IM INTERVIEW: OLIVER WIECK

Regulierung bremst Exportgeschäft

Internationale Handelskammer ICC setzt sich für stärkere Digitalisierung in der Handelsfinanzierung ein

Regulierung bremst Exportgeschäft

Die Internationale Handelskammer (ICC) sieht Unternehmen in der Coronakrise in ihren Lieferketten durch gesetzliche Einschränkungen behindert. Oliver Wieck, Generalsekretär der ICC Germany, erläutert im Interview, weshalb eine stärkere Digitalisierung in der Exportfinanzierung überfällig ist. Die vor hundert Jahren gegründete ICC bezeichnet sich mit sechs Millionen Mitgliedern in mehr als 100 Ländern als weltweit größte Wirtschaftsorganisation. Herr Wieck, die Internationale Handelskammer versucht, die Abwicklung globaler Lieferketten während der Corona-Pandemie zu unterstützen. Wo hakt es?Handelsgeschäfte im Wert von 2 Bill. Dollar werden weltweit durch Instrumente der Handels- und Exportfinanzierung abgesichert. Das Akkreditiv steht hier an erster Stelle. Bei der Abwicklung eines Akkreditivgeschäfts gibt es strikte Vorgaben, was die Präsentation von Dokumenten oder die Einhaltung von Fristen anbelangt. In der aktuellen Situation stellen diese Regeln die Beteiligten vor große Herausforderungen, wenn zum Beispiel Partner- oder Korrespondenzbanken geschlossen sind oder sie ihre Geschäftszeiten reduziert haben, weil Mitarbeiter in Quarantäne sind. Was hat die ICC unternommen, um diese Probleme zu lösen?Die seit langem bestehenden ICC-Regeln zur Abwicklung von Akkreditiven machen klare Vorgaben, zum Beispiel innerhalb von wie vielen Bankentagen Dokumente präsentiert und geprüft werden müssen. Diese Vorgaben sind relativ eng gefasst. Wird gegen diese Regeln verstoßen, kann dies dazu führen, dass ein Geschäft nicht abgewickelt wird. Mit dem Korsett werden Banken und Unternehmen in der Coronakrise schwerlich zurechtkommen?Deshalb hat die ICC innerhalb kürzester Zeit einen Leitfaden erstellt, wie die ICC-Regeln für Akkreditivgeschäfte angesichts dieser Herausforderungen von den Beteiligten angepasst werden können. Voraussetzung ist die Zustimmung aller im Handel beteiligten Akteure. Wie die Lockerungen aussehen können, hängt von der konkreten Situation im Einzelfall ab. Sie haben also die ICC-Regeln nicht geändert, sondern überlassen den Vertragspartnern die Anpassungen?Es geht nicht darum, unsere Regeln zu überarbeiten. Wir schaffen die Möglichkeit, einzelne Vorgaben zwischen den Parteien einvernehmlich zu ändern, zum Beispiel Fristen zu verlängern oder die Übergabe von Dokumenten an bestimmten Orten zu ermöglichen, ohne dass sich die Beteiligten tatsächlich treffen müssen. Das sind ganz praktische Handhabungen, sie betreffen jedoch zentrale Fragen, und viele Vertragspartner brauchen den Leitfaden, um sich auf die neue Situation einzustellen. Teilweise stoßen wir allerdings an rechtliche Grenzen, zum Beispiel wenn es um die Digitalisierung des Außenhandels geht. An welche Grenzen stößt man hier?Das betrifft zum Beispiel die Dokumentationspflichten. So muss ein Warenbegleitpapier laut Handelsrecht grundsätzlich den Verlauf einer Lieferung lückenlos dokumentieren, um für Sicherheit zu sorgen. Dies erfolgt bislang durch Originaldokumente, die mit einer Ware übergeben werden müssen. Die Regeln der ICC erlauben die digitalisierte Verwendung von Begleitpapieren, es gibt aber immer noch Einschränkungen und Verbote in den nationalen Gesetzgebungen, die oft im Zusammenhang mit der Bankenkrise 2008/2009 verschärft wurden. Trifft das auch auf Deutschland zu?In der täglichen Praxis werden auch in Deutschland Warenbegleitpapiere mit der Post verschickt, obwohl das Handelsgesetzbuch ausdrücklich die Verwendung elektronischer Warenbegleitpapiere erlaubt. Eine entsprechende Öffnungsklausel zur Regelung der Details wurde bislang allerdings nicht umgesetzt. Deshalb sind wir jüngst auf die Bundesregierung zugegangen und haben angeboten, einen entsprechenden Vorschlag zu unterbreiten. Diese Initiative, in der Unternehmen, Banken, Verbände und die Wissenschaft vertreten sind, will die Digitalisierung des Außenhandels in Deutschland voranbringen. Die Pandemie beschleunigt diesen Prozess, und wir haben an die Politik appelliert, alle Regeln, die eine Digitalisierung gerade auch in der Handelsfinanzierung verhindern, aufzuheben. Mit welcher Resonanz?Darauf haben bislang nur sehr wenige Staaten reagiert. Wünschenswert wäre es, wenn es in der EU zu einer einheitlichen Lösung käme, aber am Ende braucht es eine globale Initiative. Gibt es Länder, die hier schon weiter sind?In Asien hat sich schon viel getan. Singapur zum Beispiel treibt die Digitalisierung seines Außenhandels konsequent voran. Der Staat will in alle bisherigen und neuen Freihandelsabkommen Klauseln aufnehmen, die eine digitale Abwicklung des Außenhandels ermöglichen, von elektronischen Warenbegleitpapieren bis hin zur Digitalisierung der Finanzierung und Absicherung des Handelsgeschäftes. Das sollte weltweit Schule machen. Wenn nicht jetzt, wann dann? Das Interview führte Sabine Wadewitz.