Luftfahrt

Nicht überall herrscht Chaos im Flugverkehr

In Deutschland wird immer gerne darauf verwiesen, dass das Flughafen-Chaos ein globales Thema sei. Ganz so ist es nicht, wie eine Umfrage jetzt zeigt.

Nicht überall herrscht Chaos im Flugverkehr

lis/dpa-afx Frankfurt/Berlin

Warteschlangen und Gepäckberge, Personalmängel und Kundenandrang: Viele Flughäfen in Deutschland haben mitten in der Hauptreisezeit mit Problemen zu kämpfen. Gerne verweist Lufthansa-Chef Carsten Spohr dann darauf, dass diese Probleme ein „globales Thema“ seien, die Branche habe sich weltweit verschätzt. Ganz so ist es nicht. Ein Blick nach Europa zeigt: Solche Schwierigkeiten gibt es auch anderswo – aber nicht überall. Vor allem in Südeuropa läuft der Betrieb an den großen Airports deutlich besser, wie eine Umfrage der Deutschen Presse-Agentur zeigt.

Auch an den Flughäfen des beliebten Urlaubslandes Spanien ächzt man im Sommer unter den Touristenmassen. Es gibt Warteschlangen und Verspätungen. Diese halten sich aber in Grenzen und sind in erster Linie auf Streiks des Bodenpersonals von Ryanair und Easyjet sowie auf das Chaos auf Zubringerflughäfen zurückzuführen – etwa in Deutschland.

Unter anderem macht sich der Personalmangel in Spanien deshalb nicht so sehr bemerkbar, weil während der Pandemie weniger Menschen auf die Straße gesetzt wurden. Das ist dem sogenannten Erte zu verdanken – einem Instrument des spanischen Arbeitsrechts, mit dem Unternehmen Arbeitsverträge für eine bestimmte Zeitspanne aussetzen können. Zur Finanzierung des Erte in der Coronakrise stellte die Regierung nach eigenen Angaben gut 19 Mrd. Euro zur Verfügung.

Auch in Italien sind die Fluggastzahlen noch nicht wieder auf dem Niveau der Vor-Corona-Zeit, sagt der Chef der zivilen Luftfahrtbehörde (Enac), Pierluigi Di Palma, der Nachrichtenagentur Ansa. In den vergangenen drei Monaten seien sie aber deutlich gestiegen. Chaos an den Flughäfen blieb jedoch aus – außer dann, wenn durch Verspätungen anderswo die Flugpläne durcheinandergerieten.

Die geringe Zahl an Problemen führt Di Palma vor allem auf Finanzspritzen des Staates zurück, der die Flughäfen in der Pandemie mit insgesamt etwa 800 Mill. Euro unterstützt hatte, unter anderem für Kurzarbeitergeld. Diese Finanzspritze, sagte der Luftfahrtchef, habe es den Airports ermöglicht, das Personal zu halten und den Betrieb am Boden zu garantieren.

Die beiden Urlaubsländer Griechenland und Zypern haben für die wirtschaftlich so wichtige Touristensaison zeitig ausreichend Personal eingestellt, wie es bei den Flughafenbetreibern heißt. Sowohl die Sicherheitskontrollen als auch die Gepäckabfertigung liefen weitgehend normal, sagte ein Sprecher des Athener Flughafens Eleftherios Venizelos der Deutschen Presse-Agentur.

Probleme entstünden hauptsächlich durch die vielen verspäteten Flieger aus Deutschland und Großbritannien und das dortige Chaos. Das führe immer wieder dazu, dass Touristen aus jenen Ländern an griechischen Flughäfen warten müssten, weil ihre Flieger zur Abreise Verspätung hätten oder aber noch gar nicht gelandet seien.

