Smarter ÖPNV - mit Big Data zügig ans Ziel

Potenzial der Informationstechnologie endlich umfassend einsetzen, um intelligente Verkehrslösungen zu finden

Smarter ÖPNV - mit Big Data zügig ans Ziel

Verspätete Busse, überfüllte Bahnen und innerstädtische Staus: Vielen deutschen Ballungszentren droht der Verkehrskollaps. Der Umstieg vom motorisierten Individualverkehr (MIV) auf den öffentlichen Nahverkehr (ÖPNV) kann diesen verhindern. Lediglich für jede sechste Fahrt steigen die Bundesbürger bislang in Bus oder Bahn. Um zu erreichen, dass der ÖPNV von mehr Menschen genutzt wird, müssen die Städte ihn verbessern. Er muss komfortabler, pünktlicher und seine Taktung muss dem Bedarf angepasst werden. Big Data ist ein wesentlicher Schlüssel, um den Verkehr intelligent zu gestalten.Bislang planen 153 Metropolen weltweit, zu Smart Cities zu werden. Gleichwohl haben bisher nur 15 von ihnen auch tatsächlich ein Konzept, wie eine Studie belegt. Ganz vorne mit dabei ist unser Nachbarland Dänemark. Ein Blick auf seine Hauptstadt Kopenhagen mit übergreifender Smart-City-Strategie zeigt, was möglich ist. Dort ist auch eine Vielzahl innovativer Unternehmen ansässig, die intelligente Verkehrssysteme entwickeln. Sie setzen ihren Fokus auf smarte Technologien, Nachhaltigkeit und Wachstum. Ingenieure, Entwickler und technische Universitäten arbeiten eng zusammen.Durch intelligente Verkehrsplanung und infolgedessen weniger Stau minimiert Kopenhagen seinen CO2-Ausstoß fortwährend, um das Ziel, bis 2025 klimaneutral zu sein, zu erreichen. Die Stadt sammelt dabei quasi nebenbei auch noch Bewegungsdaten ihrer Bürger. Mittels WLAN-Punkten in Ampeln oder Bussen werden Daten vom Smartphone oder Fitness-Tracker in Echtzeit übermittelt. Da Ampeln, Ladestationen für E-Autos und Parksysteme vernetzt sind, werden Ampelschaltungen optimiert, Ladesäulen übermitteln ihren Energiebedarf mithilfe smarter Messsysteme, und Autofahrer finden zügiger freie Parkplätze.Bereits heute verfügen deutsche Verkehrsbetriebe über einen Schatz, den es zu heben gilt: die Daten aus ÖPNV-Fahrten ihrer Fahrgäste. Viele (Straßen-) Bahnen und Busse sind bereits mit Sensoren ausgestattet und “wissen”, wie viele Passagiere wann wohin fahren. Allerdings stellen Aufbereitung und Analyse von Big Data die Verkehrsbetriebe vor eine Herausforderung, da die Infrastruktur und das Wissen zum Managen großer Daten häufig fehlen. Es bedarf fachkundiger Menschen zur Datenauswertung, spezieller Technologien und nicht zuletzt des Ausbaus des 5G-Netzes, um die riesigen Datenmengen zu erheben und auszuwerten. Ein wesentlicher Schritt zur Erfassung der vorhandenen Daten ist die flächendeckende Einführung der 5G-Technologie. Anonymisierte DatenDie technische und fachkundige Umsetzung ist das eine, aber auch die Bürger wollen mitgenommen werden. Big Data klingt nach Big Brother – und weckt Ängste. Es ist unerlässlich, dass die Verkehrsbetriebe verdeutlichen, dass es um anonymisierte Daten geht. Personenbezogene Daten müssen anonymisiert werden. Datenschutz hat jederzeit oberste Priorität und steht den Interessen der Verkehrsbetriebe in keiner Weise entgegen. Bei Big Data im öffentlichen Verkehr geht es nicht um Einzelprofile, sondern um Verkehrsströme und Stoßzeiten. Kommunen und Verkehrsbetriebe tun gut daran, ihren Umgang mit den Daten transparent zu kommunizieren. Auf diese Weise lässt sich die öffentliche Skepsis mindern.Die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) machen vor, wie man mit Big Data und Analytics-Systemen umgeht. Die BVG konnte ermitteln, dass einige Buslinien kaum frequentiert waren. Mehr Sitzplätze, auch unbesetzt, bedeuten aber höheren Schadstoffausstoß. Die BVG reduzierte auf besagten Strecken die Größe der Busse, was wiederum Sprit spart und Emissionen senkt.Außerdem bietet die BVG Jelbi an, eine App, die die große Mehrheit der Mobilitätsangebote der Hauptstadt zusammenführt. Damit findet