Siemens sieht sich gerüstet für steigende Dividende
Im Gespräch: Ralf Thomas
Siemens sieht sich gerüstet für steigende Dividende
Finanzvorstand erwartet keine Beeinträchtigung durch Verlust von Energy-Tochter – Hoher Cashflow im Geschäftsjahr – Zufrieden mit viertem Quartal
Trotz des Verlustes der Tochter Siemens Energy können die Siemens-Aktionäre auf eine höhere Dividende hoffen. Finanzvorstand Ralf Thomas ist mit dem Geschäftsverlauf im vierten Quartal sichtlich zufrieden und blickt mit Zuversicht auf das Geschäftsjahr 2022/2023, das am 30. September endet.
Von Michael Flämig, München
Die Siemens AG geht offensichtlich davon aus, die Dividende für das am 30. September endende Geschäftsjahr 2023 weiter zu erhöhen und den Aktienrückkauf konsequent fortzusetzen. „Die Fähigkeit der Siemens AG, Wert zu schaffen und den erfolgreichen Geschäftsverlauf in Zukunftsinvestitionen, Dividende und Aktienrückkauf umzumünzen, wird vom Ergebnis von Siemens Energy nicht beeinflusst“, betont Finanzvorstand Ralf Thomas im Gespräch mit der Börsen-Zeitung. Offenbar fühlt sich der Münchner Konzern für eine höhere Ausschüttung gerüstet, obwohl der operative Verlust des Tochterunternehmens Siemens Energy auf das Zahlenwerk durchschlagen wird – und zwar möglicherweise mit einem Betrag in Milliardenhöhe.
Free Cashflow eventuell über Vorjahr
Der Free Cashflow werde im Geschäftsjahr 2023 auf einem hervorragenden Niveau landen, kündigt Thomas an: „Und wenn es gut läuft, sogar über dem hohen Stand der vergangenen Geschäftsjahre.“ Der Free Cashflow hatte in den letzten beiden Jahren jeweils 8,2 Mrd. Euro betragen, in den ersten neun Monaten des Geschäftsjahrs 2023 erwirtschaftete Siemens 5,4 Mrd. Euro. Im vierten Quartal des vorangegangenen Geschäftsjahres waren 3,5 Mrd. Euro über den Free Cashflow in die Kasse geflossen.
Siemens zahlte für das vergangene Geschäftsjahr eine Dividende von 4,25 Euro je Aktie und schüttete damit 3,4 Mrd. Euro an die Anteilseigner aus. Die Dividendenrendite betrug 2,8%, bezogen auf den Aktienkurs am Tag der Hauptversammlung 2023. Die progressive Ausschüttungspolitik sieht vor, dass die Dividende grundsätzlich jährlich mindestens gleich bleibt und in der Regel erhöht wird.
Aktienrückkäufe intensiviert
Der laufende Aktienrückkauf wurde zuletzt angesichts des gesunkenen Aktienkurses intensiviert. Allein im August erwarb das Unternehmen 860.000 Stück zu einem Durchschnittskurs von 140 Euro je Siemens-Aktie. Das im November 2021 begonnene Programm zielt auf ein Rückkaufvolumen von 3 Mrd. Euro. Bis Mitte September wurden bereits 2,4 Mrd. Euro ausgegeben.
Mit dem Geschäftsverlauf im endenden vierten Quartal ist der Siemens-Finanzvorstand sichtlich zufrieden. „Ich bin überzeugt, dass wir dieses Geschäftsjahr erfolgreich abschließen werden“, sagt Thomas. „Wir sind auf dem Pfad unterwegs, den wir uns vorgenommen haben.“ Daran ändere auch nichts, dass sich das China-Geschäft in der zweiten Jahreshälfte nicht – wie bis in den Sommer hinein allgemein erwartet – wiederbelebt habe. „Wir haben die Anpassungen an diese Veränderungen sehr schnell und konsequent vorgenommen“, betont Thomas mit Blick auf das vierte Quartal. Er sei zuversichtlich, dass das Jahresergebnis nicht nur die Erwartungen erfülle, sondern das Geschäftsjahr rückblickend als erfolgreich bewertet werde. Siemens plant ohne die Siemens-Energy-Beteiligung einen Gewinn pro Aktie vor Effekten aus der Kaufpreisallokation (EPS pre PPA) in der Bandbreite von 9,60 bis 9,90 je Aktie.
