Automobilindustrie

Rasanter Wandel im Autohandel

Tesla setzt schon lange auf einen komplett online aufgesetzten Direktvertrieb. Auch andere Autobauer haben sich in diese Richtung geöffnet – oft gegen den Widerstand des Handels. Mit den aufgrund der Coronakrise seit Monaten geschlossenen Verkaufsräumen haben die Hersteller den Ausbau eigener und alternativer Vertriebskanäle beschleunigt. Der Kfz-Handel muss um seine ohnehin schon knappe Marge fürchten.

Rasanter Wandel im Autohandel

Von Sebastian Schmid, Frankfurt

„Wer seinen Mercedes-Benz online kaufen will, kann ab sofort den gesamten Kaufprozess bis hin zur digitalen Unterschrift bequem von der heimischen Couch abwickeln“, hat der Stuttgarter Autobauer Daimler Anfang Februar stolz mitgeteilt. Einen Online-Laden und die Lieferung des gekauften Fahrzeugs mit dem Stern nach Hause hatte der Dax-Konzern vorher schon etabliert. Nun kann der Kontakt mit dem Händler – ganz wie bei Tesla – vom Mercedes-Kunden komplett gemieden werden. Derzeit hilft das sicher, den Absatz bei geschlossenen Autohäusern etwas zu stabilisieren. Aber der Online-Prozess dürfte gekommen sein, um zu bleiben. Autohäuser und Werkstätten, die im Schnitt nur eine niedrige prozentual einstellige Marge einfahren, dürften das mit Sorge beobachten.

Andere Hersteller mit kleinerem Händlernetz gehen auch viel radikaler vor als die Stuttgarter. Der schwedische Wettbewerber Volvo hat etwa Anfang März angekündigt, seine Elektroautos beginnend mit dem SUV XC40 Recharge in Zukunft ausschließlich über seine Internet-Kanäle anzubieten. Damit können sich die Volvo-Händler darauf gefasst machen, künftig im Verkaufsprozess komplett außen vor zu sein. Ab 2030 wollen die Schweden nur noch vollelektrische Autos anbieten, so dass dann der komplette Vertrieb online stattfinden würde. Angesichts des rasanten Aufstiegs alternativer Antriebe scheint der Zeitplan von Volvo für Märkte wie Deutschland nicht einmal übertrieben ambitioniert (siehe Grafik).

Auch Ford setzt bei der Elektrifizierung von Anfang an auf den Direktvertrieb. Zwar können Interessierte das erste vollelektrische SUV „Mustang Mach-E“ auch hierzulande beim Ford-Händler abholen. In den Verkaufsprozess sind die Autohäuser aber kaum eingebunden. Während auf der Vertriebsseite Umsatzausfall droht, verspricht Ford den Werkstätten dank Digitalisierung („Ford Live“) eine effizientere Betreuung von Gewerbekunden. Kürzere Standzeiten sollen höhere Erlöse in der Flotten-Wartung bringen.

Neben dem Direktvertrieb erprobt mancher Hersteller auch alternative Vertriebskanäle. So plant Opel laut „Automobilwoche“ mit dem ADAC und der zu Meinauto gehörenden Leasinggesellschaft Mobility Concept eine Vertriebsaktion für drei Modelle. Für Opel, die 2020 Anteile im deutschen Markt eingebüßt hat, dürfte die enorme Reichweite des ADAC mit seinen mehr als 20 Millionen Mitgliedern der wesentliche Vorteil der Partnerschaft sein. Die Opel-Händler sind in der geplanten Aktion nur als Auslieferungspartner vorgesehen. Ein Opel-Händler bezeichnete dies gegenüber dem Magazin als „Schlag ins Gesicht“. Um dem Ärger der Handelspartner entgegenzuwirken, habe Opel die pauschale Vergütung von ursprünglich geplanten 3% auf 6% verdoppelt.

Noch mehr Ärger mit seinem Händlernetz handelte sich Kia ein. Die koreanische Marke, die wie die Schwester Hyundai unlängst einen Online-Showroom eingerichtet hat, über den sich Kaufinteressierte von Vertriebsspezialisten virtuell beraten lassen können, hatte ihre Handelspartner nicht über eine Verkaufsaktion bei Lidl informiert. Der Lebensmittel-Discounter vertreibt gemeinsam mit Sixt Leasing den Kia Stonic. Kia versprach dem Händlerverband, von derartigen Aktionen künftig Abstand zu nehmen.

Das Blocken alternativer Vertriebskanäle wird indes auf Dauer keine Option sein. Deswegen haben viele Hersteller wie Volkswagen bereits vor der Pandemie Vereinbarungen mit dem Vertriebsnetz getroffen, um dieses in das digitale Zeitalter mitzunehmen. Wegen des beschleunigten Wandels aufgrund der Pandemie dürften allerdings viele Händler Nachverhandlungsbedarf sehen. Insbesondere, wenn die Ausstellungsräume noch länger ge­schlossen bleiben sollten.