Wien steuert Abläufe selbst

In der Türkei gibt es laut Hava-Sen, der Gewerkschaft für Beschäftigte im Luftfahrtsektor, derzeit keine Personalengpässe. Auch die Fluggesellschaft Turkish Airlines und ein Sprecher des Flughafens Istanbul berichteten von weitgehend reibungslosen Abläufen. Grund für Verspätungen sei nicht zu wenig Personal, sondern starkes Reiseaufkommen an Flughäfen – etwa dem in der Urlaubsregion Antalya, sagte Seckin Kocak, Chef von Hava-Sen. Zuletzt hatte es Pläne gegeben, türkische Flughafenmitarbeiter in Deutschland einzusetzen.

Der Flughafen Wien verzeichnet nach eigenen Angaben keine nennenswerten Unregelmäßigkeiten im Sommerreiseverkehr. „Der Betrieb läuft weitgehend reibungslos“, sagte Airport-Sprecher Peter Kleemann. Der Flughafen habe dank der staatlichen Unterstützung während der Corona-Pandemie kein Personal abgebaut und sei für das aktuelle und zu erwartende Passagieraufkommen gut aufgestellt. Anders als andere Airports betreibe der Flughafen Wien viele passagierrelevante Prozesse selbst und mit eigenem Personal, etwa die Sicherheitskontrolle und den Großteil der Bodenabfertigung. Daher könne man die Abläufe und Kapazitäten selbst steuern.

Ganz anders dagegen das Bild in den Niederlanden: Am niederländischen Flughafen Schiphol ist Chaos in diesem Sommer fast Alltag. Flugzeuge starten teils mit erheblichen Verspätungen, vorher müssen Passagiere mit stundenlangen Wartezeiten rechnen. Dutzende Flüge werden gestrichen, gerade an den Wochenenden. Manche Airlines haben ihre Urlaubsflüge nun auf regionale Flughäfen umgelegt.

Auch das Chaos bei der Gepäckabfertigung ist groß. Grund ist auch hier der Personalmangel. Zu wenig Leute gibt es auch bei der Sicherheit. Das liegt an den hohen Arbeitsbelastungen und Niedriglöhnen. In der Coronazeit wechselten viele Mitarbeiter zu den Gesundheitsämtern, die deutlich besser bezahlten. Und jetzt kehren sie nicht zum Flughafen zurück – obwohl der inzwischen die Löhne deutlich erhöht hat und sogar Boni zahlt.

In Großbritannien, einem weiteren Chaos-Hotspot, sagte die größte britische Fluggesellschaft British Airways bis Ende Oktober mehr als 10000 zusätzliche Kurzstreckenflüge ab. Dies diene der Sicherheit der Kunden; zu viele Flüge mussten kurzfristig abgesagt werden. Um das Chaos zu bewältigen, hatte die britische Regierung kurz vor der Hauptreisesaison die Vorschriften für die Start- und Landerechte an den Flughäfen gelockert. Fluglinien können damit Verbindungen streichen und auf die sogenannten Slots verzichten, ohne fürchten zu müssen, die teuren Startrechte zu verlieren.

In Frankreich gibt es insbesondere an den Pariser Flughäfen Warteschlangen, Verspätungen und Flugausfälle. Der Flugverkehr hat wieder kräftig und stärker als erwartet angezogen. Dadurch gelingt es nicht im erforderlichen Umfang, das in der Coronakrise reduzierte Bodenpersonal wieder einzustellen. Rund 4000 Stellen sind allein an den Pariser Flughäfen Orly und Charles-de-Gaulle ausgeschrieben. Das Interesse an den ohnehin eher unbeliebten Tätigkeiten im Schichtdienst und auch am Wochenende hat angesichts der spürbar anziehenden Konjunktur in Frankreich nachgelassen.

Dazu kommen in den vergangenen Wochen immer wieder Streiks der Beschäftigten für höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen – sowohl bei Airlines als zuletzt auch beim Bodenpersonal. In den vergangenen Tagen wurden am Flughafen Charles-de-Gaulle rund 10% der Starts und Landungen deshalb gestrichen.