Sorgen um X crashen Musks Cybertruck-Party
Sorgen um X crashen Musks Cybertruck-Party
Neuer Tesla-Pickup startet zu deutlich höheren Preisen als erhofft – Werbekunden der vormals Twitter genannten Plattform wollen an Boykott festhalten
xaw New York
Einem römischen Feldherren gleich hält Elon Musk am Donnerstag in der Tesla-Gigafactory in Texas Einzug. Begleitet von dramatischer Musik fährt der reichste Mann der Welt nicht auf einem Streitwagen, sondern im neuen Cybertruck in der Fabrikhalle vor, während ihm ein Publikum aus Kunden und Mitarbeitern zujubelt. Mit der monumentalen Inszenierung will der 52-Jährige den Auslieferungsstart seines Elektro-Pickups feiern – und zugleich wohl von der Kontroverse um seine Person ablenken, die sich für seine Social-Media-Plattform X zunehmend zur existenzbedrohenden Krise auswächst.
Den Marktstart des durch sein futuristisches Design auffälligen Cybertruck hatten Tesla-Jünger lange herbeigesehnt; bereits vor vier Jahren hatte Musk den Prototyp vorgestellt. Entsprechend bemüht war der CEO am Donnerstag, die Bedeutung des Moments hervorzuheben. "Es ist sehr selten, dass ein Produkt an den Markt kommt, das unmöglich schien, das Experten als unmöglich bezeichneten", sagte Musk bei dem groß angekündigten "Delivery Event", das Tesla im Livestream auf X (ehemals Twitter) übertrug. Der Cybertruck sei robuster und leistungsfähiger als ein normaler Pickup und zugleich "ein besserer Sportwagen als ein Sportwagen".
Zu untermauern suchte der Milliardär diese Aussagen, indem er seinen Chefdesigner Franz von Holzhausen einen Baseball gegen die Seitenscheibe des Vorführmodells schmeißen ließ. Bei einer ähnlichen Demonstration war bei der Prototypen-Demonstration im Jahr 2019 die Scheibe zu Bruch gegangen, damals hatte von Holzhausen allerdings auch eine Metallkugel werfen müssen.
Der leichteren Belastung hielt das Glas diesmal stand – und Musk schob gleich einige Videos nach, die angebliche Produkttests zeigten. In einem Ausschnitt schoss ein Mann mit einer Thompson-Maschinenpistole auf den Pickup, ohne dass die Kugeln durch die Karosserie gedrungen wären. "Wenn Al Capone mit einer Tommy Gun auftauchen und das gesamte Magazin in die Tür entleeren würde, wärst du immer noch am Leben", tönte der Tesla-Chef in Anspielung auf den wohl berüchtigtsten US-Mafioso. Es folgten weitere Videos, in dem der Cybertruck einen Kraftwettbewerb gegen den R1T-Pickup des Elektro-Konkurrenten Rivian sowie die Ford-Modelle F-150 Lightning und F-350 Diesel gewann.
Besonderes Highlight für die Tesla-Anhänger: ein Rennen, in dem das neue Modell des Musk-Unternehmens einen giftgrünen Porsche 911 abhängte – obwohl der Cybertruck einen Anhänger zog, der mit einem weiteren Porsche 911 beladen war.
Mit seinen Muskelspielchen schaffte es Musk aber zunächst nicht, die Anleger zu begeistern. Die Tesla-Aktie tendierte am Freitag im frühen Handel rund 3% schwächer. Investoren hatten vor dem "Delivery Event" gespannt auf nähere Informationen zur Bepreisung des Cybertruck, dessen Produktion sich langfristig auf 250.000 Einheiten pro Jahr belaufen soll, gewartet. Wie das Unternehmen nun bekannt gab, sollen die Einstiegsmodelle zu rund 61.000 Dollar starten – das wären ungefähr 21.000 Dollar mehr als einst bei der Vorstellung des Prototyps in Aussicht gestellt. Zudem bietet Tesla zwei exklusivere Versionen des Cybertruck an, die teuerste Variante kommt auf einen Startpreis von fast 100.000 Dollar.
Batteriereichweite enttäuscht
Die nun offengelegte Batteriereichweite von 340 Meilen fällt indes deutlich niedriger aus als die 500 Meilen, die das Unternehmen 2019 für das Spitzenmodell versprochen hatte. Durch ein Zusatz-Feature sollen Fahrer die Reichweite auf 470 Meilen und mehr steigern können - wie viel dieses kosten soll, gab Tesla allerdings nicht bekannt.
Die Mitteilungen stoßen im aktuellen Umfeld auf besondere Skepsis. Denn der Marktstart des Cybertruck erfolgt in einer Phase, in der das Interesse an E-Autos in den Vereinigten Staaten allgemein stark abgekühlt ist. Zwar hat der Elektroabsatz in den ersten drei Quartalen im Vergleich zum Vorjahr um 51% zugelegt, doch ist der Absatz deutlich langsamer gewachsen. Im Gegensatz zu 2022, als die Hersteller teils lange Wartelisten für E-Modelle führten, beginnen sich nun Lagerbestände aufzutürmen.
Hersteller dampfen Elektroziele ein
Auch der Absatz der bestehenden Tesla-Modelle X, Y, S und 3 ist nach einem vorherigen Rekordspurt im dritten Quartal zurückgegangen. Mehrere andere Hersteller haben zuletzt ihre Erwartungen bezüglich eines anhaltenden E-Auto-Booms zurückgeschraubt. Bei Ford bildet die verlustgeplagte Sparte Model E einen Bremsblock für den Gesamtkonzern. Zwischen Juli und September stieg der Absatz der Geschäftseinheit mit 14,8% langsamer als in den Vorquartalen. Die Verkäufe der E-Variante des F-150 Lightning stachen mit einem Einbruch um 45,8% negativ hervor – obwohl der Konzern die Einstiegspreise im Juli um fast 10.000 Dollar kürzte.
