kriterien verknüpfen. “Uns geht es immer darum, welche Risiken und Opportunitäten ein Unternehmen auf dem Radarschirm haben sollte, um sich langfristig auszurichten”, fasst es Hirt zusammen. Ein umfassendes Verständnis von Nachhaltigkeit gehe über eine ESG-Kategorisierung hinaus und wäge unterschiedliche Effekte und Konsequenzen ab. So sollte nach seiner Vorstellung ein Plan, der ein Unternehmen resistent in der Klimakrise macht, auch sicherstellen, “dass dieser so sozialverantwortlich wie möglich umgesetzt wird, wenn sich zum Beispiel Arbeitsplätze verändern oder gar wegfallen”.Ungeachtet der Themen zur Pandemiebewältigung befassen sich die Investorenvertreter vor den jährlichen Aktionärstreffen mit den üblichen Fragen guter Unternehmensführung. Federated Hermes hat ihre Corporate-Governance-Leitlinien für deutsche Unternehmen überarbeitet, um darauf hinzuweisen, wo sie noch genauer hinsehen sollten.Auch für die Governance-Experten des Investmentmanagers ist es klar, dass viele Firmen in der aktuellen Lage andere Themen im Fokus haben als die Aktionäre. Hier signalisieren sie Entgegenkommen. Im Moment gebe es existenzielle Prioritäten. Derzeit sei es für viele Gesellschaften sinnvoller, “Kapitalpuffer aufzubauen, als Dividenden auszuschütten”. “Wir hören uns intensiv an, welche Entscheidungen Unternehmen diesbezüglich treffen wollen und wie sie diese begründen. Wir akzeptieren es, dass sich Firmen entweder freiwillig oder aufgrund regulatorischer Einwirkung dafür entscheiden, keine Dividende zu zahlen”, erklärt Hirt. Das sei in diesem Umfeld nachvollziehbar. “Wir sind am langfristigen Erfolg der Unternehmen interessiert. Als sehr langfristig orientierte Investoren haben auch die Pensionskassen, die wir vertreten, dafür Verständnis.”Wie viele Investoren sieht Hirt die Online-Hauptversammlung in der Form, wie sie der deutsche Gesetzgeber im Schnellverfahren ermöglicht hat, als Notlösung an. “Die Präsenzveranstaltung mit Rede- und Fragerecht wie in Deutschland ist eine sinnvolle Praxis. Virtuelle Veranstaltungen sehen wir pragmatisch als temporäre Lösung, es soll aber nicht die neue Form von Aktionärstreffen werden. Dafür ist uns die Hauptversammlung zu wichtig”, betont er.Auch in den neuen Corporate Governance Principles unterstreicht Federated Hermes die Bedeutung von Nachhaltigkeitszielen. Man habe die Leitlinien insgesamt gestrafft und in einigen Punkten nachgearbeitet, etwa bei den Themen Unternehmenszweck und Klimawandel. Die Forderung nach Nachhaltigkeit sei durchgängiger in die Governance-Leitlinien integriert worden.Im Fokus stehen zudem Anforderung an die Besetzung der Gremien in Unternehmen: “Wir haben die Anforderungen an Vielfalt in Vorstand und Aufsichtsrat deutlich klarer formuliert und geben hier zur Durchsetzung unserer Vorstellungen eindeutige Vorgaben für die Stimmrechtsausübung”, fasst es Hirt zusammen. Beim Thema Diversity geht Federated Hermes über den neuen deutschen Governance-Kodex hinaus. Federated Hermes plädiert für 30 % Frauenanteil nicht nur in Aufsichtsräten, sondern auch im Vorstand. “Das Thema Vielfalt wird im Kodex leider weiterhin unzureichend adressiert. Das haben wir in unseren Kommentaren zur Kodex-Reform immer wieder klargemacht. Das ist bedauerlich, denn Deutschland hinkt bei diesem Thema im internationalen Vergleich deutlich hinterher”, meint Hirt.Lisa Lange verweist auf die internationale Entwicklung. “Dass manches deutsche Unternehmen für den Anteil von Frauen im Vorstand auch viele Jahre nach der relevanten Gesetzesreform eine Zielgröße von null setzt, wirft erhebliche Fragen auf und stößt bei internationalen Investoren auf Unverständnis. Was ist in Deutschland das Problem? Das heben wir in unseren Abstimmungsvorschlägen hervor”, mahnt Lange. Dass Investoren stärker Flagge zeigen, ist in den Abstimmungen auf Hauptversammlungen der vergangenen Jahre zu erkennen, wo es mehr Gegenwind gab (siehe Grafik).Im Namen der Investoren habe man das Anliegen für Diversity schon lange an die Unternehmen herangetragen, ergänzt Hirt. “Wir haben schon viele konstruktive Gespräche mit Aufsichtsratsvorsitzenden geführt und Druck gemacht, um sicherzustellen, dass mehr Frauen ins