Viessmann wagt mit Verkauf von Heizungssparte größte Transformation der mehr als 100-jährigen Geschichte
Corporate Finance Award: Die Preisträger (6)
Viessmann macht zum perfekten Zeitpunkt Kasse
Auszeichnung in der Kategorie M&A geht für Verkauf der Heizungssparte an den Familienkonzern
Von Christoph Ruhkamp, Frankfurt
Beim nordhessischen Familienkonzern Viessmann werden die Mitarbeiter traditionell als „Familienmitglieder“ bezeichnet. Entsprechend schwierig war die Entscheidung einen Gutteil von ihnen mit dem Verkauf der Klimasparte, die auch das von der Bundesregierung besonders geförderten Wärmepumpen-Geschäft umfasst, in eine neue Organisation zu übergeben. „Der härteste Moment für mich war der Morgen nach dem Signing“, erinnert sich CEO Max Viessmann in unserem Podcast „Corporate Finance Award – Nachgefragt“. Da seien die ganzen Emotionen noch mal hochgekommen. „Als Unternehmer ist man gewohnt, eine Entscheidung, die heute getroffen wird, lässt sich morgen iterieren. Man lernt dazu. Aber hier war eben klar: Das ist irreversibel.“ Umso wichtiger sei es gewesen, den Kompass klar zu haben, als dann Anfang 2023 die ersten Optionen genauer angesehen wurden.
Für Außenstehende kam der Deal hingegen überraschend. Die Position von Viessmanns Klimasparte schien vor einer goldenen Zukunft. Wärmepumpen, bei denen die Nordhessen eine führende Position hatten, erhielten zusätzlichen Rückenwind aus der Politik: Im März wird ein Vorentwurf des Gebäude-Energie-Gesetzes von der Bild-Zeitung geleakt. Demnach plante die Bundesregierung, dass neue Heizungsanlagen ab dem 1. Januar 2024 mit mindestens 65% erneuerbaren Energien betrieben werden müssen. Das sogenannte Heizungsgesetz käme einem Quasi-Verbot für Öl- und Gasheizungen gleich.
Zu diesem Zeitpunkt laufen die Überlegungen, wie die Zukunft der Klimasparte bestmöglich ausgestaltet werden kann, bei Viessmann bereits sechs Monate zu Gange. „Wir sind sehr, sehr lange vielgleisig unterwegs gewesen“, betont Viessmanns Investment Manager Christopher Höfer. Allerdings verständlicherweise unter Ausschluss der öffentlichen Wahrnehmung. In dieser wird der Konzern im Frühjahr 2023 zunächst als großes Vorbild und zum Teil auch Nutznießer der vom grünen Wirtschaftsminister avisierten Heiz-Transformation gesehen.
Umso überraschender traf die Öffentlichkeit die Nachricht vom Verkauf der Sparte an Carrier Global. Der US-Konzern, an dem sich Viessmann im Gegenzug substanziell beteiligt hat, suchte Zugang zum aufstrebenden deutschen Wärmepumpenmarkt und zu Technologie und Knowhow des Traditionskonzerns. Den Zuschlag erhielt das Unternehmen nicht zuletzt gegenüber anderen Optionen, weil „Carrier immer konsistent im Auftreten gewesen ist“, erzählt Viessmann. Alle Aussagen, Zusagen und Akzente, die gesetzt wurden, seien immer konsistent und der Umgang fair gewesen. "Es gab nie das, was man sonst aus Verhandlungssituationen kennt, dass im Nachhinein versucht wird, noch mal etwas opportunistisch aufzumachen, um einen Vorteil zu erlangen.“
Das Timing für die Transaktion war aus Sicht von Finanzmarktteilnehmern indes perfekt. Mehr hätte die Dynastie aus Nordhessen vermutlich zu keinem anderen Zeitpunkt erzielen können. Auch Höfer räumt ein, dass das Timing aus finanzstrategischer Sicht sicher gut wahr. Allerdings war das fast sekundär. „Denn die soziale Verantwortung ist an dieser Stelle zeitlos.“ Man könne auch sagen, Viessmann habe daher mit dem Zeitpunkt auch finanziell Glück gehabt. Für die Transaktion erhält Viessmann in diesem Jahr den Corporate Finance Award der Börsen-Zeitung in der Kategorie M&A.
Das 13-Fache des operativen Gewinns
Das verkaufte Geschäft mit den klimafreundlichen Wärmepumpen könnte bald noch stärker boomen, weil die Bundesregierung es subventioniert und seit 2024 radikal von fossilen Heizungen auf Wärmepumpen umstellt. Das bringt Planungssicherheit für Carrier aber auch die asiatische Billigkonkurrenz von Konzernen. Im Wettbewerb werden Größe und Stückzahl in Zukunft an Bedeutung gewinnen. In jedem Fall hätte Viessmann sich also neu aufstellen müssen. Optionen, die neben dem Carrier-Deal geprüft wurden, waren etwa auch selbst als Käufer aufzutreten oder aber ein Börsengang der Sparte.
