Das CFO-InterviewMichael Jackstein, Traton

„Der deutsche Markt macht mir Sorgen“

Von einer Krise im europäischen Lkw-Markt will Michael Jackstein trotz der schwachen Nachfrage nicht sprechen. Der CFO von Traton, der Nutzfahrzeugholding von Volkswagen, beschreibt die Lage als Normalisierung auf respektablem Niveau. Die Kurzarbeit in drei deutschen MAN-Werken sei eine frühzeitige Reaktion.

„Der deutsche Markt macht mir Sorgen“

Im Interview: Michael Jackstein

„Der deutsche Markt macht mir Sorgen"

Der Finanzvorstand von Traton nennt Gründe für die Kurzarbeit – Zwischen MAN und Scania „ruckelt es auch mal“

Von einer Krise im europäischen Lkw-Markt will Michael Jackstein trotz der schwachen Nachfrage nicht sprechen. Der CFO von Traton, der Nutzfahrzeugholding von Volkswagen, beschreibt die Lage als Normalisierung auf respektablem Niveau. Die Kurzarbeit in drei deutschen MAN-Werken sei eine frühzeitige Reaktion.

Herr Jackstein, in den MAN-Werken in München, Nürnberg und Salzgitter gibt es Kurzarbeit. Welcher Schritt käme als nächster, wenn die Nachfrage nach Lkw in Europa so schwach bliebe?

Wir haben in der Traton Group immer eine Art Drehbuch für alle unsere vier Marken in der Schublade. Da sind Maßnahmen für den Fall der Fälle definiert. Im Moment gibt es jedoch keine Entscheidung für weitergehende Schritte bei MAN. Die würden wir von der Marktentwicklung abhängig machen.

Was steht in dem Drehbuch?

Das ist eine bunte Sammlung von Maßnahmen. Kurzarbeit ist jetzt erst einmal der Weg, neben selbstverständlich einer entsprechenden Kostendisziplin bei MAN.

2021 hat MAN einen „Tarifvertrag Zukunft“ vereinbart. Darin ist festgelegt, dass an den deutschen Standorten betriebsbedingte Kündigungen bis Ende 2026 nur mit Zustimmung der IG Metall möglich sind. Kämen solche Kündigungen in Frage?

Dafür sehe ich im Moment keine Grundlage.

Ist die Marktlage also gar nicht so schlecht?

Die Auftragseingänge entwickeln sich ziemlich genau so, wie wir das schon im Lauf des vergangenen Jahres prognostiziert hatten. 2023 hatten wir noch sehr volle Auftragsbücher. Jetzt ist die Situation immer noch halbwegs komfortabel, wenn auch in Europa etwas angespannter. Aber wir wollen nicht mit einem dünnen Auftragsbuch ins Jahr 2025 gehen, ohne frühzeitig auf die Abschwächung des Marktes reagiert zu haben. Deshalb hat sich das Management von MAN für Kurzarbeit entschieden.

Und die anderen Marken?

In Europa hat auch Scania die Produktion leicht zurückgefahren. Am zweiten Produktions-Hub in Südamerika ist die Situation genau gegensätzlich. Da gibt es viel Rückenwind im Markt, von dem Scania profitiert.

Auch VW Truck & Bus mit der Konzentration auf Südamerika profitiert davon.

VW Truck & Bus hatte im vergangenen Jahr eine bereinigte operative Rendite von 8,8% erzielt. In der ersten Hälfte dieses Jahres waren es 11,8%.

Navistar in Nordamerika hat mit Engpässen in der Lieferkette zu kämpfen. Woran liegt das?

Da gab es Schwierigkeiten bei Zulieferern. Im vergangenen Jahr ging es vor allem um Lkw-Rahmen, die sogenannten Frame Rails. In diesem Jahr hat es bei einem Zulieferer für Außenspiegel in Mexiko gebrannt. Das hat zu einer deutlich geringeren Auslieferung unserer Trucks im zweiten Quartal geführt. Wir sind aber zuversichtlich, dass wir das bis zum Jahresende überwiegend aufholen werden.

Hat Navistar nur einen Lieferanten für Spiegel?

