Marcus Wassenberg

„Umsatz organisch verdoppelt“

Für Heidelberg war es in der Vergangenheit nicht gerade leicht, den Anlegern einen Vertrauensvorschuss abzuringen. Mit seiner umfassenden Transformation und den Ambitionen im Wallbox-Geschäft findet der Konzern seit einiger Zeit aber wieder Anklang an der Börse.

„Umsatz organisch verdoppelt“

Karolin Rothbart.

Herr Wassenberg, seit gut zwei Wochen tobt in der Ukraine ein Krieg, für den der Westen Russland mit drastischen Sanktionen belegt hat. Welche Rolle spielt die Region für Heidelberg?

Wir beobachten die Entwicklungen in der Ukraine mit großer Sorge, vor allem aus humanitärer Sicht, wenn man die aktuellen Bilder täglich sieht. Dabei hat die Gesundheit unserer Mitarbeitenden und Geschäftspartner vor Ort oberste Priorität. Wir unterstützen sie auch, so gut es geht. Wir haben in beiden Ländern je eine Tochtergesellschaft. Die russische Tochter hat im letzten Jahr knapp 25 Mill. Euro Umsatz gemacht, bei der ukrainischen Tochter waren es etwa 4 Mill. bis 5 Mill. Euro. Setzen wir die Umsätze unserer Aktivitäten dort ins Verhältnis zu unserem Gesamtumsatz von über 2 Mrd. Euro im Jahr, so rechnen wir damit, dass die Auswirkungen rein wirtschaftlich verkraftbar sein dürften. Angesichts der aktuellen Entwicklung muss man sich auch die Frage stellen, was das jetzt generell für die Rohstoff- und Energiepreise bedeutet.

In der westlichen Welt verabschieden sich Unternehmen gerade reihenweise von ihren Aktivitäten in Russland. Steht das für Heidelberg auch zur Debatte?

Natürlich registrieren wir, was dazu gerade im wirtschaftlichen Umfeld passiert. Wir werden uns an alle Sanktionen und gesetzlichen Vorgaben halten. Das Neugeschäft haben wir eingestellt.

In Deutschland haben Sie als CFO in den vergangenen Jahren daran gearbeitet, den Konzern aus seiner desolaten Lage herauszuholen. Heidelberg war ein halbes Jahr nach Beginn Ihrer Amtszeit aus dem SDax geflogen und Ende 2021 wieder zurückgekehrt. Wie bewerten Sie die Kursentwicklung angesichts der bisher umgesetzten Transformationsmaßnahmen?

Ich glaube, die Performance zeigt, wie wir das Unternehmen in den letzten Jahren weiterentwickelt haben. Ich bin im September 2019 gekommen, als Heidelberg in einer sehr schwierigen Situation war. Wir hatten hohe Verlustbringer im Portfolio und eine schwache Bilanzstruktur. Dazu kamen dann noch spürbare konjunkturelle Belastungen durch die Pandemie. Wir haben als Antwort darauf das Kerngeschäft neu aufgestellt, die Bilanz saniert und sind sichtbar in Zukunftsmärkte gegangen. Das haben wir Quartal für Quartal mit entsprechenden Zahlen untermauert. Wir haben die umfassende Restrukturierungsphase jetzt abgeschlossen, sind profitabel und haben eine sehr gute Auftragslage.

Aktuell bringt Heidelberg an der Börse knapp 800 Mill. Euro auf die Waage – für die Zukunft sehen Sie den Unternehmenswert potenziell bei über 1,5 Mrd. Euro. Wo soll der Schwung herkommen?

Im ersten Schritt haben wir jetzt wie erwähnt die Bilanzstruktur optimiert, das Unternehmen schlanker gemacht und werden bis zum Ende des nächsten Geschäftsjahres mehr als 2000 Vollzeitstellen abgebaut haben. Im zweiten Schritt haben wir geschaut, was wir im Kerngeschäft tun können, damit der Umsatz, den wir durch Corona verloren haben, in den nächsten Jahren wieder auf die Höhe von etwa 2,5 Mrd. Euro oder mehr kommen kann.

