Modebranche sucht alternative Fertigungsstandorte

Coronavirus beschleunigt Verlagerung aus China heraus - Berater Kurt Salmon zählt Bangladesch und Türkei zu den Profiteuren

Modebranche sucht alternative Fertigungsstandorte

hek Frankfurt – Die Ausbreitung des Coronavirus in China beschleunigt die Verschiebungen unter den Zulieferern der Bekleidungskonzerne. Laut einer Befragung der Management- und Strategieberatung Kurt Salmon suchen 85 % der Marken und Einzelhändler nach alternativen Quellen. Insbesondere die großen Markenunternehmen hätten Produktion aus China verlagert, sagt Managing Director Peter Rinnebach. Hauptgewinner sei Bangladesch, das wahrscheinlich den größten Teil dieser Fertigung übernehmen werde. Auch die Türkei profitiere.Kurt Salmon, ein Teil von Accenture Strategy, rechnet damit, dass die Verlagerungen dauerhaft sind, also keine Rückverlegung nach Eindämmung des Coronavirus erfolgen wird. Damit dürften sich die Marktanteilseinbußen Chinas im Mode-Sourcing verstärken. Die Volksrepublik ist zwar nach wie vor wichtigster Lieferant der europäischen Modebranche, verliert aber seit Jahren an Boden. Von 2011 bis 2018 ist ihr Anteil um 10 Prozentpunkte auf 28 % geschrumpft. Frühere Prognosen gingen davon aus, dass es 2022 nur noch 23 % sein werden.Das Wiederhochfahren der Produktion in China nach dem verlängerten Neujahrsfest ziehe sich hin, sagt Rinnebach im Gespräch mit der Börsen-Zeitung. Die Fabriken in Südchina hätten seit Beginn der vergangenen Woche damit begonnen, die Erzeugung wieder zu starten. Auch in Nordchina sei im Laufe der letzten Woche etwas zeitverzögert die Fertigung wieder aufgenommen worden. Allerdings sei die Produktionsleistung noch deutlich gemindert, da zumeist nur 50 % der Belegschaft an die Arbeitsplätze zurückgekehrt seien: “Dies wird dazu führen, dass der Produktionsrückstand vorerst nicht aufgeholt werden kann und weitere Verzögerungen bei Auslieferungen entstehen.” In den Verkaufsläden der westlichen Länder werde das ab April zu spüren sein. Dann komme die jetzt gefertigte Ware in die Geschäfte.Zwar gebe es in der Region Wuhan, die am stärksten vom Coronavirus betroffen ist, kaum Textilfabriken. Aber viele chinesische Arbeiter könnten sich nach wie vor nicht frei bewegen. Home Office sei in der Textilproduktion nicht möglich. Hinzu kämen fehlende Materiallieferungen, da die Fertigung von Vorprodukten ebenfalls durch den Virusausbruch behindert werde.Neben Bangladesch profitiert nach Einschätzung von Kurt Salmon auch die Türkei von Produktionsverlegungen. Gerade europäische Modekonzerne würden ihre Fertigung dorthin verlagern, weil die Transportzeiten relativ kurz seien: “Dann bekommt man die April-Ware vielleicht doch noch pünktlich”, meint der Berater. Aufgrund der absehbaren Lieferverzögerungen und der kurzen Kollektionszyklen von acht bis zwölf Wochen kämen erhebliche Bestandsprobleme auf die Modeverkäufer zu. Zunächst müsse die alte Kollektion länger angeboten werden, da die neue Ware noch nicht angekommen sei. Das führe zu Umsatzausfällen. Dann müsse die verspätet eintreffende Ware schneller als sonst abverkauft werden, um Überbestände zu vermeiden. Das bringe rabattbedingte Margenverluste mit sich. “Hinzu kommt, dass die chinesischen Läden der Modekonzerne wochenlang geschlossen waren und sich auch dort Überbestände aufbauen.” “Enormes Volumen”Schwer einzuschätzen sei, wie viele Textil- und Bekleidungsfabriken in China derzeit stillstehen. Prinzipiell seien 30 bis 40 % des globalen Nachschubs an Textilien betroffen, sagt Rinnebach: “Das ist ein enormes Volumen.” Noch viel größer würden die Nachschubprobleme, sollte sich das Coronavirus in anderen asiatischen Ländern ausbreiten: “Dann kann es zu massiven Verwerfungen kommen, denn der allergrößte Teil der Textilien kommt aus Asien. Dann gibt es kaum noch Möglichkeiten auszuweichen.” Die Kapazitäten in der Türkei, Osteuropa und Nordafrika reichten dafür bei weitem nicht aus. Zudem sei das Kostenumfeld in diesen Ländern “komplett anders”.Neben China und Bangladesch (Anteil 2018: 20,1 %) zählen Indien (5,7 %), Kambodscha (4,7 %), Vietnam (3,9 %) und Pakistan (2,8 %) zu den wichtigsten asiatischen Lieferländern der europäischen Modeindustrie. Etliche Sportartikelanbieter haben bereits vor Verkaufsausfällen gewarnt. So rechnet der US-Konzern Under Armour aufgrund des Coronavirus mit Umsatzverlusten von 50 Mill. bis 60 Mill. Dollar im ersten Quartal. Der britische Mischkonzern AB Foods befürchtet Belastungen für seine Textilkette Primark, sollten sich die Verzögerungen bei der Produktion ausweiten. Die Luxusmarken sind zwar auf der Sourcing-Seite kaum betroffen, da sie laut Kurt Salmon überwiegend in Europa produzieren und nur einfache Teile aus Asien beziehen. Allerdings sind sie im Verkauf stark von chinesischen Kunden abhängig.Nach Einschätzung der Beratungsgesellschaft zeigt die Corona-Krise, dass die Lieferketten der Textilbranche noch immer statisch und stark auf einzelne Sourcing-Märkte ausgerichtet sind. “Die Lieferketten müssen flexibler und multioptionaler werden”, fordert Rinnebach. “Modekonzerne müssen in der Lage sein, ein bestimmtes Produkt sowohl aus China als auch aus anderen Ländern zu bekommen. Dafür sind stärker vernetzte Produktionsstrukturen nötig, die mit der jeweiligen Nachfrage verknüpft werden.”