CFO-InterviewSabine Nitzsche, Vitesco Technologies

"Vitesco ist immer noch eine Art großes Start-up"

Vor der Fusion mit Schaeffler erklärt Sabine Nitzsche, die Finanzchefin des Automobilzulieferers Vitesco Technologies, worin sich beide Firmen unterscheiden und warum flache Hierarchien wichtig sind.

"Vitesco ist immer noch eine Art großes Start-up"

Im Interview: Sabine Nitzsche

"Vitesco ist immer noch eine Art großes Start-up"

Vor der Fusion mit Schaeffler erklärt die Finanzchefin des Autozulieferers, worin sich beide Firmen unterscheiden und warum flache Hierarchien wichtig sind

Bis Ende dieses Jahres will Schaeffler die Übernahme von Vitesco Technologies abschließen. Vitesco-CFO Sabine Nitzsche erkennt große Vorteile in der Fusion. Über die künftigen Strukturen des gemeinsamen Unternehmens wird beraten. Wegen der Unterschiede ist das nicht ganz einfach.

Frau Nitzsche, Sie kamen Anfang Oktober des vergangenen Jahres zu Vitesco Technologies und nur wenige Tage später gab Schaeffler die Absicht bekannt, das Unternehmen zu übernehmen. Das hatten Sie sich bestimmt anders vorgestellt.

Das stimmt. Mit so etwas, einem Eigentümerwechsel, hatte ich natürlich nicht gerechnet. Da war ich erstmal baff. Der 4. Oktober war mein erster offizieller Office-Tag und fünf Tage später dann diese unerwartete Wendung. Da hatte ich noch nicht einmal als CFO begonnen. Die Nachfolge von Werner Volz übernahm ich offiziell erst zum 1. November.  

Wissen Sie schon, was die angestrebte Übernahme für Ihren Karriereweg bedeutet? Der Vertrag des Finanzvorstands von Schaeffler, Claus Bauer, hat noch eine Laufzeit bis Ende August 2025.

Darüber sind wir im Gespräch. Ich konzentriere mich jetzt erst einmal ganz darauf, den Zusammenschluss gut zu begleiten und unsere Unternehmenskultur bestmöglich einzubringen.

Was sind aus Ihrer Sicht die entscheidenden Vorteile dieser Fusion?

Das gemeinsame Unternehmen wird eine Größe haben, die mit Konzernen wie Bosch oder ZF vergleichbar ist. Wir verfügen dann über eine größere Finanzbasis, eine noch größere finanzielle Stabilität und Marktdominanz. Wir werden mehr aus einer Hand liefern können. Und dank der Diversifizierung des kombinierten Unternehmens lassen sich Marktschwankungen besser ausgleichen.

BZ: Und gemeinsam haben die Unternehmen eine größere Einkaufsmacht.

Definitiv! Das gehört zu den Synergien, die Schaeffler auf circa 600 Mill. Euro beziffert.

Jede Fusion hat allerdings auch Risiken. Welche gibt es da aus Ihrer Sicht?

Auch wenn die Chancen hier deutlich überwiegen, müssen wir sicherstellen, dass die Integration in den Schaeffler-Konzern nicht alles überlagert. Priorität hat weiterhin unser Geschäft: dass in den kommenden Monaten die Fertigung von rund 75 neuen Produkten hochläuft und dass wir unser Kundenversprechen halten, große Stückzahlen zu liefern. 2024 ist auch deshalb ein ganz wichtiges Jahr – nicht nur für Vitesco selbst, sondern auch für die Elektromobilität als Geschäftsfeld im neuen gemeinsamen Unternehmen mit Schaeffler.     

Sie haben die Unternehmenskultur von Vitesco erwähnt, die Sie bewahren wollen. Die Unterschiede sind offensichtlich: Da das sehr traditionsbewusste Familienunternehmen Schaeffler, dort Vitesco, erst seit 2019 nach der Abspaltung von Continental eigenständig. Auf was wollen Sie besonders achten?

Vitesco ist immer noch eine Art großes Start-up. Das macht das Unternehmen für mich so sympathisch. Nach der Abspaltung von Continental konnte sich die Firma so richtig freischwimmen. Vitesco ist wenig hierarchisch organisiert. Das kenne ich auch von meinen Stationen in der Halbleiterindustrie. Für mich ist das eine ganz zentrale Voraussetzung, um schnell entscheiden zu können. Der Vorstand hat natürlich die Fäden in der Hand, vertraut aber auch dem gesamten Management und gibt einen Teil der Verantwortung ab.    

Was erwarten Sie im fusionierten Unternehmen?