Starkes Software-Geschäft
Thomas zeigt Verständnis dafür, dass die Investoren über den Geschäftsverlauf im dritten Quartal enttäuscht waren – am Tag der Zahlenveröffentlichung im August war der Kurs um 4,8% auf 139,46 Euro gesunken. Die Bewertung hat sich seitdem nicht erholt, am Mittwoch schloss die Aktie den Xetra-Handel mit 136,20 Euro. Die Investoren hatten im August auf das Ausbleiben einer breiten Konjunkturerholung in China nach dem Ende der Pandemie-Einschränkungen reagiert. So stagnierte der Umsatz von Digital Industries in dem Land auf Vorjahresniveau.
Zugleich betont der Finanzvorstand: „Der Q3-Dämpfer im Auftragseingang und Umsatz wird keine Wirkung auf Dauer haben.“ Seinen Optimismus begründet er damit, dass die Strategie der Transformation zu einem Technologie-Unternehmen voll intakt sei. Siemens zeige noch nie da gewesenes Wachstum, gewinne Marktanteile, verbessere die Marge und belege das am Ende mit einer kontinuierlich starken Cashflow-Performance.
Er streicht zudem heraus, dass der Konzern im vierten Quartal mit dem Digitalisierungsangebot für die Kunden Erfolge verzeichnet. „Das Software-Geschäft, das sich für das vierte Quartal viel vorgenommen hatte, ist hervorragend unterwegs.“ Im dritten Quartal hatte die Sparte Digital Industries den Software-Umsatz nur um 1% erhöht.
Umstellung auf SaaS-Modell
Erfreut ist der Finanzvorstand auch über die Umstellung wesentlicher Teile der Sparte auf ein Abo-Modell (auf Software-as-a-Service): „Wir sind in der SaaS-Transition sehr erfolgreich.“ Durch ein hervorragendes Automatisierungsgeschäft konnte Digital Industries die Umstellung faktisch ohne Beeinträchtigung der Marge bewerkstelligen. Dies sei anders als bei Wettbewerbern, die ebenfalls auf ein Software-as-a-Service-Modell gewechselt hätten.
Sehr zufrieden ist Thomas auch mit der Performance von Siemens Financial Services im ablaufenden Geschäftsjahr. „Als Kenner der industriellen Märkte haben wir viel geringere Kreditausfallraten als der Durchschnitt der Kreditgeber“, sagt er. Er wäre mehr als überrascht, wenn es im vierten Quartal anders wäre. Der Immobilienspezialist Siemens Real Estate sei eine Perle. Die Digitalisierung in der Siemens-Treasury sei auch 2023 konsequent vorangetrieben worden: „Ich bin wirklich stolz darauf, dass wir die Digitalisierung im Innenverhältnis genauso leben wie im Produktangebot für unsere Kunden.“
Kritik an Siemens Energy
Deutliche Worte findet Thomas für die Lage von Siemens Energy: „Die Situation ist für alle Beteiligten unbefriedigend.“ Das dortige Management-Team arbeite nach Leibeskräften an der Transparenz sowie an einer Verbesserung der komplexen Situation. „Wir sind genauso wie der Kapitalmarkt neugierig, was an neuen Erkenntnissen hinzugewonnen wird“, fügt Thomas hinzu, der auch Mitglied des Siemens-Energy-Aufsichtsrats ist. Weil die weitere Entwicklung schwer vorhersehbar sei, habe die Siemens AG die Ergebnisse der Siemens Energy aus ihrer Prognose ausgeschlossen.
Die 25,1-Prozent-Beteiligung an Siemens Energy drückte das Siemens-Ergebnis im dritten Quartal um 647 Mill. Euro. Nach neun Monaten konnte Siemens nur deswegen einen positiven Gewinnbeitrag der Beteiligung in Höhe von 902 Mill. Euro buchen, weil es unter anderem eine positive Neubewertung des Anteils gab. Für das vierte Quartal hat das Siemens-Energy-Management weitere rote Zahlen angekündigt.
