Daniel Koller, BB Biotech

„Mit einem blauen Auge davonkommen“

Die Schweizer Investmentgesellschaft BB Biotech setzt auf die Forschung des US-Impfstoffanbieters Moderna und wagte jüngst eine „taktische Beteiligung“ am US-Konzern Biogen.

„Mit einem blauen Auge davonkommen“

Von Sabine Wadewitz, Frankfurt

Die Schweizer Investmentgesellschaft BB Biotech übt sich mit Blick auf die Impfstoff-Anbieter im Cherry Picking. Die Entscheidung fiel auf die US-Biotechfirma Moderna, die als eine der ersten ein Vakzin zum Schutz vor Covid-19 in den Markt brachte und für die Immunisierung wie der deutsche Wettbewerber Biontech auf die neuartige Gen-Technologie der Boten-Ribonukleinsäure (Messenger-RNA) setzt. BB Bio­tech, einer der größten Biotech-Investoren, hat das Potenzial von Moderna schon vor Ausbruch der Corona-Pandemie erkannt, erläutert Daniel Koller, Leiter des Investment-Teams, im Gespräch mit der Börsen-Zeitung.

Bei Moderna ist BB Biotech seit Januar 2018 engagiert, damals eingestiegen in der letzten größeren Finanzierungsrunde vor dem IPO des US-Unternehmens an der Nasdaq im Dezember 2018. „Es war ein klassisches Crossover-Investment“, sagt Koller. Und es war kein Selbstläufer, auch wenn die Erwartungen an das damals größte IPO in der Biotechbranche hoch gesteckt waren und die Branche hoffte, ein erfolgreicher Börsengang könnte positiv auf das gesamte Segment abstrahlen. Doch anfangs wurden die zu 23 Dollar ausgegebenen Titel von Moderna erstmal abgestuft.

BB Biotech setzte weiterhin auf das Unternehmen und dessen Forschungsansatz zur Entwicklung von Impfstoffen und Arzneimitteln auf Basis der Messenger-RNA. Moderna habe von Beginn an verschiedene therapeutische Ziele verfolgt, die aus Sicht der Schweizer Investmentgesellschaft vielversprechend sind. Koller nennt Impfstoffe gegen Infektionskrankheiten und Medikamente gegen seltene Erkrankungen.

„Der Erfolg des Impfstoffs gegen Covid-19 hat Moderna einen riesigen Schub gebracht“, sagt Koller. Das Biotechunternehmen könne nun auch andere Produktentwicklungen forcieren, wenngleich das Hochfahren der Produktion für den Covid-Impfstoff und die Herausforderungen der Virus-Mutationen derzeit noch eine Kraftanstrengung sind. Für BB Biotech sei es wichtig, wie Moderna von dem Impfstoff-Erfolg profitiere, aber auch, was die Firma daraus mache und in der Zukunft zu bieten habe. Zugute kommt dem Unternehmen aus Sicht von Koller eine bessere Akzeptanz bei Zulassungsbehörden, Ärzten und Patienten.

Über die Pandemie hinaus

Moderna habe nun Chancen, „die weit über das Pandemiethema hinausgehen“, meint Koller. Abgesehen vom Corona-Impfstoff ist ein Vakzin gegen das Zytomegalie-Virus (CMV) am weitesten fortgeschritten. Dieses zur Familie der Herpesviren zählenden Virus ist weit verbreitet. Meist verläuft die Infektion asymptomatisch, gefährlich kann es jedoch für Menschen mit geschwächtem Immunsystem werden sowie für Babys, die sich während der Geburt anstecken und dann Gefahr laufen, taub auf die Welt zu kommen. Bislang gibt es noch keine Impfung. Moderna will noch im laufenden Jahr mit der zulassungsrelevanten Studie in Phase III starten. Hier zeichneten sich attraktive, aber keine riesigen Umsätze ab, es wäre im Erfolgsfall aber ein wiederkehrendes langfristiges Geschäft als Standardimpfung für junge Frauen mit Kinderwunsch, meint Koller.

In der klinischen Entwicklung hat Moderna zudem zwei Schutzimpfungen für Kinder gegen drei Atemwegsviren, gegen die es bislang noch keinen zugelassenen Impfstoff gibt, darunter das respiratorische Syncytial-Virus (RSV). Das Unternehmen hat zudem angekündigt, in das Geschäft mit Grippeimpfstoffen einsteigen zu wollen, weil mit Hilfe der einer mRNA-Technologie möglicherweise ein höherer Schutz als bei herkömmlichen Influenzavakzinen er­reicht werden könne. Neben Impfstoffen forscht Moderna an Krebstherapien und Medikamenten gegen seltene Krankheiten. Es gebe also die Chance, unabhängig vom Corona-Impfstoff ein breiteres Portfolio aufzubauen.