Management kommen. Als ultimative Eskalation nehmen wir den Aufsichtsrat in die Verantwortung und lehnen seine Wiederwahl ab, wenn sich Diversität im Unternehmen nicht durchsetzt. Dafür muss es klare Pläne und anspruchsvolle Zielsetzungen geben”, schreibt er den Verantwortlichen ins Pflichtenheft.In der Besetzung von Aufsichtsräten zeigt sich Federated Hermes nicht dogmatisch. “Es ist eine Entscheidung von Fall zu Fall. Wir schauen uns die Unternehmen immer genau an und suchen das Gespräch mit den Aufsichtsräten. Wenn es einen Großaktionär gibt, ist es für uns akzeptabel, dass er proportional auf der Anteilseignerseite vertreten ist”, erläutert Hirt. Offen für ArgumenteAuch in der Frage, ob und wann ein CEO in den Aufsichtsrat wechselt, ist man offen für Argumente. “Wir halten im Gegensatz zu vielen anderen Investoren eine gesetzliche Cooling-off-Periode vor dem Wechsel eines CEO in den Aufsichtsrat nicht zwangsläufig für sinnvoll”, so Hirt. Es könne immer Fälle geben, in denen Federated Hermes es für richtig halte, dass der Vorstandschef nach seinem Ausscheiden ohne Unterbrechung in den Aufsichtsrat gehe. “So haben wir es 2015 bei BMW unterstützt, dass Norbert Reithofer ohne Abkühlung vom Vorstands- in den Aufsichtsratsvorsitz wechselt. Das sind zwar Einzelfälle, die gut begründet sein müssen und vom Erfolg als Vorstand und der persönlichen Eignung für den Aufsichtsratsvorsitz abhängen, doch wir schließen das nicht grundsätzlich aus”, sagt er.Liebgewordene Traditionen sind für Hirt kein Argument. So stelle Federated Hermes immer die Frage, ob der Vorstandsvorsitzende unbedingt an die Aufsichtsratsspitze rücken muss. “In der Praxis kann ein CEO nur schwer akzeptieren, dass es nicht der Aufsichtsratsvorsitz sein muss. Uns würde es allerdings deutlich leichter fallen, den Wechsel zu unterstützen, wenn jemand anderes das Gremium leitet. Dann auch gerne ohne Abkühlung.”Mandatshäufungen sind auch für Federated Hermes ein rotes Tuch. “Für die akzeptable Anzahl von Aufsichtsratsmandaten ist es entscheidend, welche Mandate die Person innehat und wie viel Zeit dafür erforderlich ist”, erläutert Lange. Für Aufsichtsräte ohne operative Funktion in einem Unternehmen setze man ein Limit von fünf Mandaten, wobei der Vorsitz doppelt zählt. Auf Basis dieser Richtlinien werde eine konstruktive Diskussion mit dem Unternehmen gesucht, in der die vorhandenen Mandate hinsichtlich der Zeitintensität bewertet würden. “Dadurch können wir uns ein Bild machen, wie stark bestimmte Mandate ein Aufsichtsratsmitglied fordern. Bei aktiven CEOs halten wir nur ein Aufsichtsratsmandat für akzeptabel”, stellt Lange klar. Aktieninvestment angeratenMit Blick auf die Vorstandsvergütung fordert Federated Hermes ein Aktieninvestment von 300 % des Festgehalts für ordentliche Vorstände und von 500 % für Vorstandsvorsitzende. Die Führungskräfte sollen die Aktien auch noch einige Zeit nach ihrem Ausscheiden aus dem Konzern halten. Diese Vorgabe orientiert sich an internationalen Gepflogenheiten. In Deutschland war der Assetmanager in der Vergangenheit etwas moderater in seinen Forderungen, räumt Hirt ein. “Federated Hermes hat 2018 in Deutschland mit verschiedenen prominenten Aufsichtsratsvorsitzenden Vergütungsleitlinien erarbeitet. Damals haben wir als Kompromiss etwas niedrigere Quoten für den Aktienbesitz von Vorständen akzeptiert.” Doch international verlangten die Investoren höhere Eigeninvestments. Das findet auch hierzulande Resonanz: “Das Prinzip wird auch in deutschen Konzernen nicht mehr als kontrovers betrachtet, es geht vor allem noch darum, auf welche Weise und wie schnell man die Positionen aufbaut”, weiß Hirt.Diskutiert wird noch über die Zeitdauer des Engagements in Aktien des eigenen Unternehmens. “Best practice” wäre es laut Hirt, wenn die Aktien auch nach dem Ausscheiden aus dem Konzern weiter gehalten werden, was in Deutschland bisher nicht üblich ist. Doch dies sei für langfristig orientierte Investoren ein zentrales Anliegen, denn Entscheidungen eines CEO wirkten weit über seine Amtszeit hinaus. “Langfristige strategische Weichenstellungen zeigen auch dann noch Wirkung, wenn die Manager schon von Bord gegangen sind”, ergänzt Lange.