Siemens beteiligt an „Electrify America“ von VW
ste Hamburg
Der Wolfsburger Autobauer Volkswagen hat mit dem Münchener Technologiekonzern Siemens einen Co-Investor für Electrify America gewonnen. Das 2017 infolge des Dieselabgasskandals von VW gegründete Unternehmen, dessen Ziel der Aufbau eines Ladesäulennetzes für Elektroautos in Nordamerika über einen Zeitraum von zehn Jahren ist, wird nach dem Einstieg von Siemens mit 2,45 Mrd. Dollar bewertet.
Siemens beteiligt sich nach Angaben der Unternehmen am Dienstag über den Finanzierungssparte Siemens Financial Services mit einem niedrigen dreistelligen Millionenbetrag an Electrify America und erhält einen Sitz im Verwaltungsrat. Insgesamt würden Volkswagen und Siemens 450 Mill. Dollar investieren. Mit Siemens gewinne Electrify America den ersten externen Investor sowie einen wichtigen strategischen Technologiepartner.
„Mit unserer zusätzlichen Investition in Electrify America verleihen wir der E-Mobilität in Nordamerika einen weiteren Schub“, erklärte Thomas Schmall, im VW-Konzernvorstand für das Technikressort zuständig und CEO der Volkswagen Konzern Komponente. Ziel sei es, die Ladeinfrastruktur von Electrify America bis 2026 mehr als zu verdoppeln und auf 1800 Standorte und 10000 Schnelllader zu erweitern. Das Unternehmen hat auch Vereinbarungen mit konzernfremden Autobauern wie Ford, Hyundai/Kia, BMW, Mercedes, Geely, Volvo und dem Tesla-Rivalen Lucid. „Der Einstieg von Siemens bestätigt unsere Elektrifizierungsstrategie, Lade- und Energielösungen flächendeckend zur Verfügung zu stellen“, so Schmall, „und das für Kunden aller Elektrofahrzeuge.“
Für Siemens handelt es sich bei der Electrify-America-Partnerschaft um eine der bislang größten Investitionen des Konzerns im Bereich der Elektromobilität, wie Veronika Bienert, CEO von Siemens Financial Services, erklärte. Die Investition ziele darauf ab, das Wachstum eines offenen E-Mobility-Ökosystems in den USA und Kanada voranzutreiben. Siemens hatte sich bereits vor Jahren an dem inzwischen börsennotierten US-amerikanischen Ladestationsbetreiber Chargepoint beteiligt.
Für den VW-Konzern gehört der Bereich Laden und Energie zu den Kerngeschäften. In der Mitteilung wird darauf verwiesen, dass man „wie kein anderer Autohersteller“ in den weltweiten Aufbau eines offenen Schnellladenetzes investiere. Bis 2025 sind gemeinsam mit Partnern rund 45000 Schnellladestellen in Europa, China und den USA geplant. Im US-Markt, dem weltweit zweitgrößten Automarkt, sieht Europas größter Autohersteller die „historische Chance“, durch die Elektrifizierung „endlich den Durchbruch zu schaffen“, wie Konzernchef Herbert Diess am Dienstag in einer Betriebsversammlung in Wolfsburg anmerkte. Jahrzehntelang habe man dort Milliarden versenkt. Infolge einer kompletten Überarbeitung des Produkt-Portfolios bietet VW nachgefragte SUVs an und arbeitet inzwischen profitabel. Diess betonte weiter, schon heute sei man bei den Elektro-Marktanteilen doppelt so gut wie bei den Verbrennern. „Wir werden die Chance nutzen und haben vor, 10% Marktanteile zu erreichen.“
Der Konzernchef bemühte sich in seiner Rede, den Beschäftigten Mut zu machen: „Unser Konzern ist gut unterwegs“. Das erste Quartal 2022 sei trotz Halbleitermangels und stockender Lieferketten ein Rekordquartal gewesen, kein Wettbewerber treibe seine Transformation so konsequent voran. Fünf Jahre Vorsprung habe man auf andere Autohersteller bei der Elektrifizierung. „Toyota kündigt jetzt das an, was wir bereits 2016 entschieden haben.“ Auch das auf politischer Ebene diskutierte Verbot für Verbrennungsantriebe in Europa ab 2035 müsse VW „keine Angst machen“, so Diess. „Es kann kommen – wir sind vorbereitet.“ Die Marke Volkswagen habe das breiteste reine Elektro-Portfolio der Welt.
Der VW-Chef nutzte den Auftritt vor den Arbeitnehmern auch, auf ein Schwächeln des US-Elektroautobauers Tesla als stärkstem Wettbewerber hinzuweisen. Dieser müsse gleichzeitig zwei hochkomplexe Fabriken in Austin und Grünheide hochfahren sowie die Produktion in Schanghai ausbauen, was Kraft kosten werde. Tesla-Chef Elon Musk selbst spreche davon, dass diese Fabriken aktuell Geld verbrennen würden. „Diese Chance müssen wir nutzen und schnell aufholen“, gab sich Diess kämpferisch. „2025 können wir in Führung gehen.“
Nach Medienberichten über Schwierigkeiten bei der Softwareentwicklung und Spekulationen über die Zukunft der Software-Konzerneinheit Cariad hob der VW-Chef ferner eine „sehr große Einigkeit über alle im Vorstand, im Aufsichtsrat und im Betriebsrat“ mit Blick auf das Ziel einer einheitlichen Softwareplattform für alle Konzernmarken hervor. Man werde ein paar Jahre länger bis Mitte des Jahrzehnts parallel bei VW und Audi Fahrassistenzsysteme entwickeln. Das koste – unter anderem mit rund einer halben Mrd. Euro – „ein paar Ressourcen“, ändere aber nichts am Ziel: „Wir wollen einen einheitlichen Software-Stack für den ganzen Konzern, über alle Marken“.
Laut Diess, der seit Anfang 2022 im VW-Konzernvorstand als Nachfolger von Audi-Chef Markus Duesmann für Cariad zuständig ist, soll sich Audi gemeinsam mit Cariad um die Entwicklung der Software 1.2 kümmern, die in den nächsten Audi- und Porsche-Modellen zum Einsatz komme. Ab Mitte, Ende des Jahrzehnts würden die Entwicklungen dann in der Software 2.0 zusammengeführt, die erstmals das autonome Fahren auf Level-4-Ebene ermöglichen soll. Diess zeigte sich überzeugt, dass die Software zum Anlauf des Trinity-Projekts, das die Marke VW in Wolfsburg entwickeln wird, fertig werde. Rückschläge in einzelnen Projekten gehörten dazu, man müsse Software-Kultur noch lernen. Cariad sei ein Projekt über 10 bis 15 Jahre.