Angesichts dieser Schwäche stutzt Ford auch die Produktionsziele zurecht: Der Konzern verkündete Ende Juli, bis Jahresschluss 2024 die Marke von 600.000 E-Autos pro Jahr erreichen zu wollen – eigentlich hatte er diese für 2023 angepeilt. Mitte November kündigte Ford zwar an, die im September unterbrochenen Arbeiten an einer neuen Batteriefabrik in Michigan wieder aufzunehmen, dampfte die Ambitionen dabei aber ebenfalls ein. In dem Werk – dessen Bau insbesondere bei republikanischen Politikern scharfe Kritik hervorruft, weil Ford darin Technologie des chinesischen Zulieferers CATL einsetzen will – sollen von 2026 an rund 40% weniger Batterien produziert werden als ursprünglich geplant.
Auch General Motors, die wie Ford nach dem jüngsten Tarifstreit mit der Gewerkschaft United Auto Workers höhere Personalkosten bewältigen muss und zudem mit Rückschlägen auf dem Zukunftsfeld des autonomen Fahrens kämpft, hat die Ziele für den Elektro-Output gekürzt. Stattdessen setzt der Konzern Mittel frei, die eigentlich für die Entwicklung von Robo- und E-Autos vorgesehen waren, um ein 10 Bill. Dollar schweres, beschleunigtes Aktienrückkaufprogramm aufzulegen und Investoren zu besänftigen.
Trotz der allgemeinen Rückschläge im E-Automarkt war die Stimmung in der texanischen Tesla-Gigafactory betont ausgelassen. Musk gab sich jovial und umarmte Cybertruck-Käufer der ersten Stunde, die er gleich in ihre angeblich gerade vom Band gerollten Pickups setzte. Am Mittwoch fiel die Laune des Milliardärs noch ganz anders aus. Auf einer Konferenz der "New York Times" äußerte er sich zum Boykott von Werbekunden auf X, mit dem Firmen wie Disney, Apple und IBM auf eine Antisemitismus-Kontroverse um Musk reagieren.
Werbekunden wollen fernbleiben
Sie sollten sich "zum Teufel scheren", forderte Musk die beteiligten Unternehmen frei übersetzt auf – wörtlich sagte er "go fuck yourself". Nach den ausfälligen Bemerkungen teilte ein halbes Dutzend großer Marketingagenturen mit, ihre Kunden würden aufgrund der verbundenen Reputationsrisiken nicht mehr auf X zurückkehren. Hält der Boykott tatsächlich an, könnte dies den Social-Media-Anbieter im laufenden Quartal 75 Mill. Dollar kosten, wie die "New York Times" unter Berufung auf interne Dokumente berichtete.
X bestritt diese Zahl zunächst. Doch Musk räumte am Mittwoch ein, dass eine dauerhafte Werbeblockade den Untergang für seinen Kurznachrichtendienst bedeuten würde. Dann müssten sich die beteiligten Unternehmen, die versuchten, den Milliardär zu "erpressen", öffentlich dafür rechtfertigen. Insbesondere Disney-Chef Bob Iger, der auf der gleichen Veranstaltung auftrat, ging Musk an.
X-Chefin Linda Yaccarino, eine eigens in Reaktion auf die seit Monaten anhaltende Reputationskrise angeheuerte Veteranin der Werbe- und Marketingindustrie, versuchte im Anschluss die Wogen zu glätten. Sie lenkte die Aufmerksamkeit auf Musks Entschuldigung dafür, dass er antisemitische Nachrichten geteilt hatte. Der Milliardär antwortete Mitte November auf die Nachricht eines X-Nutzers, der eine Verschwörungstheorie verbreitete: "Du hast die tatsächliche Wahrheit gesagt."
Investmentbanker aufgewühlt
Musk bezeichnete den Post am Mittwoch als Fehler und betonte, er sei kein Antisemit. Durch die Äußerung auf der Social-Media-Plattform habe er "denjenigen, die mich hassen, eine geladene Waffe überreicht". Die aggressive Haltung des 52-Jährigen gegenüber seinen ehemaligen Werbekunden dürfte laut Beobachtern allerdings insbesondere den Investmentbankern übel aufstoßen, die im vergangenen Jahr an seiner 44 Mrd. Dollar schweren Übernahme des damals als Twitter bekannten Kurznachrichtendienstes beteiligt waren.
Denn ihre Geldhäuser sitzen noch immer auf milliardenschweren, zur Finanzierung des Deals begebenen Ramschkrediten und versuchen seit Monaten vergeblich, diese am Markt abzuladen. Die Sorgen potenzieller Investoren, die einen Ausfall oder zumindest weitere massive Wertverluste dieser Darlehen fürchten, dürften nach Musks Auftritt laut Analysten kaum abgeebbt sein. Auch durch die Cybertruck-Inszenierung dürften Anleger dem Milliardär die Rolle des siegreichen Feldherren kaum abkaufen.
Elon Musk will mit einer Feier zum Marktstart des Tesla-Cybertruck für Aufbruchstimmung sorgen. Doch die Veranstaltung fällt in eine turbulente Phase. Das schwache Interesse der US-Kunden an Elektroautos und neue Eklats um die Social-Media-Plattform X (vormals Twitter) verhageln den Investoren die Laune.
Wertberichtigt Seite 2