Michael Albrecht vom Kolke

„Unternehmen brauchen klare Aussagen“

Die vielen neuen EU-Sanktionen gegen Russland bereiten Unternehmen immer wieder Probleme: Denn die Vorgaben wurden in Brüssel mit heißer Nadel gestrickt, und es fehlen verbindliche Auslegungen, wie der Skadden-Experte Michael Albrecht vom Kolke erläutert.

„Unternehmen brauchen klare Aussagen“

Von Andreas Heitker, Brüssel

Seit der russischen Invasion in der Ukraine hat die Europäische Union sechs große Sanktionspakete gegen Russland verabschiedet. Hinzu kamen – zuletzt im Juli – zahlreiche Nachbesserungen und Nachjustierungen. Unternehmen aus der EU, die mit oder in Russland Geschäfte machen, kennen Wirtschaftssanktionen zwar schon seit der Annexion der Krim 2014. Das Gefühl, was noch machbar ist und was nicht, ist bei den meisten Unternehmen mittlerweile aber längst nicht mehr da, wie der Sanktionsexperte Michael Albrecht vom Kolke im Gespräch mit der Börsen-Zeitung bestätigt: „Die Russland-Sanktionen der EU haben seit Februar ein Ausmaß angenommen, das es so noch nie gegeben hat. Auch das Tempo, in dem sie erweitert wurden, hat es so noch nie gegeben. Sie betreffen im Grunde jedes Unternehmen, das in Russland Geschäfte macht, und zwar sektorübergreifend.“

Albrecht vom Kolke berät als European Counsel bei Skadden Arps in Frankfurt international agierende Konzerne zu den geltenden Sanktionsvorschriften in den USA, Großbritannien und der Europäischen Union. „Die große Herausforderung für Unternehmen in der EU ist die Auslegung der vielen neuen Rechtsvorschriften“, sagt er. Denn diese wurden in Brüssel vielleicht nicht immer mit der nötigen Sorgfalt erstellt, sind aber dennoch sofort anzuwenden – und bei einem Verstoß drohen Unternehmen drakonische Strafen. Diese müssen also genau verstehen, welche Teile ihres Geschäfts von den Sanktionen berührt werden und welche Teile nicht.

„Man weiß zwar in den meisten Fällen, worauf der Gesetzgeber hinauswollte. Aber eine trennscharfe Abgrenzung ist oft nicht gelungen“, kritisiert Albrecht vom Kolke. „Es gibt viele Begriffe in den Sanktionsverordnungen, die schwer auszulegen sind – zum Beispiel bei der Frage, wann genau ein Unternehmen oder ein Vermögenswert im Zuge der Finanzsanktionen von einer sanktionierten Person kontrolliert wird.“

„Mit heißer Nadel gestrickt“

Dies betrifft dann etwa die Frage, wie mit 50-50-Joint-Ventures umzugehen ist oder auch mit Minderheitsbeteiligungen. Diese Auslegungsprobleme sind nach Ansicht von Experten in der EU deutlich ausgeprägter als in den USA und Großbritannien, wo es bei diesen Fragen zentrale Ansprechpartner auf Seiten der Behörden gibt.

In der EU hat jeder Mitgliedstaat eigene Behörden ernannt, die die Sanktionsverordnungen anzuwenden haben – die aber in vielen Fällen ebenfalls Probleme mit der Auslegung, aber keine eigene Auslegungshoheit haben, wie Albrecht vom Kolke in dem Gespräch erläutert. In Deutschland sind für finanzielle Sanktionen etwa die Bundesbank und für den Wirtschafts- und Handelsbereich das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) zuständig.

Der Skadden-Anwalt verweist darauf, dass auch die EU-Kommission seit Februar bereits über 200 Seiten Auslegungshinweise zu den Russland-Sanktionen veröffentlicht hat. „Diese wurden aber mehr noch als die Sanktionsverordnungen selbst mit heißer Nadel gestrickt“, moniert er. „Das führt dazu, dass sich die Hinweise manchmal widersprechen, dass einzelne Erläuterungen plötzlich verschwinden und gelegentlich in einer späteren Fassung in geänderter Form wieder auftauchen. Oder es werden Fragen aufgeworfen, aber nicht beantwortet.“

Zum Teil haben außerdem auch nationale Behörden eigene „Frequently Asked Questions“ veröffentlicht, die nach Einschätzung des Anwalts stellenweise in Widerspruch zu den Auslegungshinweisen der EU-Kommission stehen.

„Hinzu kommt: Die EU-Kommission hat eigentlich keine Kompetenz bei der Auslegung von EU-Rechtsakten“, betont Albrecht vom Kolke. „Die Auslegungshinweise der EU-Kommission sind also nicht verbindlich.“ Dies habe auch der Europäische Gerichtshof (EuGH) im vergangenen Dezember in einem anderen Verfahren sehr deutlich gemacht.

Für Unternehmen, die in Russland aktiv bleiben wollen oder mit russischen Unternehmen weiterhin Geschäfte machen wollen, ist diese Situation alles andere als erbaulich. Ein Gang vor den EuGH mit einem anschließenden jahrelangen Prozess, um Klarheit über einzelne Sanktionsvorgaben zu erhalten, ist keine wirkliche Lösung. „Was in Europa fehlt, ist eine gewisse Kompetenzbündelung“, sagt auch Skadden-Experte Albrecht vom Kolke.

In der EU-Kommission ist diese Analyse nicht ganz neu. In Brüssel gab es schon vor dem Krieg in der Ukraine Bestrebungen, eine zentrale Behörde nach Vorbild des OFAC (Office of Foreign Assets Control) in den USA aufzubauen, die dann für die Anwendung und Überwachung von Handels- und Wirtschaftssanktionen zuständig wäre.

Ruf nach europäischem OFAC

Durch den Krieg und die massiven Russland-Sanktionen haben diese Bestrebungen nach Einschätzung von Albrecht vom Kolke zusätzlichen Auftrieb bekommen. „Viele Unternehmen würden ein europäisches OFAC auf jeden Fall begrüßen, würde eine solche Behörde doch mehr Rechtssicherheit schaffen, als sie heute vorhanden ist.“

Der Aufbau einer solchen Behörde geht allerdings auch nicht von heute auf morgen und erscheint daher nur mittelfristig hilfreich. „Die Entscheider in den Unternehmen brauchen trotzdem klare Aussagen, was erlaubt ist und was nicht, auch um eine eigene persönliche Haftung zu vermeiden“, unterstreicht der Skadden-Anwalt. Es sei eine ziemliche Herausforderung, diese klaren Aussagen methodisch einwandfrei aus den Sanktionsverordnungen abzuleiten. Für die EU-Kommission bleibt damit noch einige Arbeit beim Nachjustieren der Formulierungen. Denn dass die Sanktionen so schnell wieder aufgehoben werden könnten, erwartet niemand.

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