Krieg in der Ukraine

Unternehmen fliehen aus Russlandgeschäft

Der Ukraine-Krieg führt zum Massenexodus westlicher Konzerne aus Russland. Vor allem Energiekonzerne trifft es hart. Aber auch Autoindustrie, Kanzleien, Unternehmensberater und Konsumgüterhersteller stoppen Produktion, Lieferung und Investitionen.

Unternehmen fliehen aus Russlandgeschäft

cru/ste Frankfurt/Hamburg

Die Flucht westlicher Konzerne aus Russland macht in einigen Fällen jahrzehntelange Investitionen in dem Land seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1991 zunichte. Autohersteller, Technologiekonzerne, An­­waltskanzleien, Unternehmensberatungen und Konsumgüterhersteller stoppen Produktion, Investitionen und Lieferungen oder geben ihre Beteiligungen und ihre von Sanktionen betroffenen Kunden auf. Dazu zählen VW, BMW, Ford, Toyota, Volvo, Renault, Wintershall Dea, ExxonMobil, BP, Shell, Equinor, Total Energies, Boeing, Apple, Siemens, Carlsberg und Nike. Inzwischen hat die gesamte westliche Autoindustrie die Produktion in Russland vorerst eingestellt, etwa bei VW in Kaluga und Nischni Nowgorod. Der VW-Export nach Russland ist gestoppt.

Vor allem die Energiekonzerne trifft es hart. Kurzfristig verfügt Europa nach Allianz-Research-Berechnungen über Gasreserven für etwa einen Monat, die dank des milden Winters bis Ende März reichen. Aber die EU müsse ihre Vorräte vor dem nächsten Winter wieder auffüllen. „Ein Wechsel der Lieferanten – der helfen könnte, weitere ein bis zwei Wochen zu überbrücken, – erfordert eine deutliche Steigerung der Importe aus anderen Ländern, eine Erhöhung des Angebots an anderen energetischen Ersatzstoffen und eine Verringerung der Gasnachfrage für Strom und Wärme“, sagt Allianz-Research-Ökonom Markus Zimmer.

In Deutschland hat Wintershall Dea seine Finanzierung für die Gazprom-Pipeline Nord Stream 2 von 1 Mrd. Euro vollständig abgeschrieben und erhält laut CEO Mario Mehren keinerlei Zahlungen mehr aus Russland. Die BASF-Tochter hält nur an den gemeinsam mit Gazprom betriebenen Gasnetzen und Gasfeldern in Deutschland und Russland fest. Ähnliche Schritte werden von den vier weiteren westlichen Nord-Stream-2-Finanziers Uniper, OMV, Shell und Engie erwartet. Der Börsenwert von Uniper hat sich seit Jahresbeginn halbiert auf 8 Mrd. Euro. Offen ist, ob Eon, Wintershall Dea, Engie und Gasunie an ihren direkten Beteiligungen an Nord Stream 1 festhalten.

Aktien rutschen ab

Belastungen aus dem finanziellen Engagement in Nord Stream 2 drückten die Aktien von Engie seit Beginn der Invasion um fast 19%. Der Konzern beziffert sein Kreditrisiko aus dem Pipelineprojekt auf bis zu 1,1 Mrd. Dollar. Auch der finnische Uniper-Mutterkonzern Fortum ist be­troffen. Seit Kriegsbeginn haben die Aktien 17% verloren. CEO Markus Rauramo will alle neuen Investitionsprojekte in Russland stoppen.

Russlands größter ausländischer Investor BP machte am Sonntag den Auftakt für den Exodus und will sich von der 20-prozentigen Beteiligung am staatlichen Ölkonzern Rosneft trennen – was Russland wiederum verbieten will. Der Schritt könnte für BP eine Abschreibung in Höhe von 25 Mrd. Dollar nach sich ziehen und die Öl- und Gasproduktion um ein Drittel reduzieren. Das britische Un­ternehmen überlegt, ob es den Anteil an Rosneft zurückverkaufen soll.

Shell folgte am Montag. Unter Berufung auf Russlands „Akt der militärischen Aggression“ beendet der Konzern seine Partnerschaften mit Gazprom, einschließlich der Flüssiggasanlage Sachalin-2 und der Finanzierung für das Pipelineprojekt Nord Stream 2, das Deutschland letzte Woche blockiert hat. Beide Projekte haben für Shell einen Wert von addiert 3 Mrd. Dollar. Der britische Wirtschaftsminister Kwasi Kwarteng traf sich mit Shell-CEO Ben van Beurden und twitterte anschließend: „Shell hat die richtige Entscheidung getroffen. Es gibt jetzt einen starken moralischen Imperativ für britische Unternehmen, Russland zu isolieren. Diese Invasion muss ein strategischer Fehlschlag für Putin sein.“

Auch Norwegens Staatskonzern Equinor zieht sich aus Joint Ventures in Russland im Wert von 1,2 Mrd. Dollar zurück. „In der gegenwärtigen Situation betrachten wir unsere Position als unhaltbar“, sagte CEO Anders Opedal. ExxonMobil schloss sich dem Exodus am Dienstag an. Man werde die Sachalin-1-Aktivitäten in Russland „einstellen“. Auch die französische Total Energies, die an großen Flüssiggasprojekten in Russland beteiligt ist, stellt dort kein Kapital mehr für neue Erschließungen bereit – ein Zugeständnis an den wachsenden politischen Druck.

Es werden weitere Ausstiegsankündigungen erwartet. Als die Sowjetunion zerfiel, sahen ausländische Unternehmen noch enorme Chancen in dem riesigen neuen Markt mit Millionen von Verbrauchern sowie Mineralien und Öl – und strömten herbei, um russische Firmen zu kaufen oder mit ihnen zusammenzuarbeiten. Mit dem Krieg ist der Trend zum Stillstand gekommen. Norwegens Staatsfonds, der größte der Welt, friert russische Vermögenswerte von etwa 2,8 Mrd. Dollar ein und will bis zum 15. März einen Plan für den Ausstieg vorlegen.

Auch große Anwaltskanzleien und Wirtschaftsprüfer sehen sich mit enormen Auswirkungen konfrontiert. So bricht die US-Kanzlei Baker McKenzie die Beziehungen zu mehreren russischen Kunden ab, um den Sanktionen nachzukommen. Dazu gehören das russische Finanzministerium und VTB, die zweitgrößte Bank Russlands. Man überprüfe die Aktivitäten in Russland. „Wir äußern uns nicht zu den Details spezifischer Kundenbeziehungen, aber in einigen Fällen wird dies bedeuten, dass wir die Beziehungen komplett beenden“, sagte ein Sprecher Bloomberg. Auch die Londoner Anwaltskanzlei Linklaters überprüft „die gesamte russlandbezogene Arbeit der Kanzlei“, die Unternehmensberatung KPMG beendet die Beziehung zu bestimmten von Sanktionen betroffenen Kunden.

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