Fotovoltaik

Neue Chancen für die deutsche Solar­industrie

Eine stärkere Eigenständigkeit in der Solarindustrie erscheint der Politik angesichts geopolitischer Spannungen plötzlich wünschenswert.

Neue Chancen für die deutsche Solar­industrie

dpa-afx Berlin – Nach dem Willen der Bundesregierung soll der Anteil des aus erneuerbaren Energien erzeugten Stroms am gesamten Stromverbrauch bis 2030 von derzeit knapp unter 50 auf mindestens 80% steigen. Gebraucht werden dafür nicht nur mehr Windräder, sondern auch deutlich mehr Solaranlagen. Die Frage ist: Wo sollen die herkommen? Wirtschaftsminister Robert Habeck hält ein Comeback der Solarindustrie in Deutschland für machbar.

Vor einigen Jahren habe man sie unverständlicherweise kaputtgehen lassen, sagte er Ende Juli in Bitterfeld-Wolfen. „Aber wir können es wieder hochziehen.“ Der Grünen-Politiker war zu Besuch beim Solarmodulhersteller Meyer Burger Technology, einem der Großen der Branche. Der Schweizer Anlagenbauer hat vor einem Jahr 145 Mill. Euro in zwei neue Fabriken für Solarzellen und Module in Sachsen-Anhalt und Sachsen investiert.

Vor rund einem Jahrzehnt hatte die Branche ihre zwischenzeitlich große Bedeutung angesichts der Konkurrenz aus Asien verloren. Viele Firmen mussten Insolvenz anmelden oder wurden ins Ausland verkauft. „Beim Solarenergieausbau sind wir derzeit zu über 90% vom Solarmodulimport aus asiatischen Ländern abhängig“, sagte Volker Quaschning, Professor an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin und Experte für regenerative Energien. Und das könnte ähnlich wie bei den Einschränkungen der Gaslieferungen aus Russland erhebliche Folgen haben: „Sollte der Nachschub, aus welchen Gründen auch immer, unterbrochen werden, hat das direkten Einfluss auf das weitere Gelingen der Energiewende“, warnte Quaschning. „Überfällt China Taiwan, ist möglicherweise die deutsche Energiewende erst einmal beendet.“

Krisenvorsorge

Der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands Solarwirtschaft (BSW), Carsten Körnig, mahnt, der Wiederaufbau einer deutschen und europäischen Solarindustrie sei von großer Bedeutung, um widerstandsfähiger bei globalen Krisen zu werden. „Die Voraussetzungen für eine Renaissance der europäischen Solarindustrie haben sich bereits deutlich verbessert“, sagte Körnig. „Durch die zunehmende Automatisierung ist der Anteil der Arbeitskosten deutlich gesunken, während gleichzeitig die Transportkosten immer stärker ins Gewicht fallen.“

Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) hält es allerdings für den falschen Weg, den Zugang zu in China produzierten Modulen über bürokratische Hürden oder Zölle zu erschweren. „Letzteres wurde von der EU in der Vergangenheit praktiziert und hatte lediglich den Einbruch des Fotovoltaik-Zubaus in Deutschland zur Folge“, so der Verband. „Zielführender wäre es, wenn die gewünschten Ziele über positive Anreize und nicht über Strafen erreicht werden. Dafür müssen Deutschland und die EU in Sachen Fotovoltaik wieder an Marktmacht und Bedeutung gewinnen.“

Nach Einschätzung von Quaschning ist das nötige Know-how für ein Comeback der Solarindustrie in Deutschland vorhanden. „Es sind allerdings sehr große Investitionen erforderlich.“ Der Verband der Elek­tro- und Digitalindustrie ZVEI hält einen kräftigen Zuwachs bei Fotovoltaikanlagen für realistisch. Das Erneuerbare-Energien-Gesetz sorge bereits für höhere Fördersätze und auch für größere Ausschreibungsmengen. Gleichzeitig machten steigende Strom- und Heizkosten selbst erzeugten Strom attraktiver.

Nach Daten des BSW wurden 2021 deutschlandweit 50 Terawattstunden Solarstrom erzeugt und damit 10% der öffentlichen Stromversorgung gedeckt. Die Zahl der Solaranlagen ist im vergangenen Jahr um 235600 auf rund 2,2 Millionen gestiegen. Im ersten Halbjahr 2022 kamen 157566 neue Anlagen hinzu. Bremsfaktoren beim Ausbau der Solarenergie sind dem BSW zufolge bürokratische Hindernisse etwa beim Netzanschluss von Fotovoltaikanlagen oder beim Erschließen geeigneter Kraftwerksstandorte so­wie Lieferengpässe infolge der Corona-Pandemie. Aber auch der Fachkräftemangel erschwert den Ausbau der Solarenergie. Derzeit gibt es nach BSW-Schätzungen 25000 Solarhandwerker in rund 5000 Betrieben des Elektrohandwerks in der Fotovoltaikbranche. „Zur Umsetzung der Ausbauziele wird sich die Zahl bis zur zweiten Hälfte der 2020er Jahre mindestens verdoppeln müssen“, sagte Verbandsgeschäftsführer Körnig.

Fachkräftemangel bremst

Der Zentralverband der Deutschen Elektro- und Informationstechnischen Handwerke sieht das ebenfalls mit Sorge: „Die Nachfrage nach Fachkräften wird erwartungsgemäß weiter steigen“, so Geschäftsführer An­dreas Habermehl. „Das ist erfreulich, wird aber zum Problem, wenn die Beschäftigtenzahlen nicht im gleichen Maß mitwachsen, weil es bedeutet, dass sich der Fachkräftemangel weiter verschärft.“