Dafür gibt es historische Gründe. Navistar hatte aufgrund seiner zwischenzeitlich schwierigen Situation einen klaren Kostenfokus und infolgedessen weitgehend nur auf jeweils einen Lieferanten gesetzt. Das hat vor der Corona-Pandemie mit stabilen Lieferketten gut funktioniert. Jetzt sind wir allerdings in einer anderen Situation und etablieren eine Dual-Sourcing-Strategie für wichtige Bauteile.

Zurück zur Marktschwäche in Europa und vor allem in Deutschland: Ist das noch eine Normalisierung nach drei Boomjahren oder schon eine Krise?

Besonders der deutsche Markt macht mir Sorgen. Das Wort „Krise“ würde ich für Europa als Ganzes aber aktuell nicht in den Mund nehmen. Wir sehen unverändert eine Normalisierung der Märkte auf einem historisch gesehen immer noch respektablen Niveau.

Und wie geht es 2025 weiter?

Für einen Ausblick ist es ein bisschen zu früh. Wir müssen noch abwarten, wie sich die Auftragseingänge im September und im vierten Quartal entwickeln. Die entscheidende Frage ist, wann die Auftragseingänge wieder anziehen.

Erkennen Sie Anzeichen dafür?

Es gibt zumindest Gründe dafür. Zum einen haben die Trucks auf den Straßen inzwischen ein signifikantes Alter erreicht.

Wie hoch ist es im Durchschnitt?

In Europa ist der Durchschnittsfuhrpark mittlerweile über 14 Jahre alt und damit noch ein Jahr älter als vor der Corona-Pandemie. Typischerweise sind die Trucks in Osteuropa etwas älter als im Westen und Norden. Zum anderen gibt es eine gewisse Zuversicht hinsichtlich der Finanzierung. Wir hatten länger als eine Dekade sehr niedrige Zinsen und dann signifikante Steigerungen. Da die Europäische Zentralbank die Zinsen weiter senkt, wird es für unsere Kunden leichter, neue Trucks zu kaufen beziehungsweise zu finanzieren.

Wie hoch ist die Auslastung Ihrer Produktionskapazitäten im Durchschnitt?

Die Auslastung in Summe ist im Moment vernünftig.

Eine Zahl oder Spanne wollen Sie nicht nennen?

Nein.

Welche Auswirkungen hat die schwächere Nachfrage in Europa auf die Preise?

2023 konnten wir aufgrund der speziellen Marktsituation mit Ausnahme von Südamerika für alle Marken höhere Preise durchsetzen. Jetzt gibt es wegen der schwächeren Nachfrage einen gewissen Druck auf die Preise. Das heißt, es gibt in manchen Fällen leichte Zugeständnisse, aber in der Summe halten wir die Preise stabil.

Welche leichteren Zugeständnisse machen Sie?

Serviceoptionen sind eine der Möglichkeiten.

Strategisches Ziel für MAN ist eine bereinigte operative Marge von 8%. In den ersten sechs Monaten 2024 waren es 8,2%. Sind die 8% trotz des nun schwierigeren Markts im gesamten Jahr zu erreichen?

Wir erwarten, dass sich das Niveau des ersten Halbjahres im zweiten nicht halten lassen wird. Ich rechne damit, dass MAN eine Marge in der Größenordnung des Vorjahres erreichen wird.

Da waren es 7,3%. Sind die 8% irgendwann nur zu erreichen, wenn die Konjunktur besser läuft?

Das strategische Ziel beschreibt unsere Erwartung über einen längeren Zeitraum. Auf unserem Kapitalmarkttag am 1. Oktober werden wir neue Ziele für die Gruppe und für die Marken bekannt geben.

Werden es mittelfristige Ziele für die nächsten drei bis fünf Jahre sein?

In die Richtung wird es gehen.

Für den Konzern strebt Traton in diesem Jahr eine bereinigte operative Rendite von 9% an. Bleibt es dabei nach den 9,1% im ersten Halbjahr?