der Fahrgast das optimale Verkehrsmittel – gefiltert nach Kosten, Zeit, Nähe zum Verkehrsmittel. Zudem können sich alle Mobilitätsdienstleister simpel und schnell mittels automatischer Schnittstelle in die Plattform einklinken.Unsere Analysen bestätigen: Die Nutzung offener Daten kann als Kompass für eine neue Verkehrsplanung dienen. Hier zeigt sich beispielsweise Münster fortschrittlich. Die Stadt zählt zu den bisher rund 70 Kommunen in der Bundesrepublik, die über eine Open-Data-Plattform verfügen. Diese für jedermann zugängliche Plattform liefert Daten aus Bevölkerungsstatistiken oder Bodenrichtwerten, aber auch zur ÖPNV-Nutzung.Datenschutzrechtlich sind diese “offenen Daten” unbedenklich, da anonymisiert. In Münster können die Bürger über die Plattform in Echtzeit nachsehen, welche Parkhäuser noch frei sind oder wo Baustellen den Verkehr lahmlegen. Gleichwohl existiert für das Portal noch keine eigene App; immerhin jedoch eine für mobile Endgeräte optimierte Version. Hamburg zeigt PioniergeistDeutschlandweit pendeln an jedem Werktag knapp elf Millionen Menschen zur Arbeit. Hamburg verzeichnet allein 354 483 Ein- und 129 424 Auspendler. Innerhalb der Bundesrepublik zählt die Hansestadt zu den Pionieren in Sachen intelligenter Verkehr: 2019 startete die Stadt mit dem VW-Konzern ein Pilotprojekt, bei dem Teile der Innenstadt zu Teststrecken für autonomes Fahren wurden. Da passt es ganz ausgezeichnet, dass Hamburg den nächsten Weltkongress für intelligente Verkehrssysteme 2021 (ITS World Congress) ausrichtet.Auch mit dem Fahrdienst Moia zeigen sich Hamburg sowie auch Hannover innovativ: Mittels App werden hierbei Fahrgäste “gepoolt”, Fahrgäste mit derselben Route nutzen einen gemeinsamen Kleinbus. Damit das Pooling noch erfolgreicher wird, bedarf es eines Gesamtkonzepts für den Verkehr, bei dem auch Fahrdienste wie Moia eingebunden werden. Komfort und PreissenkungDer automatische Ticketkauf, das Check-in/Be-out, ist ein weiterer Meilenstein in Sachen smarter Verkehr. Sowohl der Hamburger Verkehrsverbund als auch einige weitere Verkehrsbetriebe führen diese Art des Ticketkaufs bereits ein: Sensoren ermitteln über das Smartphone des Fahrgasts, welche Routen und Linien er gefahren ist. Am Monatsende wird der günstigste Fahrpreis berechnet und abgebucht. Ticket-Recherche und lästiger Fahrkartenkauf fallen weg. Im Gegenzug überlässt der Passagier dem Verkehrsbetrieb seine Bewegungsdaten. Mit ihnen könnten die Betriebe künftig ihre Auslastungen verbessern und ihr Streckennetz anpassen.Man mag meinen, alle Beteiligten wollten dasselbe – einen vernetzten, smarten ÖPNV. Doch noch erheben unterschiedliche Verkehrsverbünde unterschiedliche Daten und konkurrieren um Streckenaufteilungen und Kosten. Um den Verkehr optimal zu planen, wäre eine gemeinsame Open-Data-Plattform aller Verkehrsbetriebe erstrebenswert. Bislang existiert zwar der Mobilitäts-Daten-Marktplatz (MDM); sein Angebot hilft jedoch eher Spediteuren, Staus und Engpässe auf Autobahnen zu umfahren, weniger jedoch den Betreibern des ÖPNV. Klingt das nicht gut?Die Zukunft ist smart – damit auch der ÖPNV zukunftsfähig wird und flexibel auf die Nachfrage reagieren kann, müssen wir Big Data automatisiert nutzen. Teure und aufwendige manuelle Verkehrserhebungen wie Fahrgastbefragungen, wie sie die Verkehrsbetriebe im Moment durchführen, gehören der Vergangenheit an.Lassen Sie uns das Potenzial, das die Informationstechnologie birgt, endlich umfassend nutzen, um intelligente Verkehrslösungen zu finden. Wir haben jetzt die Chance, mittels Daten unsere Straßen zu entlasten, unsere Städte lebenswerter zu machen und nicht zuletzt auch den Klimaschutz voranzutreiben. Und klingt eine solch neue, smarte Wirklichkeit nicht einfach gut: Effizient und maximal umweltschonend unterwegs sein und dabei noch pünktlich am Ziel ankommen? Dr. Ulrich Störk, Senior Partner und Sprecher der Geschäftsführung von PwC Deutschland