Siemens steht vor einer Wackelpartie in China
Siemens steht vor einer Wackelpartie in China
Lagerabbau zieht sich hin – Trotzdem steigt Aktienkurs im Verlauf auf Allzeithoch – Rekordgewinn für ein erstes Quartal – Sondereffekte treiben Nettogewinn
Siemens rechnet mit einer etwas längeren Schwächeperiode im China-Geschäft als ursprünglich angenommen, weil sich der Lagerabbau bei Distributoren hinzieht. Die Prognose für das Geschäftsjahr 2023/24 (30. September) bleibt jedoch unverändert. Der Konzern steigerte den operativen Gewinn auf einen Rekordwert für ein erstes Quartal.
mic München
Siemens sehe bei kurzzyklischen Aufträgen, die direkt mit Bestellung ausgeliefert und verrechnet werden, eine anhaltende Normalisierung, sagte Vorstandsvorsitzender Roland Busch bei der Präsentation der Ergebnisse des ersten Quartals. Jedoch gebe es regionale Unterschiede, wie Kunden ihre Lagerbestände auf übliche Niveaus reduzierten: „Abhängig von der Geschwindigkeit und dem Umfang der wirtschaftlichen Erholung könnte das in China etwas länger dauern.“
Finanzvorstand Ralf Thomas konkretisierte mit Blick auf die Kernsparte für Fabrikdigitalisierung (Digital Industries), der Abbau der Lagerbestände könnte sich bis in die zweite Hälfte des Geschäftsjahres 2023/24 hinziehen. Im November hatte Siemens noch erklärt, der Konzern erwarte ab der zweiten Hälfte – also ab April – eine Verbesserung des Investitionsklimas und einen Abbau der Lagerbestände in der ersten Hälfte.
Abbau der Lagerbestände könnte dauern
Distributoren in China hätten aktuell eine Liefermenge von 13 bis 14 Wochen auf ihren Lagern; vor der Corona-Pandemie seien es fünf bis acht Wochen gewesen, detaillierte Thomas im Gespräch mit Analysten. In Europa und den USA dagegen sollten sich die Lagerbestände bis Mitte des Geschäftsjahres normalisieren.
Thomas wies darauf hin, dass der Auftragsbestand im Automatisierungsgeschäft von Digital Industries immer noch größer sei als zur Zeit vor der Corona-Pandemie, obwohl er von Anfang Januar bis Ende März um 700 Mill. auf 5,4 Mrd. Euro gesunken sei. In China sei das Geschäft im Januar vielversprechend verlaufen, jedoch sei die Bedeutung dieser Daten schwer einzuschätzen – es habe aufgrund der Verschiebung des chinesischen Neujahrsfestes in den Februar hinein im Januar sechs Arbeitstage mehr als im Vorjahr gegeben. Unklar sei auch, wie sich Stimulus-Initiativen der Zentralbank auswirkten.
Umsatz um 6 Prozent gestiegen
Siemens steigerte den Umsatz im ersten Quartal auf vergleichbarer Basis um 6% auf 18,4 Mrd. Euro. Das Plus betrug jedoch in Asien und Australien nur 2%. „Hier sehen wir die Schwäche von China“, erklärte Busch. Thomas führte im Gespräch mit Analysten aus, dass das Automatisierungsgeschäft von Digital Industries in China einen Auftragseinbruch von 55% und einen Umsatzrückgang von 9% hinnehmen musste. Die Vergleichszahlen für Deutschland: −29% und −5%.
Diese Schwäche lässt sich allerdings nicht unmittelbar aus den Quartalszahlen von Digital Industries ablesen, weil das expandierende Softwaregeschäft den Effekt großteils ausglich. Zwar sank der Auftragseingang vergleichbar um 31%, der Umsatz ging aber nur um 1% zurück.