Mit 12 Mrd. Euro, davon 80% in bar, zahlte der US-Klimatechnikspezialist Carrier Global das 13-Fache des operativen Gewinns für Viessmann Climate Solutions. Für 106 Jahre Unternehmensgeschichte erhielten die 11.000 Beschäftigten 106 Mill. Euro Bonus. Allerdings hätte die Familie Viessmann auch finanziell attraktivere Optionen wählen können, die für die Beschäftigten weniger angenehm gewesen wären – unter anderem einen anderen strategischen Partner wählen oder auch Private Equity. „Gerade die letzte Option haben wir sehr stark depriorisiert“, erinnert sich Max Viessmann. Für Carrier sprach insbesondere die weitere Beteilung und die damit verbundene Möglichkeit weiter Akzente zu setzen. Betriebsbedingte Kündigungen sind für drei Jahre ausgeschlossen, wichtige Standorte für Produktion und Entwicklung fünf Jahre gesichert und Allendorf an der Eder ist für zehn Jahre als Hauptsitz gesetzt.
Beteiligungen an Klimaschutzfirmen
Ein Rückschlag für den Wirtschaftsstandort Deutschland war das Ganze nicht. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck stufte den Deal letztlich als unbedenklich ein, und auch die Kartellwächter der EU-Kommission gaben grünes Licht. Die Gewinne der Viessmann Climate Solutions gehen zwar künftig in die USA, aber das tun sie auch bei den meisten Dax-Konzernen. Außerdem bleiben die Arbeitsplätze überwiegend hier. Innerhalb des Carrier-Konzerns, dessen Börsenwert sich seit 2020 auf 45 Mrd. Dollar verdoppelt hat, kommt Viessmann nun global zur Geltung und kann dank der Börsennotierung von Carrier mit dem US-Kapitalmarkt im Rücken Milliardenbeträge investieren.
Mit dem milliarenschweren Barerlös aus dem Verkauf – neben der Aktienbeteiligung an Carrier Global – investieren die Viessmanns zudem größtenteils in die verbleibende Viessmann Group. Deren Kerngeschäft ist die Holding Viessmann Invest mit 30 Beteiligungen an zukunftsträchtigen Firmen, die an nachhaltigen Lösungen arbeiten. Zuletzt investierten die Viessmanns etwa gemeinsam mit dem Finanzinvestor KKR. Die beiden Partner wollen zusammen den börsennotierten Hamburger Windparkbetreiber Encavis für einen Milliardenbetrag kaufen und anschließend von der Börse nehmen.
Investment-Team ausgebaut
Im Februar hatte der Viessmann-Konzern bereits sein Investment-Team ausgebaut und hat dazu den ehemaligen CVC-Manager Stefan Wegener als Operating Partner geholt. CEO Max Viessmann, der auch als Miteigentümer im Verwaltungsrat von Carrier Global sitzt, bezeichnete Wegener als „perfekte Ergänzung für unser hochkarätiges Team“. Er sei mit mehr als 25 Jahren Erfahrung ein Fachmann mit „globaler Expertise auf dem Gebiet der nachhaltigen Wertschöpfung“. Die Mittel aus dem Verkauf der Heizungssparte von Viessmann, die 85% vom Umsatz lieferte, sollen nun gezielt reinvestiert werden, unter anderem mit dem Ziel, erneut einen globalen Champion zu bauen.
Man prüfe derzeit eine Reihe neuer Partnerschaften mit anderen Familienunternehmen. „Wir werden uns auf alle Aspekte, Lösungen und Technologien fokussieren, die zur CO₂-Vermeidung, -Reduzierung und -Speicherung beitragen“, kündigte CEO Max Viessmann im Januar nach dem rechtlich wirksamen Abschluss der Verkaufstransaktion an. „Es wird ein paar Transaktionen geben, bei denen ich mich jetzt schon auf die Berichterstattung freue, weil es dann heißen wird: Die sind gar nicht so glaubwürdig“ in Bezug auf die Nachhaltigkeit, führt Viessmann aus. „In der kurzen Auffassungsgabe wird häufig übersehen, dass gerade ein Unternehmen, das heute einen besonders negativen Beitrag auf der Nachhaltigkeitsschiene hat durch eine positive Veränderung den größten positiven Beitrag leisten kann. Und da sind wir eben nicht ideologisch, sondern sorgen dafür, dass Unternehmen am Beitrag gemessen werden und nicht am Status Quo.“
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