Unternehmen ringen um Investitionsfinanzierung
Von Sabine Reifenberger, Frankfurt
Rohstoffe, Materialien, Energie – die hohe Inflation und die teils drastischen Preissteigerungen sind für viele Unternehmen eine immense Belastung. Das hat Folgen: Wie der Bundesverband der Deutschen Industrie kürzlich in einer Umfrage herausgefunden hat, stellen mehr als 40% der Mittelständler wegen der gestiegenen Preise ihre Investitionen in die ökologische und die digitale Transformation zurück (vgl. BZ vom 7. September). Den Geschäftsbetrieb aufrechterhalten und parallel noch in längerfristige strategische Projekte investieren, das können viele Unternehmen derzeit finanziell nicht stemmen. „Die Transformationsreserven sind aufgebraucht“, beobachtet Georgiy Michailov, Managing Partner bei Struktur Management Partner. Die Unternehmensführung fokussiere sich in einer solchen Phase auf die dringlichste Aufgabe – das Überleben des Betriebs zu sichern.
Mehrjähriger Prozess
Für eine gewisse Zeit könne es durchaus funktionieren, Investitionen hintanzustellen, sagt der Restrukturierer: „Eine Transformation ist selten akut, sondern meist ein mehrjähriger Prozess.“ Allerdings kann nicht jeder Marktteilnehmer die Pause-Taste drücken, ohne den Anschluss zu verlieren. Michailov empfiehlt einen Test, um die eigene Position und Zukunftsfähigkeit einzuschätzen: „Die Fähigkeit, Preiserhöhungen weiterzugeben, ist ein aufschlussreicher Hinweis.“ Dies gelinge nur Unternehmen, deren Angebote in den Augen der Kunden einen Mehrwert liefern.
Kunden wollen Mehrwert
Wer aus Sicht der Kunden austauschbare Waren oder Dienstleistungen anbietet und sich nur über den Preis absetzt, kann steigende Kosten nicht durchreichen. „Wenn dies der Fall ist, sollte die Unternehmensführung die Transformation des Geschäftsmodells dringend priorisieren“, sagt Michailov. Dazu gehört seiner Erfahrung nach auch, Angebote konsequent einzustellen, wenn sie aus Kundensicht keinen Mehrwert bringen: „Viele Unternehmen tendieren im Umbruchphasen dazu, immer mehr zu machen. Statt mehr Themen und mehr Projekte zu verfolgen, braucht es aber häufig eher weniger Strukturen, weniger Komplexität und mehr Fokus, damit Investitionen sich auch bezahlt machen.“
Diskussion um Insolvenzen
Die neu entfachte Diskussion um eine weitere Aussetzung der Insolvenzantragspflicht, die kürzlich von der SPD angestoßen wurde, sieht Michailov kritisch. „Ich finde es schwierig, wenn Marktmechanismen ausgeschaltet werden und die Politik starken Anteil an der Entscheidung darüber hat, welches Unternehmen überlebt.“ Eine kleinere Anpassung gab es bereits: Bei der Prüfung auf Überschuldung muss vorübergehend nur ein viermonatiger Prognosezeitraum zugrunde gelegt werden, üblich ist sonst ein zwölfmonatiger Prognosezeitraum. Michailov erwartet dadurch aber keinen großen Effekt. „Der Großteil der Insolvenzanträge wird aufgrund von Zahlungsunfähigkeit gestellt. Der Insolvenzgrund der Überschuldung spielt in der Praxis eine untergeordnete Rolle.“ Ob die seit langem andiskutierte, bislang jedoch ausgebliebene Insolvenzwelle nun wirklich anrollt, dürfte stark davon abhängen, in welchem Umfang Unternehmen in der nächsten Zeit auf staatliche Hilfen zugreifen können. Die Corona-Pandemie hat so mancher Betrieb nur dank großzügiger Finanzspritzen überstanden.
Doppelt gefährdet
Diese Unternehmen sind nun doppelt gefährdet: „Sie kamen mit einem Investitionsrückstau aus der Pandemie, und nun müssen sie zunächst die steigenden Kosten in den Griff bekommen“, bilanziert Michailov. „Wenn der Staat sich mit erneuten Hilfsprogrammen zurückhält, werden wir in den Insolvenzzahlen bald Nachholeffekte aus den vergangenen Jahren sehen“, ergänzt der Restrukturierungsexperte.
Für die Branche der Restrukturierer verspricht das ein ordentliches Geschäft – doch auch an dieser Stelle schlägt der Fachkräftemangel hierzulande durch. Erfahrene Restrukturierungsberater sind gesucht, und auch der Nachwuchs ist rar gesät. Viele Banken haben zudem in den vergangenen Jahren das Personal in ihren Workout-Units reduziert. Für Unternehmen, die in Schieflage geraten, ist das eine schlechte Nachricht, unterstreicht Michailov: „Wenn es an Personal fehlt, lautet die schnelle Lösung oft Insolvenz.“