Visionär Musk
Von Heidi Rohde, Frankfurt
Wer Visionen hat, soll bekanntlich zum Arzt gehen. Für Elon Musk, dessen visionäre Ideen nicht nur in der Automobilität ebenso bahnbrechende wie umstürzende Wirkung entfaltet haben, empfehlen inzwischen wahrscheinlich nicht wenige Stakeholder am Kapitalmarkt eine stationäre Dauerbehandlung in der Abteilung für Wahnsinnsbekämpfung. Der umtriebige Milliardär, dem kaum eine Idee zu abwegig erscheint, um sie nicht zumindest einmal öffentlich in den Mund zu nehmen, hatte schon vor Bekanntgabe seiner Übernahmepläne für Twitter wiederholt erkennen lassen, dass er das soziale Netzwerk als eigene Spielwiese betrachtet, auf der er auch die Regeln selbst macht oder doch jedenfalls viele, die seinen Mitteilungs- und Tatendrang bremsen könnten, außer Acht lässt.
Kurz vor dem Vollzug des 44-Mrd.-Dollar-Deals kommen einmal mehr „elektrisierende“ Ideen von Musk, die Twitter betreffen, an die Öffentlichkeit – pikanterweise durch ein Medium, das seit 2013 selbst in der Hand eines Selfmade-Milliardärs ist und dabei journalistische Qualität und Unabhängigkeit gewahrt hat. Die „Washington Post“, die sich Amazon-Gründer Jeff Bezos einverleibt hat, berichtet über einen von Musk bei Twitter vorgesehenen gigantischen Stellenkahlschlag, der 75% der Beschäftigten treffen soll. Musk soll dies vor Investoren gesagt haben, verbunden mit der „Vision“ einer Umsatzverdopplung bei Twitter binnen drei Jahren.
Während das Management des sozialen Netzwerks versucht, die schockierte Belegschaft zu beruhigen, fällt es auch Investoren bei Musks Äußerungen schwer, Dichtung und Wahrheit einzuschätzen und sinnvolle Schlüsse daraus zu ziehen. Jedenfalls zeigt sich die Beunruhigung angesichts solcher Planspiele in einem Kursrückgang von rund 5%, wo doch Stellenabbau an der Börse sonst oft als willkommene Sparmaßnahme gefeiert wird.
Indes schwant den Anlegern, dass diese Dimension vermutlich kein Grund zum Feiern ist, zumal sie nicht sicher sein können, ob nicht doch mehr dahintersteckt als markige Worte. Der Vollblutunternehmer hat schließlich mehrfach gezeigt, dass er vor keiner Klientel Respekt hat, seien es Kapitalmarkt, Behörden oder Mitarbeiter. Seine achtlosen Äußerungen, mit denen er einst laut überlegte, Tesla von der Börse zu nehmen, und die Schockwellen unter den Anlegern sind gut in Erinnerung. Ähnliche Tumulte provozierte er mit dem öffentlichen Spektakel, das die Twitter-Übernahme begleitet hat. Nicht zuletzt setzt er sich regelmäßig rigoros über behördliche Schranken hinweg, wenn ihm die Genehmigungen für eine Fabrik zu lange dauern oder Corona-Schutzmaßnahmen seine geschäftlichen Ziele gefährden. Mit Vollgas als Leitmotiv hat Musk die Investoren oft beeindruckt, aber es scheint an der Zeit, auch mal auf die Bremse zu treten.