Kundenansturm führt zu impliziter Anhebung des Umsatzziels
mic München
Siemens bestätigt trotz der Sonderkosten des Russland-Rückzugs die Prognose für das laufende Geschäftsjahr (30. September). „Wir halten an unserem Ausblick auf Konzernebene fest“, sagte Vorstandsvorsitzender Roland Busch in einer Telefonpressekonferenz zur Präsentation der Quartalszahlen. Dies sei möglich, weil Siemens in der ersten Geschäftsjahreshälfte eine starke operative Leistung gezeigt habe, erläuterte Busch: „Zusammen mit positiven Portfolio-Effekten können wir dadurch grundsätzlich den Einmal-Effekt des Austritts aus dem russischen Markt ausgleichen.“
Die Veräußerung des Post- und Paketgeschäfts solle nun schon in der zweiten Hälfte des Geschäftsjahres abgeschlossen werden, erklärte Busch die höher als ursprünglich erwarteten Portfolio-Effekte. Bisher war ein Verkauf im Kalenderjahr 2022 avisiert worden, der Sondergewinn hätte also auch zwischen Ende September und Dezember und damit im nächsten Geschäftsjahr anfallen können. Vier größere Transaktionen sollen insgesamt einen Gewinn nach Steuern von 2,1 bis 2,3 Mrd. Euro bringen. Der Rückzug aus dem Land wird Siemens voraussichtlich mehr als 0,6 Mrd. Euro kosten (siehe Bericht auf dieser Seite).
Hinter der offiziell unveränderten Prognose verbirgt sich die Annahme einer verstärkten Wachstumsdynamik und damit implizit eine Anhebung der Ziele. Der Umsatz auf vergleichbarer Basis soll um 6 bis 8% zulegen. Zuvor war ein prozentual mittleres einstelliges Wachstum versprochen worden. In der ersten Jahreshälfte stiegen die Erlöse um 8%.
Den Schwung liefert vor allem die Sparte Digital Industries. Ihre Erlöse werden demnach um 9 bis 12% zulegen, während zuvor ein Plus von 5 bis 8% geplant war. Zum Halbjahr wurden 10% erreicht, im dritten Quartal rechnet Finanzvorstand Ralf Thomas mit ebenfalls rund 10%. Die Kunden investierten gerade vor dem Hintergrund der stark steigenden Preise von Energie und Material massiv in Ressourceneffizienz, begründete Busch den Optimismus.
Bahntechnik mit Bremsspur
Auch die Sparte Smart Infrastructure soll im Geschäftsjahr besser abschneiden, wenngleich die Latte nur minimal höher gelegt wurde. 6 bis 9% sind nun das Ziel statt 5 bis 8% – im ersten Halbjahr wurden 7% erreicht. Thomas erwartet im dritten Quartal ein Plus in der Größenordnung der Prognosespannbreite für das Gesamtjahr.
Dagegen rechnet Mobility im Geschäftsjahr nur noch mit einem Umsatz auf Vorjahresniveau, nachdem zuvor ein Anstieg von 5 bis 8% (Halbjahr: −1%) vorhergesagt war. Der entscheidende Faktor ist, dass Umsatzerlöse in Russland von mehr als 200 Mill. Euro zurückgenommen werden mussten – sie waren mit fortschreitender Projektabarbeitung bereits verbucht worden. Busch wies darauf hin, dass auch Zulieferprobleme das Umsatzwachstum dämpften.
Das Konzern-Gewinnziel ließ Siemens zum Halbjahr unverändert. Der Konzern verzichtete damit auf eine Anhebung, die nach dem ersten Quartal in Aussicht gestellt worden war. Auch die drei industriellen Sparten sollen ihre ursprünglich vorgegebenen Margen weiterhin erreichen. Allerdings wird Mobility im Gegensatz zur bisherigen Formulierung nun Schützenhilfe durch einen Portfolio-Verkauf zugestanden. Die Annahme sei, heißt es, dass der voraussichtliche Gewinn aus dem Verkauf von Yunex Traffic ausreiche, die Belastungen infolge der gegen Russland verhängten Sanktionen auszugleichen. Die Eigenkapitalrendite der Finanzierungsgesellschaft SFS wird der Prognose zufolge im unteren Bereich des Zielkorridors von 15 bis 20% landen.
