Restrukturierungen schieben Geschäft der Kanzlei Noerr an
Im Gespräch: Alexander Ritvay und Torsten Fett
Restrukturierungen schieben Geschäft von Noerr an
Co-Sprecher der Anwaltskanzlei zu Umsatztreibern, Deregulierung und den Aussichten für 2025 – Kooperationen statt eigene Büros in Mittel- und Osteuropa
Von Helmut Kipp, Frankfurt
In einem kompetitiven und konjunkturell schwierigen Umfeld hat sich die Wirtschaftskanzlei Noerr nach eigener Einschätzung behauptet. In Deutschland sei der Umsatz um 1,5% auf 322,7 Mill. Euro gestiegen, teilt die Sozietät mit. Als Treiber nennt Co-Sprecher Alexander Ritvay komplexe Restrukturierungen, Übernahmen und Fusionen, Reorganisationen sowie digitale Transformationsprojekte.

Kanzleiweit ging der Umsatz allerdings von 333,1 Mill. Euro im Vorjahr auf 330,4 Mill. Euro zurück. Grund ist die Trennung von den Büros in Mittel- und Osteuropa. Diese speisten den Jahresumsatz noch mit 7,8 (2023: 15,3) Mill. Euro. Die Niederlassungen in Bratislava, Bukarest und Prag führt die Kanzlei Kinstellar weiter und für die Büros in Warschau und Budapest gab es einen Management-Buy-out. Die meisten Mitarbeiter sind weiter an den Standorten tätig, nur vereinzelt seien Aufhebungsverträge mit Abfindungen geschlossen worden. In Summe sei man aus der Übergabe der Büros – eine große Operation, wie Ritvay einräumt – mit einem positiven Ergebnis rausgegangen.
„Noerr der zwei Geschwindigkeiten“
Der Managing Partner, der die Kanzlei zusammen mit Torsten Fett führt, begründet den Rückzug mit unzureichenden Wachstumschancen und dem „schwierigen Preisgefüge“. Seit den neunziger Jahren habe Noerr deutsche und internationale Konzerne, darunter die Autoindustrie, bei Greenfield Investments – der Neuerrichtung von Produktionsstätten – in Osteuropa begleitet. Derzeit gebe es aber nur noch in begrenztem Umfang neue Investitionen. Die regionalen Märkte seien häufig klein und die nationalen Kanzleien arbeiteten erheblich unter dem eigenen Preisniveau. So habe sich ein „Noerr der zwei Geschwindigkeiten“ gebildet – mit Dynamik im Westen und einem Wachstum im Osten, das hinter den Erwartungen zurückgeblieben sei.

Neuerdings deckt Noerr Mittel- und Osteuropa über Kooperationen ab. „Wenn unsere Mandanten dort investieren, wollen wir als Lead-Kanzlei dabei sein. Unser Fokus ist nicht, von hier aus in den lokalen Markt einzugreifen“, erläutert Fett die Strategie.
Absicherung nach allen Seiten
Zu den Schwerpunkten gehören zurzeit komplexe finanzielle Restrukturierungen wie das StaRUG-Verfahren (Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz) des Batterieherstellers Varta, in dem Noerr das Bankenkonsortium beraten hat. Solche Mandate seien außerordentlich anspruchsvoll und erforderten riesige Dokumentationen, sagt Fett. Denn es berge hohe Risiken für die Organe und die handelnden Personen, einem Unternehmen, das in der Krise steckt, weiteres Geld zu geben: „Daher müssen sich alle Beteiligten in alle Richtungen absichern.“ Es sei verständlich, dass die hohen Beratungshonorare zu Irritationen führten, aber Anwälte würden nach Stunden vergütet: „Für das Geld ist tatsächlich gearbeitet worden.“
Vorschläge zur Deregulierung
Mit Bestrebungen wie dem Vorstoß der EU-Kommission, Regulierung abzubauen, können die beiden Noerr-Partner gut leben. Zwar sei die Aussage „Je mehr Regulierung, desto besser für Anwälte“ durchaus richtig. „Wir wünschen uns aber nicht möglichst viel, sondern bessere und sinnvolle Regulierung, die adäquat ist für Unternehmen“, stellt Fett klar. Noerr habe daher ein Team aufgesetzt, das Vorschläge für Deregulierung erarbeitet, und dafür ein Budget bereitgestellt.
Weiteres Wachstum erwartet
Für 2025 erwarten die Co-Sprecher „auf jeden Fall“ weiteres Wachstum. Das Transaktionsgeschäft wird trotz politischer Unsicherheiten und Zinsrisiken infolge der steigenden Verschuldung Deutschlands anziehen, glaubt Ritvay. Er geht davon aus, dass sich die divergierenden Preisvorstellungen von Verkäufern und Käufern annähern werden. Private-Equity-Firmen hätten große neue Fonds aufgesetzt – dieses Geld müsse investiert werden. Zudem wollten sich viele Unternehmen neu aufstellen, etwa indem sie Randgeschäfte abtrennen oder Kompetenzen dazukaufen. Der Restrukturierungsmarkt werde attraktiv bleiben und auch die Bereiche Regulatorik und Litigation (Rechtsstreitigkeiten zwischen Unternehmen) dürften nach Einschätzung Ritvays stark bleiben.
Ende 2024 beschäftige Noerr 540 Anwälte, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer und juristische Fachkräfte. Im Vorjahr waren es 522 bzw. 616 einschließlich der Osteuropa-Büros.
Die Kanzlei Noerr hat ihre Büros in Osteuropa aufgegeben. Das schmälert den Umsatz des vergangenen Jahres. In Deutschland ist die Kanzlei gewachsen. Zu den Treibern zählen laut den Co-Sprechern Alexander Ritvay und Torsten Fett komplexe Restrukturierungen, Übernahmen und digitale Transformationsprojekte.