Wie viel Geld BB Biotech in Moderna investiert hat, wird nicht enthüllt. Nachdem die Investmentgesellschaft nach dem IPO weiter zugekauft hat, habe sie im vergangenen Jahr nach der fulminanten Kursentwicklung Gewinne mitgenommen, sagt Koller. „Für uns bleibt Moderna eine Kernbeteiligung“, unterstreicht er. Kasse gemacht hat jüngst der britische Pharmakonzern AstraZeneca, der sich für mehr als 1 Mrd. Dollar von seiner Beteiligung an Moderna trennte. AstraZeneca war 2013 eingestiegen und zählte mit einem Anteil von 7,7% neben der Venture-Capital-Gesellschaft Flagship und dem Vermögensverwalter Baillie Gifford zu den größten Geldgebern des 2010 gegründeten Biotechunternehmens, dessen Aktie derzeit bei 132 Dollar notiert. Mit einer Bewertung von 7,5 Mrd. Dollar an die Börse gegangen, bringt Moderna nach dem Covid-Impfstofferfolg derzeit 53 Mrd. Marktwert auf die Waage. „So eine Kapitalisierung erreichen andere junge Firmen in der Regel erst nach 10 bis 20 Jahren“, sagt Koller.

Kontrastprogramm

Kontrastprogramm ist ein unübliches Investment von BB Biotech Ende vergangenen Jahres: der Einstieg bei Biogen. Normalerweise investieren die Schweizer grundsätzlich in kleinere bis mittelgroße Unternehmen, begleiten sie eine gewisse Zeit und verabschieden sich, wenn das Wachstum dieser Firmen nachlässt. Das Engagement bei Biogen, ein US-amerikanischer Biotechnologiekonzern mit 15 Mrd. Dollar Umsatz, bezeichnet Koller als „taktische Beteiligung“. Die Position hatte Ende Dezember einen Anteil von 2,9% am Portfolio von BB Biotech.

Obwohl BB Biotech die Daten aus den klinischen Studien für das potenzielle Alzheimer-Medikament Aducanumab kritisch betrachte, wird das Investment vor allem mit der „außergewöhnlich positiven Haltung der US-Zulassungsbehörde FDA“ be­gründet. Es wäre im Erfolgsfall die erste Neuzulassung in der Indikation und steht entsprechend im Rampenlicht. Hier könnte Biogen Medizingeschichte schreiben. „Das dürfte der größte binäre Event in der Biotech-Industrie in diesem Jahr sein“, meint Koller. Das Team von BB Biotech, zu dem ein Neurologe gehöre, verfolge die Entwicklung von Alzheimer-Medikamenten seit langem.

Eine Zulassung wäre ein Quantensprung für Biogen, die erfolgreich mit Medikamenten gegen Multiple Sklerose im Markt ist. „Im Fall der Zulassung würde Aducanumab ein sehr umsatzstarkes Produkt werden mit entsprechendem Schub in der Marktkapitalisierung“, sagt Koller. „Ein Unternehmen, das sich zuletzt seitwärts bewegte, könnte sich umfassend neu positionieren.“ Projekte, die ein großes Unternehmen auf einen Schlag in der Bewertung auf ein neues Niveau heben, seien selten zu finden. Vor diesem Hintergrund habe sich BB Biotech für dieses „taktische Investment“ entschieden.

Bei Biogen ist nun Geduld gefragt. Ursprünglich war die Entscheidung der US-Gesundheitsbehörde FDA über das Alzheimer-Mittel am 7. März erwartet worden, doch das Votum ist auf Anfang Juni verschoben worden, um weitere Fragen zu klären. Eine endgültige Entscheidung muss nach den Richtlinien der FDA spätestens bis 7. Juni 2021 getroffen sein. Der Ausgang ist ungewiss, nachdem sich die FDA zwar zunächst positiv zur Wirksamkeit äußerte, dann aber kurz danach ein externes Beratergremium den Daumen senkte und sich mit Hinweis auf kritische Punkte in den Studiendaten gegen eine Zulassung ausgesprochen hat. Aus Sicht des Expertenkreises gebe es keine sichere Erkenntnis, dass der Wirkstoff den kognitiven Verfall von Alzheimerpatienten tatsächlich verlangsamt.

Das Urteil der externen Gutachter ist für die Gesundheitsbehörde nicht bindend, trotzdem ist es bislang kaum vorgekommen, dass sich die FDA über die Meinung des Expertenpanels hinweggesetzt hat. BB Biotech ist erst nach Bekanntgaben des negativen Urteils des FDA-Beraterpanels eingestiegen unter der Annahme, dass der Kursverlauf der Biogen-Aktie durch das bestehende Geschäft nach unten eine Absicherung hat. „Wir sollten mit einem blauen Auge davonkommen, wenn die FDA keine Zulassung erteilt“, hofft Koller.

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