Welche Möglichkeiten gibt es da?

Wir sehen zum Beispiel im Verpackungsmarkt noch deutliches Wachstumspotenzial – gerade in dem Bereich sind wir in der am stärksten wachsenden Region Asien hervorragend positioniert. Im größten Einzelmarkt China, wo wir im wichtigsten Segment 50 % Marktanteil haben, könnten wir den Umsatz durchaus noch deutlich steigern. Außerdem haben wir Fortschritte beim Thema wiederkehrende Umsätze gemacht, die uns ebenfalls helfen, ein stückweit stabiler zu werden. Neben diesem einen profitablen Kerngeschäft brauchen wir im dritten Schritt aber auch ein dynamisches Wachstum.

… das Sie im E-Mobilität-Geschäft sehen.

Ja, aber nicht nur. Bei den Wallboxen haben wir den Umsatz nach drei Quartalen organisch bereits um 170% gegenüber dem Vorjahr gesteigert. Zudem arbeiten wir daran, unsere Kernkompetenz im Druckmaschinenbau auch für andere Themen wie für gedruckte Elektronik nutzbar zu machen. Im vierten Schritt wollen wir unser Know-how dann in andere Geschäftsfelder transformieren, was aber eher mittelfristig der Fall sein wird. Je nachdem, wie es uns gelingt, Heidelberg neu aufzustellen, wird es uns auch gelingen, noch mehr Bewertungshebel zu ziehen.

Seit einiger Zeit zeigt sich in Ihrer Bilanz für solche Vorhaben auch wieder etwas finanzieller Spielraum. Die Nettofinanzverschuldung lag Ende 2019 noch bei 389 Mill. Euro, zuletzt waren es 6 Mill. Euro. Auch der Cashflow war mit 69 Mill. Euro nach dem dritten Geschäftsquartal 2021/22 wieder positiv. Was sind hier Ihre mittelfristigen Zielgrößen?

Der Cashflow soll künftig etwa in einer Größenordnung bei 80, 90 oder 100 Mill. Euro liegen, was auch ein wenig von den künftigen Investitionen abhängt. Wir müssen zwar weiterhin sehr auf der Ausgabenseite aufpassen. Trotzdem investieren wir weiter in unser Wachstum, speziell im Bereich E-Mobilität. Die Nettofinanzverschuldung werden wir auch weiter auf einem niedrigen Niveau halten können. Natürlich wird sie ein wenig schwanken, aber wir werden sie auf einem absoluten Minimum halten. Wenn man die Pensionsrückstellungen außen vor lässt, wird der Konzern nahezu schuldenfrei sein.

Was haben Sie sich bei der Eigenkapitalquote vorgenommen, die ja zuletzt mit 7,2% schon etwas über dem Wert von vor einem Jahr lag, aber in der Höhe immer noch recht wackelig daherkommt?

Wir streben im Konzern eine Quote an, die wir auch in der AG haben. Dort liegt sie bei 28 %. Ich würde mir für den Konzern mittelfristig eine ähnliche Quote von mindestens 20 % wünschen. Wenn sich die Dinge so entwickeln, wie ich sie gerade erläutert habe, dann glaube ich, dass wir dies innerhalb von fünf Jahren auch erreichen können.

Für den aktuellen Turnus bis Ende März haben sie nach zwei deutlichen Verlustjahren auch wieder einen Gewinn unterm Strich in Aussicht gestellt. Wie stark hängen Heidelbergs Ergebnisse derzeit und im nächsten Geschäftsjahr noch vom Thema Kostenoptimierung und Unternehmensverkäufe ab?

