Statt Kohleausstieg die CO2-Emissionsrechte verknappen
Von Christoph Ruhkamp, DüsseldorfWährend die Kohlekommission der Bundesregierung tagt, ist der Kampf um die Vorherrschaft in der öffentlichen Meinung zum Kohleausstieg voll entbrannt. Im Streit um die geplanten Rodungen des uralten Buchenwaldes am RWE-Braunkohletagebau Hambach im Rheinischen Revier haben sich die Arbeitnehmervertreter des Energiekonzerns zu Wort gemeldet. Umweltverbände wollten die Kohlekommission mit diesem Thema “ganz offensichtlich unter Druck setzen”, heißt es in einem Brief der Konzernbetriebsratschefs an Umweltministerin Svenja Schulze (SPD), die sich gegen die Rodung gewandt hat, und an Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU), unter dessen Ministeriumsdach in Berlin die Kommission diskutiert. “Unsere Tätigkeit im Rheinland soll kurzfristig vollständig zum Erliegen gebracht werden.”Auch RWE-Chef Rolf Martin Schmitz hat sich – wenig verwunderlich – bereits gegen einen aus seiner Sicht übereilten Kohleausstieg positioniert: Die größte Hürde bei der Energiewende sei der schleppende Netzausbau, erklärte der Manager. “Hier braucht es Lösungen, damit der Zubau der Erneuerbaren auch seine Wirkung entfalten kann. Ich bin auf die Vorschläge der Kommission dazu sehr gespannt. Sie bringen hoffentlich neuen Schwung”, sagte Schmitz.Um die eigene Position zu untermauern, hat RWE beim Analysehaus Frontier Economics eine Studie zu den Folgen eines beschleunigten Kohleausstiegs anfertigen lassen. Das Kernargument – neben dem befürchteten Verlust von 55 000 Arbeitsplätzen in den energieintensiven Industrien sowie Mehrkosten von summiert 34 Mrd. Euro für die Verbraucher – lautet: Es gebe mit dem Emissionshandelssystem der Europäischen Union, das die Zahl der CO2-Emissionsrechte stetig verknappt und damit schon für eine Verdoppelung des CO2-Preises binnen Jahresfrist sorgte, ein ausreichendes Instrument für den Klimaschutz. “Ohne Nutzen fürs Klima”Ein zusätzlich beschleunigter Kohleausstieg in Deutschland, der bis 2050 ohnehin erfolgt, hätte keine zusätzliche klimaschonende Wirkung. Der Grund: Zwei Drittel des hierzulande nicht mehr erzeugten Kohlestroms würden mangels Alternativen aus dem Ausland importiert. Entweder als Atomstrom aus Frankreich oder als Kohlestrom aus Polen.”Der Treibhausgasausstoß im deutschen Stromsektor sinkt in der Folge zusätzlich um bis zu 87 Mill. Tonnen CO2 pro Jahr bis 2035”, heißt es in der Studie. Die europäische Strommarktmodellierung zeige, dass etwa zwei Drittel dieser Minderung durch Mehremissionen bereits unmittelbar infolge einer Verschiebung der Stromproduktion von Deutschland in die Nachbarländer kompensiert werden. Der wesentliche Teil der im Rahmen des Modells verbleibenden CO2-Minderung werde im Zuge des EU-Emissionshandelssystems letztlich durch Mehremissionen in anderen Ländern und Sektoren oder Folgejahren kompensiert – ein “Wasserbetteffekt”. Dieser resultiert daraus, dass die in Deutschland nicht mehr benötigten Emissionsrechte dann anderswo zum Einsatz kämen, um Kohlendioxid in die Luft zu pusten.Die Argumentation von RWE klingt sehr vernünftig und plausibel, hat aber eine Lücke. Es ist als Möglichkeit explizit in den entsprechenden europäischen Verträgen vorgesehen, auf EU-Ebene die Zahl der CO2- Emissionsrechte über das bisher vorgesehene Maß hinaus zu verknappen. Der Charme dieser Lösung: Das CO2 wird dort eingespart, wo die Einsparung die geringsten Kosten und Schmerzen verursacht.In der Studie wird dies auch eingeräumt: “Zwar sieht die aktuelle Reform des ETS Möglichkeiten zur Löschung von Zertifikaten vor, die den ,Wasserbetteffekt` dämpfen können.” Mitgliedstaaten können Zertifikate stilllegen, die durch den Ausstieg aus der fossilen Stromerzeugung freiwerden. Zusätzlich erfolgt eine automatische Löschung von Zertifikaten aus der Marktstabilitätsreserve, die jedoch erst langfristig nach Abbau der Reserve klimawirksam wird.Allerdings schwächt die Studie diesen Ausweg für den Klimaschutz gleich auch wieder ab: So wirkten die angedachten Mechanismen “nur in Teilen, und die klimaschützende Wirkung wird bei einem solchen Vorgehen ausschließlich von der Löschung der Zertifikate ausgelöst, nicht durch die vorzeitige Stilllegung von Kohlekraftwerken infolge von sektorspezifischen Emissionszielen”. “Bilanzielle Verluste drohen”Unter dem Strich warnen die Autoren der Studie im Auftrag von RWE vor dem beschleunigten Kohleausstieg: “Bei zu schnellem Wegbrechen der Strukturen können die hohen bisherigen Investitionen am Markt nicht mehr erwirtschaftet werden. Bei einer Umsetzung des Klimaschutzplans 2050 würde die Nutzung einzelner Kraftwerke und der Anlagen vor dem Ablauf ihrer wirtschaftlichen Lebensdauer enden. Deshalb wären bilanzielle und volkswirtschaftliche Verluste unvermeidbar.”So bleibt das Dilemma bestehen: Die Bundesregierung hat sich mit ihrem Klimaschutzplan 2050 auf eine Reduzierung der CO2-Emissionen in der Energieindustrie um mehr als 60 % bis 2030 festgelegt – und kann diese Ziele aus heutiger Sicht nicht erreichen, ohne einen Strukturbruch in der Energiewirtschaft und in den mit ihr verbundenen energieintensiven Industrien zu riskieren.