Michelin setzt auf Alternativen
Von Gesche Wüpper, Paris
Michelin rechnet wegen der Inflation der Preise für Rohstoffe, Energie und Logistik für das laufende Jahr mit deutlich höheren Kosten als Ende 2021 erwartet. Da ein Teil der genutzten Grundkomponenten aus Russland kommt, musste der französische Reifenhersteller die Produktion in europäischen Werken kurz nach der Invasion der Ukraine vorübergehend stoppen.
Die Präsentation der jüngsten Ergebnisse von Michelin hatte bereits die Richtung, in die es geht, angezeigt. „Die betrieblichen Störungen und der Inflationsdruck sind durch den Konflikt in der Ukraine und das Wiederauftreten von Covid-19 in China verschärft worden“, teilte Michelin nach dem ersten Quartal mit. Seitdem hat sich die Lage nicht verbessert. „Eine solche Situation haben wir seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr erlebt“, sagte Konzernchef Florent Menegaux der Tageszeitung „Le Monde“. „Es ist das Chaos! Ein unbeschreibliches Durcheinander!“ Neben der Chipkrise und den Logistikproblemen belasten den Reifenhersteller vor allem die Verknappung und Verteuerung von Rohstoffen. Denn die Produktion fast aller 33 Werke Michelins in Europa basiert auf Grundkomponenten, die auch aus Russland kommen. Dazu gehören Ruß, das die Reifen schwarz und widerstandsfähiger macht, sowie bestimmte Öl- und Harzarten. Ruß ist eine der rund 200 Komponenten, aus denen Michelin Reifen herstellt. So sind in einem Autoreifen im Schnitt drei Kilogramm von industriell hergestelltem, in der Branche als „Carbon Black“ bekannten Ruß enthalten.
Engpassfaktor Ruß
Zwar gibt es neben Russland und der Ukraine auch andere Länder, die Ruß produzieren, darunter China und Indien. Doch die Lieferketten lassen sich eben nicht von heute auf morgen umstellen. Deshalb hat Michelin zu Beginn des Angriffskrieges Russlands gegen die Ukraine in mehreren europäischen Werken die Produktion zeitweise unterbrochen, um die Abläufe zu optimieren und die Lieferketten anzupassen. Im Schnitt wurde die Produktion zwei bis drei Tage gestoppt. Inzwischen hat der Reifenhersteller seine Beschaffungspolitik angeglichen und diversifiziert. Mittlerweile bezieht er Ruß auch aus anderen Ländern wie China. Gleichzeitig hat Michelin die Routen der Rußlieferungen aus Russland verändert, da diese früher durch die Ukraine führten.
Die Inflation der Preise für Rohstoffe, Energie und Transport hat bereits im vergangenen Jahr dazu geführt, dass die Kosten Michelins 1,2 Mrd. Euro höher ausgefallen sind. Allein die in der Produktion verwendeten Rohstoffe kosteten den Reifenhersteller 5 Mrd. Euro. Noch im Oktober vorigen Jahres sei Michelin davon ausgegangen, dass sich die Mehrkosten 2022 auf 400 Mill. Euro belaufen dürften, berichtet Konzernchef Menegaux. „Im Januar haben wir diese Zahl auf 1 Mrd. Euro korrigiert. Inzwischen sind wir bei 2,4 Mrd. Euro.“
Im Vergleich zu normalen Zeiten haben sich die Preise der Zulieferer erheblich verteuert. Der Konzern aus Clermont-Ferrand ist jedoch fest entschlossen, sich durch den starken Anstieg der Rohstoffpreise nicht die Bilanz verhageln zu lassen, nachdem er 2021 mehr oder weniger wieder zu seinem Vorkrisenniveau zurückgefunden hat. Michelin schließt auch weitere Stellenstreichungen aus. Das Unternehmen hatte voriges Jahr angekündigt, in Frankreich 2300 Stellen abbauen zu wollen, um die Produktion effizienter zu gestalten. Stattdessen hat der Konzern die Preise für seine Reifen seit dem zweiten Halbjahr 2021 schrittweise erhöht.
Premiumstatus hilft
Das hat Michelin ermöglicht, die Verkäufe im ersten Quartal im Vergleich zur Vorjahreszeit um 19% auf 6,48 Mrd. Euro zu erhöhen. Die Positionierung als Premiumhersteller helfe Michelin sicherlich, dass die Verkäufe trotz der Preiserhöhungen nicht nachgäben, meint Menegaux.
Michelin trotzt den derzeitigen Widrigkeiten besser als so mancher Konkurrent. Deshalb hält der Rivale von Continental trotz der Explosion der Rohstoff- und Energiepreise bisher an seiner Prognose für das Gesamtjahr fest. Michelin peilt für 2022 – bei konstanten Wechselkursen – ein operatives Ergebnis der Bereiche von mehr als 3,2 Mrd. Euro an sowie einen strukturellen freien Cashflow von mehr als 1,2 Mrd. Euro, nach 1,8 Mrd. Euro im Jahr 2021.