Lebensmittelhandel nährt Wettbewerbshüter

Kartellamtspräsident Mundt: Digitalisierung zentrales Thema - Offen für mehr Verbraucherschutzaufgaben

Lebensmittelhandel nährt Wettbewerbshüter

wb Frankfurt – Der Lebensmitteleinzelhandel wird das Bundeskartellamt auch im neuen Jahr beschäftigen. “Da die Konzentration auf Händlerseite voranschreitet, werden die Beschwerden der Hersteller über die große Marktmacht sicher nicht weniger werden”, schätzt Andreas Mundt, der Präsident der Bonner Behörde. Ein wichtiges Musterverfahren über Forderungen, die Edeka nach seiner Auffassung “in unbilliger Weise” nach der Übernahme der Plus-Märkte von seinen Lieferanten erhoben habe, ist noch vor dem Bundesgerichtshof anhängig.Zudem solle die Missbrauchsaufsicht im Lebensmitteleinzelhandel mit der laufenden Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) verbessert werden und da einspringen, wo die Strukturkontrolle – auch nach der Ministererlaubnis Edeka/Kaiser’s Tengelmann – an ihre Grenzen stoße. “Dies wird kein leichtes Unterfangen.” Von der GWB-Novelle erhoffen sich die Wettbewerbshüter zudem, dass bisher bestehende Lücken bei der Haftung in Kartellverfahren geschlossen werden, so dass sich Unternehmen nicht mehr durch Umstrukturierungen einem Bußgeld entziehen können. Hier hatte der Fall Tönnies Wellen geschlagen. Kritisch zu bewerten seien Bestrebungen, für verschiedene Branchen Ausnahmen vom Kartellrecht einzuführen, etwa für Kooperationen von Presseunternehmen. Es gebe einen funktionierenden kartellrechtlichen Rahmen, der vielfältige Zusammenschluss- und Kooperationsmöglichkeiten zulasse, gleichzeitig aber dafür sorge, dass die Märkte offenbleiben. Richtige InstanzDiskutiert wird in der Politik, ob das Amt künftig weitere Kompetenzen zur Durchsetzung von Verbraucherschutz in der digitalen Wirtschaft erhalten soll. Laut Mundt sind Wettbewerbsbehörden “für den Verbraucherschutz die richtige Instanz”, wie Beispiele vieler anderer Länder zeigten, die die Befugnisse ihrer Kartellbehörden um solche Kompetenzen erweiterten. In einer solchen behördlichen Durchsetzung gehe es darum, flächendeckende Verstöße aufzugreifen und sich um schnelllebige Bereiche der digitalen Wirtschaft zu kümmern. “Sicher wäre im Bundeskartellamt aufgrund des vorhandenen Know-how eine schlanke und effektive Lösung als Ergänzung zu den etablierten privatrechtlichen Durchsetzungsmöglichkeiten des Verbraucherschutzes möglich.” Verfahren gegen FacebookZentrales Thema für die Behörde sei 2016 die Digitalisierung und ihre Auswirkungen auf Wettbewerb gewesen. Das Amt hat ein Verfahren gegen Facebook eingeleitet, um dem Verdacht nachzugehen, dass das US-Unternehmen durch die Ausgestaltung seiner Vertragsbestimmungen zur Verwendung von Nutzerdaten seine mögliche marktbeherrschende Stellung auf dem Markt für soziale Netzwerke missbraucht. Es wurden die gängigen Online-Banking-Bedingungen der in Deutschland tätigen Kreditinstitute geprüft und solche Regelungen für rechtswidrig erklärt, die aus Sicht der Behörde die Nutzung von bankenunabhängigen und innovativen Bezahlverfahren beim Einkauf im Internet erheblich behindern. Einige wichtige Verfahren laufen noch, etwa ein Missbrauchsverfahren gegen den Ticketvermarkter CTS Eventim.Das Kartellamt habe auch im alten Jahr viele Hinweise auf Kartellverstöße erhalten. 59 Unternehmen haben über die Bonusregelung (Kronzeugenprogramm) Informationen über Verstöße in ihrer Branche mitgeteilt. Auch auf anderen Wegen, etwa über das anonyme Hinweisgebersystem auf der Homepage, habe das Amt Hinweise erhalten. Die Behörde hat mit Unterstützung der Kriminalpolizei und der Staatsanwaltschaften in 17 Aktionen 85 Unternehmen und vier Privatwohnungen durchsucht. Insgesamt wurden in sieben Fällen 124,5 Mill. Euro Bußgelder verhängt. Die Verfahren betrafen etwa den Sanitärgroßhandel, Spielzeuge oder TV-Studios sowie vertikale Absprachen zwischen Herstellern und Händlern von Lebensmitteln.Rund 1 200 Zusammenschlussvorhaben wurden 2016 angemeldet. Zehn Fälle wurden vertieft geprüft. Davon wurden vier Fusionspläne zurückgezogen, zumeist nachdem das Bundeskartellamt erhebliche Bedenken geäußert hatte. Ein Fall wurde unter Bedingungen freigegeben, fünf Fälle ohne Auflagen.