Energy-Anteil soll sinken
Das Ziel, sich sukzessive vom Anteil an Siemens Energy zu lösen, gelte unverändert, betont Thomas: „Wir werden uns aus der Großaktionärsrolle zunehmend verabschieden.“ Es wäre schöner gewesen, dies wäre unter besseren Umständen erfolgt, fügt er hinzu. Es sei aber von Anfang an klargemacht worden, dass es nicht um eine Optimierung des Gewinnpotenzials gehe, sondern um eine erfolgreiche Platzierung von Siemens Energy bei den Kunden und am Kapitalmarkt.
Nach dem Ende des laufenden Geschäftsjahres werde die Siemens AG wie angekündigt ihre Pläne für den Anteilsabbau weiter konkretisieren, fügt Thomas hinzu. Der Buchwert des 25,1-Prozent-Anteils – 6,8% waren im dritten Quartal an den Siemens Pensionsfonds übertragen worden – betrug Ende Juni 2,0 Mrd. Euro. Dies entspricht rund 10 Euro je Aktie. Der Energy-Aktienkurs betrug zum Xetra-Schluss am Mittwoch 12,62 Euro.
Thomas ist insgesamt mit der Neuaufstellung des Siemens Konzerns zufrieden. „Wir haben die Portfolio-Politik konsequent vorangebracht“, sagt er mit Blick auf die Portfolio-Companies – also jene Unternehmen, die Siemens nach dem Best-Owner-Prinzip ausrichtet. Der globale Carve-out von Innomotics werde bis zum 1. Oktober 2023 zum größten Teil und damit im Zeitplan vollendet werden. Die Portfolio-Gesellschaft Siemens Airport Logistics als Anbieter innovativer und leistungsstarker Lösungen für die Flughafenlogistik habe buchstäblich wieder Wind unter die Flügel bekommen: „Das sehen wir mit Wohlwollen und auch mit Zuversicht für den Weg nach vorne.“ Thomas wiederholte seine Ankündigung, dass mit seinem Ausscheiden aus dem Siemens-Finanzressort im Jahr 2026 alle Fragen bezüglich der Portfolio-Companies beantwortet sein werden.
Festhalten an Healthineers
Thomas lässt zugleich keinen Zweifel daran, dass Siemens die Mehrheitsbeteiligung an Siemens Healthineers (75%) aktuell nicht in Frage stellt: „Das Gesundheitswesen ist ein unglaublicher Wachstumsmarkt.“ Der akquirierte Strahlentherapie-Spezialist Varian, für den Siemens Healthineers 16 Mrd. Dollar ausgegeben hatte, werde sich erfolgreich weiterentwickeln, ist Thomas überzeugt.
Die Konkurrenten von Siemens sprächen ebenfalls über die Nutzung der Wachstumschancen in der Branche: „Nur: Wir sind viel besser positioniert als alle anderen Wettbewerber.“ Deshalb wäre es sträflich, wenn man sich diese Chance nicht anschauen würde, sagt er: „Ich bin überzeugt, dass wir einen Unterschied machen können über die reine medizintechnische Versorgung hinaus.“ Deshalb sei Siemens weiterhin ein sehr guter Eigentümer dieser Assets.
Derartige Synergien ortet Thomas beispielsweise im Zusammenspiel mit dem Automatisierungssegment Digital Industries. Die Frage der Prozessverbesserung in den Krankenhäusern folge einer ähnlichen Logik wie in einem Industrieunternehmen: „Warum soll das Gesundheitsweisen nicht jene Technologien nutzen, die andernorts bereits etabliert sind?“ Siemens habe diese im Portfolio, um die reale und die digitale Welt in einzigartiger Weise zu kombinieren. Die Siemens-Gebäudetechnik könne beim Bau und der Modernisierung von Krankenhäusern ihre Expertise einbringen, zum Beispiel im Bereich der Energieeffizienz. Nicht zuletzt spiele für die Verwaltungsapparate von Krankenhäusern zunehmend auch die gute Finanzierung neuer Geräte eine Rolle. Siemens Financial Services könne dies bieten: „Dies ist eine hoch relevante Kombination im Kontakt mit den Kunden. Warum sollten wir dies aufgeben?“