Das Nachsteuerergebnis, das wir für 2021/22 prognostiziert haben, ist vor allem der Tatsache geschuldet, dass wir verlustbringende Geschäfte gestoppt haben und dass wir auf der anderen Seite die Kosten unter anderem mithilfe des Stellenabbaus deutlich reduziert haben. Dazu hatten wir Einmaleffekte aus dem Verkauf von Nicht-Kernaktivitäten und Grundstücken in der Größenordnung von 50 Mill. Euro. Wir werden das vielleicht im nächsten Jahr noch einmal kurz sehen, aber nicht im vergleichbaren Umfang. Dann ist es damit aber auch getan. Zudem tragen unsere sich erholenden Absatzmärkte zu einer weiteren Verbesserung der Ergebnissituation bei. Wir werden dann nachhaltig profitabel sein.

Es gibt die Befürchtung, dass Heidelberg die Inflation künftig doch stärker zu spüren bekommen könnte, als von Ihnen angenommen. Das Ziel einer Ebitda-Marge von 10% für das nächste Ge­schäftsjahr bezeichnen Analysten als recht ambitioniert.

Wir haben uns im Rahmen unseres Dreijahresplans immer ambitionierte Ziele gesetzt. Bisher haben wir die auch erreichen können. Wir rechnen im kommenden Geschäftsjahr mit weiter deutlich steigenden Umsätzen und haben wie schon erwähnt eine deutlich verbesserte Kosteneffizienz. Auf der anderen Seite haben wir einen verbesserten Produktmix. Aber ja, wir erwarten auch deutliche Forderungen nach Lohnanpassungen. Das haben wir in unserer Planung entsprechend berücksichtigt. Wir haben auch die anhaltend hohen Materialkosten eingepreist und geben die Kostensteigerungen an die Kunden weiter. Aus meiner Sicht ist die Planung für das nächste Jahr so, wie sie ein konservativer Kaufmann augenblicklich machen würde. Die möglichen Auswirkungen des Ukraine-Konflikts kann heute noch keiner genau vorhersagen.

In der globalen Lieferkettenkrise hat sich die hohe Wertschöpfungstiefe von Heidelberg als vorteilhaft erwiesen. Soll es nach den Erfahrungen auch künftig dabeibleiben, dass sich Heidelberg im Zweifel lieber selbst mit wichtigen Vorprodukten versorgt?

In der Lieferkettenkrise, wie wir sie jetzt erlebt haben, ist uns unsere tiefe Wertschöpfung tatsächlich sehr entgegengekommen. Sie erlaubt uns ein wenig mehr Kontrolle über die Versorgungsprozesse als das bei anderen Industrieunternehmen der Fall ist. Zudem halten wir unsere Zwei-Standort-Strategie mit Deutschland auf der einen Seite und Schanghai auf der anderen Seite für einen großen Wettbewerbsvorteil. Wir versorgen aus Schanghai heraus den gesamten asiatischen Raum, während wir aus Deutschland heraus Europa und Amerika versorgen können. Insofern würden wir diese Struktur vielleicht optimieren, aber nicht grundsätzlich in Frage stellen.

Zurück zum Thema E-Mobilität: Der Aktienkurs von Heidelberg hat sich in den vergangenen zwölf Monaten auch deshalb mehr als verdoppelt, weil Anleger mit Blick auf Ihre Wallboxen sehr hohe Erwartungen haben. Wie groß kann der Bereich im Vergleich zum Kerngeschäft überhaupt werden?

Die Elektromobilität hat für uns zwei Bedeutungen. Zum einen ist sie ein Stück weit die Blaupause für die Transformation von Heidelberg. Sie zeigt, wie wir unser Know-how − in dem Fall beim Thema Stromversorgung der Druckmaschine – in anderen Bereichen wie Ladesäulen einsetzen können. Auf der anderen Seite hat das Thema aber auch eine große Bedeutung in Zahlen: Der Umsatz wird sich in diesem Jahr organisch verdoppeln, auf eine Größenordnung von deutlich über 40 Mill. Euro. Wir sehen in den nächsten Jahren, abgeleitet aus den Megatrends unserer Zeit, dass wir in der Elektromobilität das Wachstum fortsetzen können, was dazu führt, dass sich der Anteil von derzeit knapp 2% am Konzernumsatz deutlich erhöhen kann.