Zwei Sonderfaktoren
Der Konzern steigerte seine operative Marge leicht auf 15,8%, das Ergebnis des industriellen Geschäfts legte um 3% auf 2,7 Mrd. Euro zu. „Das ist der höchste Wert in einem ersten Quartal überhaupt“, erklärte Busch. Zwei Sonderfaktoren gleichen das schwächere Abschneiden der hochprofitablen Kurzzykliker mehr als aus. Vor allem meldete Smart Infrastructure einen Sondergewinn von 94 Mill. Euro infolge der Auflösung einer M&A-Verbindlichkeit. Zudem steigerte die Bahntechnik-Sparte Mobility die operative Marge um rund einen Prozentpunkt, weil nachlaufende Effekte aus dem Russland-Exit verbucht wurden.
Der Siemens-Nettogewinn erhöhte sich wesentlich stärker als das operative Geschäft; er legte um 54% auf 2,5 Mrd. Euro zu. Einerseits verdoppelte sich das Ergebnis vor Steuern der Finanzierungseinheit Siemens Financial Services auf 260 Mill. Euro dank eines Verkaufsgewinns. Andererseits verbuchte Siemens einen Gewinn von 479 Mill. Euro, weil 8% der Siemens-Energy-Beteiligung an den Siemens Pension-Trust übertragen wurden und damit die Bilanzierung des verbleibenden 17,1-Prozent-Anteils nach der Equity-Methode eingestellt wurde. Thomas strich heraus, dass damit künftig eine wesentliche Einflussgröße für die Volatilität in der Gewinn-und-Verlust-Rechnung entfalle.
Der Auftragseingang stieg um 2% und fiel damit deutlich stärker aus als von Analysten erwartet. Die Bahntechnik-Sparte überraschte mit nahezu einer Verdoppelung der neuen Order. Der Auftragsbestand stieg innerhalb von drei Monaten von 111 auf 113 Mrd. Euro – die Tochter Siemens Energy hat mit 118 Mrd. Euro in dieser Dimension mittlerweile die Nase vorne.
Aktienkurs im Handelsverlauf auf Rekordhoch
Der Siemens-Aktienkurs kletterte nach schwacher Tendenz zum Handelsbeginn im Verlauf auf das Rekordhoch von 174,00 Euro; ein Plus von 3,5%.
Für das zweite Quartal prognostizierte Thomas einen moderaten Umsatzrückgang der Sparte Digital Industries. Die Ergebnismarge werde am unteren Ende der Jahresprognose von 20 bis 23% liegen, nachdem für das erste Quartal 19,6% gemeldet wurden. Der Finanzvorstand begründete dies mit einem äußerst günstigen Produktmix und hoher Kapazitätsauslastung im Vorjahresquartal.
Smart Infrastructure werde den Umsatz auf vergleichbarer Basis um 5 bis 7% steigern und dabei eher am oberen Ende der Spanne landen, sagte Thomas. Trotzdem läge die Sparte damit unter der Jahreszielbandbreite von 7 bis 10%, nachdem diese im Startquartal mit 9% erreicht wurde. Die Ergebnismarge, die im ersten Quartal 18,3% betrug, werde eher am unteren Ende der Jahresprognose von 15 bis 17% liegen.
Stabile Jahresprognose
Die Bahntechnik soll Thomas zufolge im zweiten Quartal ein vergleichbares Umsatzerlöswachstum im hohen einstelligen Prozentbereich melden nach 12% im Startquartal. Die Ergebnismarge, die zuletzt 9,3% betrug, werde zwischen 8 und 9% landen. An den Geschäftsjahresprognosen für den Konzern hielt Siemens fest.
Nachdem das Chipdesign-Unternehmen Synopsys den Simulationssoftware-Anbieter Ansys für 35 Mrd. Dollar übernehmen will, betonte Thomas auf Nachfrage, die kerngesunde Siemens-Bilanz liefere eine Menge an Handlungsspielräumen: „Wir haben ein umfängliches Deal Book.“