Unsere Prognose an den Kapitalmarkt ist eine Bandbreite von 8% bis 9%. Wie auf dem Kapitalmarkttag 2022 formuliert, halten wir unverändert an den 9% am oberen Ende der Spanne fest – unter dem Vorbehalt, dass es keine weiteren exogenen Schocks gibt. Über die Lage von MAN haben wir bereits gesprochen. Navistar wird nach dem schwächeren ersten Halbjahr die 6,6% des Vorjahres nach unserer Erwartung im Gesamtjahr übertreffen.

Und die anderen beiden Marken?

Scania wird dank des Mix speziell von Europa und Südamerika stabil performen und Volkswagen Truck & Bus weiterhin eine starke Leistung bringen. Unterschiedliche Marken in unterschiedlichen Regionen zu haben, ist ein echter Wert. In diesem Zusammenhang sind auch die Menschen in unserem Konzern mit unterschiedlichen Kulturen und Perspektiven ein unschätzbarer Vorteil.

Unterschiedliche Kulturen ist das Stichwort: Die Zusammenarbeit von MAN und Scania mit ihren stolzen Belegschaften entwickelt sich seit Jahren langsamer als anfangs geplant. Immer wieder ist von einem Gegen- statt Miteinander zu hören.

Diverse Teams sind stärkere Teams. Und bei Diversität geht es bei Weitem nicht nur um das Thema Männer und Frauen. Unsere Marken operieren in vielen Ländern der Welt in unterschiedlichen Kulturen. Dies ist die Basis für die Diversität in der Traton Group. Die unterschiedlichen Perspektiven machen uns stärker.

Nochmals zu MAN und Scania: Vorteile des Verbunds zu nutzen dauert viel länger, als es sich das frühere Management um Andreas Renschler vor acht, neun Jahren vorgestellt hat.

Wir sind nicht nur in einer externen Transformation, sondern auch in einer internen. Dass es da auch mal ruckelt, liegt in der Natur der Sache. Ich sehe summa summarum eine sehr gute Form der Zusammenarbeit. Übrigens zwischen allen Marken, nicht nur zwischen Scania und MAN. Der CBE ist das erste echte Produkt der Gruppe ...

... ein 13-Liter-Dieselmotor für schwere Lkw und Busse ...

Jetzt machen wir den nächsten großen Schritt, indem wir mehrere 1.000 Ingenieure in der Forschung und Entwicklung für den Konzern zusammenbringen. Ist da noch Luft für mehr? Ja, wir schaffen gerade die Voraussetzung dafür. Man kann sagen, wir arbeiten gerade intensiv an Traton 2.0.

Um was geht es da außer um Forschung und Entwicklung?

Grundsätzlich können wir in allen Bereichen die Zusammenarbeit weiter intensivieren. Zum Beispiel schaue ich mir mit den Finanz- und Personalvorständen an, wo wir noch besser markenübergreifend zusammenarbeiten können. Konkret: Wo können wir beispielsweise Prozesse und Standards vereinheitlichen? So wachsen wir sukzessive immer weiter zusammen und schaffen Synergien.

Traton will für Elektro-Lkw aller vier Marken möglichst viele gleiche Teile verwenden, außer Motoren etwa Kabinen, Achsen und Batteriesysteme. Wie weit sind Sie damit?

Diese Entwicklung ist in vollem Gange. Sie ist Teil unseres gemeinsamen Baukastens Traton Modular System, mit dem wir die Zusammenarbeit der Marken auf ein völlig neues Niveau heben.

Zu Ihrer Aktie: Oliver Blume, der Vorstandsvorsitzende von Volkswagen, sagte Ende Mai, VW sei bereit den Streubesitz von Traton schrittweise zu erhöhen. Könnte das dem Kurs einen Schub geben?

In Gesprächen mit Investoren stelle ich fest, dass unsere Equity-Story auf fruchtbaren Boden fällt. Insofern gibt es grundsätzlich ein großes Interesse an Traton-Aktien. Ein wirkliches Hindernis, wie mir Investoren immer wieder schildern, ist der Streubesitz von 10,3%. Deshalb haben wir die Ankündigung von Oliver Blume sehr positiv aufgenommen.

Das Interview führte Joachim Herr.

Das Interview führte Joachim Herr.