Ihr Noch-Chef Rainer Hundsdörfer hatte mit Blick auf einen möglichen IPO des Geschäfts im Juli gesagt, dass das Zeitfenster für eine entsprechende Ankündigung nicht riesengroß sein wird. Wie sieht es diesbezüglich aktuell aus?

Wir wollen in der Elektromobilität jetzt erstmal den Umsatz und Marktanteil weiter ausbauen und uns dann überlegen, was der richtige Schritt ist. Das könnte ein Börsengang sein, was eine spannende Option für uns ist. Es könnte aber auch eine strategische Partnerschaft mit einer entsprechenden Beteiligung sein, um weitere Expansionsschritte gehen zu können. Wir sind in der glücklichen Lage, hier diverse Optionen zu haben. Welche davon wann für Heidelberg passend ist, schauen wir uns zu gegebener Zeit an. Im Moment haben wir aber im Kapitalmarkt, gerade mit Blick auf die Ukraine, nicht gerade das passende Umfeld.

Sie hatten zuletzt angekündigt, Kunden in ausgewählten Märkten Subskriptionsverträge in Zusammenarbeit mit der Munich Re an­zubieten. Dabei kaufen die Kunden die Maschine nicht, sondern leasen sie und zahlen eine feste monatliche Rate für ein Basis-Druckvolumen und einen festen Preis für jeden zusätzlich gedruckten Bogen. In welchen Märkten bieten Sie dieses As-a-Service-Modell an und wie ist es bislang angenommen worden?

Die Ankündigung allein hat uns geholfen, diese Idee in Deutschland weiter zu forcieren. Es ist ja keine komplett neue Idee – wir haben Subskription ja schon vorher angeboten, uns limitierte allerdings unsere eigene Bilanz. Aus dem Geschäft mit der Munich Re heraus werden wir nun aber im nächsten Geschäftsjahr die ersten Verträge insbesondere in den USA abschließen können und dann auch in anderen europäischen Ländern. Der Vorteil ist einfach, dass das Modell zu stetigen, planbaren Einnahmeströmen über einen längeren Zeitraum führt, in Verbindung mit einer höheren Profitabilität für uns, aber auch für unsere Kunden.

Wie steigert der Kunde durch das Modell seine Profitabilität?

Bei Subskription geht es ja um die Frage, wie es ein Kunde in seinem Drucksaal schafft, die technische Kapazität der Maschine besser auszunutzen. Dadurch, dass wir unsere Maschinen weltweit monitoren können, sehen wir, dass bei vielen Kunden noch Luft nach oben ist. Wir bieten ihnen dann an, mithilfe von Beratungsleistungen, einem optimalen Mix von Betriebsmitteln sowie mit dem rechtzeitigen Austausch von Ersatzteilen die Produktivität zu erhöhen. Daran verdient der Kunde, weil er seine gegebene Infrastruktur besser ausnutzen kann und weil sich durch das Subskriptionsmodell auch eine andere Kostenstruktur ergibt.

Inwiefern bringt die Munich Re als Partner das Konzept voran?

Mit einem solchen Modell erhöht sich automatisch der Verschuldungsgrad, weshalb wir es in der Vergangenheit nie so stark angegangen haben. Wir sind aber weiter sehr davon überzeugt und können es durch die neue Partnerschaft stärker betreiben und den Anteil am Umsatz verdoppeln. Im Moment macht unser gesamtes wiederkehrendes Geschäft noch etwa 12 % unserer Umsätze aus, in den nächsten Jahren soll der Umsatz damit auf bis zu 450 Mill. Euro steigen. Um dahin zu kommen, brauchen wir einen Partner, mit dem wir das Modell weltweit skalieren können. Genau das macht die Munich Re, indem sie uns unter dem Dach einer US-Gesellschaft die Möglichkeit gibt, in diverse lokale Märkte zu gehen und genau dieses Modell anzubieten.

Das Interview führte

BZ+
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