Mehr Geld für den Vertrieb
Im zweiten Quartal sehe er eine starke operative Leistung mit einer anhaltenden Wachstumsdynamik, sagte Busch. Der Auftragseingang legte auf vergleichbarer Basis um 22% zu, der Umsatz wuchs um 7% (siehe Tabelle). Die Russland-Sonderbelastung drückte das Ergebnis des industriellen Geschäfts um 13%. Den Anstieg der Vertriebs- und Verwaltungskosten um 20% im Quartal und auch im Halbjahr sieht Siemens durch das stark steigende Geschäftsvolumen gerechtfertigt. Das Plus sei gewollt, weil das erhebliche Wachstum mit Investitionen auch in den Vertrieb unterlegt werden müsse, sagte Thomas. Inflationseffekte und höhere Bonifikationen kämen hinzu. Der Finanzvorstand fügte hinzu: „Sie dürfen versichert sein, ich werde den Fokus und den Blick auf die Kostenstruktur auch in dem Wachstumsszenario scharf halten.“
Siemens hat nach eigenen Angaben 1250 Kunden für das neue Software-Abomodell gewonnen. Der jährlich wiederkehrende Umsatz ist um 13% auf 3,1 Mrd. Euro gewachsen. Allerdings gingen die Erlöse im Softwaregeschäft von Digital Industries insgesamt um 11% zurück. Siemens begründete dies mit der beschleunigten Umstellung auf das Abomodell.
Für das dritte Quartal sehe er Risiken durch die Omikron-Ausbrüche und die Lockdowns unter anderem in Schanghai, erklärte Busch. Thomas wies darauf hin, dass eine Abschwächung der Extreme einzusetzen beginne – also die Eindeckung mit Sonderbeständen wegen Lieferproblemen oder wegen befürchteter Preiserhöhungen zurückgehe.
Thomas erklärte, er erwarte vom Kapitalmarkttag von Siemens Energy am 24. Mai – die Minderheitsbeteiligung hatte im Quartal einen Verlust verbucht – eine „klare Perspektive und mehr Planungssicherheit“. Er fügte hinzu: „Das wird wegweisend, davon gehen wir aus.“
Siemens | ||
Konzernzahlen nach IFRS 1 | ||
2. Quartal | ||
in Mill. Euro | 2021/2022 | 2020/2021 |
Auftragseingang | 20 978 | 15 879 |
Umsatz | 17 040 | 14 665 |
Forschung/Entwicklung | 1 359 | 1 128 |
Vertrieb/Verwaltung | 3 081 | 2 562 |
Angepasstes Ebita industrielle Geschäfte | 1 777 | 2 039 |
Steuern | 541 | 468 |
Nettoergebnis | 1 209 | 1 516 |
Ergebnis nicht fortgeführte Aktivitäten | 4 | 874 |
Gesamt-Nettoergebnis | 1 213 | 2 390 |
Ergebnis je Aktie (Euro) 2, 31,29 | 2,82 | |
Kapitalrendite (%) 3 | 11,1 | 21,2 |
Freier Cashflow 3 | 1 324 | 1 215 |
Nettoschulden 3 | 15 483 | 13 861 4 |
Mitarbeiter (Tsd.) 3 | 309 | 303 4 |
1) Fortgeführte Aktivitäten, Geschäftsjahr endet am 30. September; 2) unverwässert; 3) inklusive nicht fortgeführter Aktivitäten;4) zum 30. SeptemberBörsen-Zeitung |