Supreme Court verhandelt Zukunft des Internets
xaw New York
Vor dem Obersten Gerichtshof der USA könnte sich in den kommenden Monaten die Zukunft des Internets entscheiden. Denn dort werden seit der vergangenen Woche zwei Fälle verhandelt, die aus der gleichen Klage entstanden sind. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage, inwieweit Social-Media-Riesen wie die Alphabet-Tochter Youtube oder Twitter für Inhalte auf ihren Plattformen verantwortlich gemacht werden können.
Beide Fälle drehen sich dabei um Terrorattacken des sogenannten Islamischen Staates. So klagt die Familie einer bei den Anschlägen in Paris im Jahr 2015 ums Leben gekommenen Studentin gegen Alphabet. Die Angehörigen werfen dem Konzern vor, IS-Terrorvideos nicht von Youtube genommen, sondern diese sogar Nutzern vorgeschlagen zu haben. Damit habe die Google-Mutter gegen das US-Antiterrorgesetz verstoßen.
Die zweite Klage kommt von Familienangehörigen eines der Opfer der Anschläge in einem Istanbuler Nachtclub im Jahr 2017. Ihren Vorwürfen zufolge hätten es Twitter, Alphabet und die Facebook-Mutter Meta Platforms dem IS ermöglicht, ihre Dienste für die Finanzierung, die Anwerbung neuer Mitglieder sowie Aufrufe zur Gewalt zu missbrauchen.
Beide Fälle gestalten sich zwar sehr ähnlich, werfen aber unterschiedliche rechtliche Fragen auf. Bei der Klage gegen Google steht Abschnitt 230 des 1996 verabschiedeten Communications Decency Act im Fokus, mit dem Alphabet in niedrigeren Instanzen noch erfolgreich argumentiert hatte.
Das Gesetz ist als Schild für den Tech-Sektor bekannt, da es die Unternehmen der Branche von der Verantwortung für schädliche und bösartige Inhalte auf ihren Plattformen ausnimmt. Dadurch, so betonen Analysten, sei der Weg für das wirtschaftliche Wachstum im Internet aber überhaupt erst frei geworden. Die Kläger argumentieren indes, dass Abschnitt 230 bei algorithmischen Inhalts- und Videovorschlägen schädlichen Verhaltens nicht mehr zeitgemäß sei.
Die Klage gegen Twitter ist unterdessen von der Auslegung des 2016 angepassten US-Anti-Terrorismus-Gesetzes abhängig. Nach diesem Regelwerk können Anschlagsopfer Kompensationen von Personen und Unternehmen einfordern, die vorsätzliche Beihilfe zum Terrorismus geleistet hätten. Ein Richter in einer niedrigeren Instanz wies die Klage indes bereits 2018 ab. Laut ihm konnten die Kläger nicht beweisen, dass Twitter, Google und Meta mit Vorsatz gehandelt hätten. Seit dem Frühjahr 2021 ist die Klage allerdings wieder aktiv.
Die Plattformbetreiber sehen sich indes nicht in der Verantwortung für die Terrorattacken. Twitter setzt nach eigenen Angaben Regeln durch, die Werbung für terroristische Aktivitäten unterbänden. Auch Google und Facebook haben nach eigenen Aussagen große Anstrengungen unternommen, um IS-Inhalte von ihren Seiten zu nehmen. Urteile gegen die Tech-Konzerne würden laut Analysten einen gewaltigen Einschnitt bedeuten. Allerdings zeigen sich die Richter in beiden Fällen bisher skeptisch zu den Positionen der Kläger. Bei Twitter seien wohl keine ausreichenden Hinweise auf Verbindungen zu den Tätern von Istanbul zu erkennen, um daraus eine rechtliche Verantwortung abzuleiten. Wer Alphabet dafür verantwortlich mache, dass Algorithmen zeitweise automatisch extremistische Werbevideos gezeigt hätten, könne auch einem Telefonhersteller vorwerfen, dass der IS mit dessen Produkten telefoniere, kommentierte der republikanische Richter Clarence Thomas. Die Unternehmen erhielten zudem Unterstützung von einem Anwalt aus dem US-Justizministerium.
Parteienstreit bremst Reform
In Washington besteht auf politischer Seite unterdessen durchaus breite Unterstützung für eine Reform von Abschnitt 230. Das Gesetz sei schließlich zwei Jahre vor der Gründung von Google und drei Jahre, bevor das Wort „Blog“ erstmals aufgetaucht sei, verabschiedet worden. Allerdings scheitern die legislativen Bemühungen bisher wohl an parteipolitischen Differenzen zwischen Demokraten und Republikanern.
Dass das Internet ohne das Gesetz funktionieren könne, halten viele Beobachter aber für ausgeschlossen. Denn wenn Konzerne wie Alphabet die Inhalte auf ihren Plattformen stetig nach Haftungsrisiken durchsuchen müssten, könnten sie die Flut an neuen Videos und Posts nicht mehr verarbeiten. Eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs in Bezug auf Abschnitt 230 wird für Juni bis Anfang Juli erwartet.