Die Philosophie beider Unternehmen ist etwas unterschiedlich. Vitesco hat eine zweidimensionale Struktur. Es gibt die funktionalen Ebenen und die Divisionen, also die Geschäftsebene. Schaeffler hat eine Struktur mit drei Dimensionen. Neben den Funktionen und Divisionen stehen – als dritte Dimension – die Regionen. Das macht die Sache erst einmal komplexer, aber ich bin sehr zuversichtlich, dass wir zu einer guten Lösung finden können und gemeinsam stärker denn je sein werden.

Welche Erfahrungen haben Sie bisher mit diesen Strukturen gemacht?

In den USA, wo ich viele Jahre gearbeitet habe, ist die zweidimensionale Struktur selbstverständlich. Damit habe auch ich bisher sehr gute Erfahrungen gemacht. Denn damit steht ganz klar das Geschäft an erster Stelle.

Im Fall von Schaeffler kommt, wenn man so will, noch eine weitere Perspektive dazu: Die Familie spielt eine wichtige Rolle und stellt darüber hinaus den Aufsichtsratsvorsitzenden.

Schaeffler ist schließlich auch ein Familienunternehmen. Über die künftigen Strukturen eines fusionierten Unternehmens beraten wir gerade in unserem gemeinsamen Integrationskomitee.

Zum Geschäft von Vitesco: Der Umsatz im vergangenen Jahr lag nach den vorläufigen Zahlen mit 9,23 Mrd. Euro am unteren Rand der Zielspanne. Spiegelt sich darin eine Abschwächung des globalen Automarkts wider? 

Nein. Die Prognosen für die globale Fahrzeugproduktion in diesem Jahr deuten eine stabile Entwicklung an. Für die batterieelektrischen Fahrzeuge, die BEVs, zeichnet sich sogar weiteres Wachstum ab.  

Und der Rückgang des Auftragseingangs um 2 Mrd. auf 12 Mrd. Euro: Ist das ein Indiz für eine geringere Nachfrage?

Wie schon erwähnt: Allein 2024 werden wir rund 75 Produktionshochläufe erleben. Das hatten wir so noch nie und gibt uns allen Grund zur Zuversicht. 

Nimmt der Preisdruck von der Seite Ihrer Kunden zu, weil sich die Nachfrage abschwächt?

Wir wollen an den Preisen festhalten, die wir verhandelt haben. Auch wenn der Druck steigen sollte.

Die Aufträge von Vitesco im Segment Elektrifizierung sind im vergangenen Jahr von 10,4 Mrd. auf 8,3 Mrd. Euro gesunken. Woran liegt das?

Vor dem Hintergrund der zahlreichen neuen Produkte, die wir gerade an den Start bringen, haben wir uns zuletzt ganz bewusst etwas zurückgehalten bei der Neuakquise. Jetzt gilt es erstmal, unseren Kunden zu zeigen, dass wir auch liefern können. Dann kommen auch die Zweit- und Drittaufträge. Zudem wollen wir in China mehr Aufträge gewinnen.

Von den chinesischen Autoherstellern?

Ja, vor allem von den Produzenten batterieelektrischer Fahrzeuge. China ist ein klarer Fokus für uns. Wir wollen dort noch deutlich präsenter werden.

Wie wollen Sie dieses Ziel erreichen?  

Wir haben schon ein großes Team in China und mehrere Entwicklungszentren. Jetzt wollen wir dort mehr Aufgaben in die Hand der chinesischen Kollegen geben. Allein schon wegen der Sprache, aber auch, um dort im Markt schneller agieren zu können. Die neuen Spieler unter den Produzenten kommen ja nicht nur aus der Automobilindustrie, sondern viele aus der Hightech-Industrie.

Was bedeutet das für Vitesco?

Hightech-Unternehmen haben kürzere Produktzyklen, probieren schneller neue Ideen aus. Das geht zack, zack. Neue
Modelle schießen wie Pilze aus dem Boden. Dagegen geht es im traditionellen Automobilgeschäft vor allem um Per-
fektion mit höchster Qualität und Sicherheit. Und die Zyklen sind wesentlich
länger.

Kann Vitesco mit dem höheren Tempo der neuen Spieler mithalten?

Das müssen wir. Wir müssen Lösungen anbieten, die das sicherstellen. Wir haben den großen Vorteil, dass wir unsere Entwicklung in Richtung Plattformen verändert haben. Wir müssen also nicht mehr für jeden Kunden alles neu entwickeln. Die Plattformen ermöglichen mehr Tempo – bei gleichbleibend hohem Qualitätsanspruch – und machen unser Geschäft skalierbar.   

BZ: Wie viel Umsatz macht Vitesco mit chinesischen Kunden?

In Asien erzielen wir etwa ein Drittel des Umsatzes. Die Zahlen für einzelne Länder nennen wir nicht. 

Das bereinigte operative Konzernergebnis übertraf 2023 nach vorläufigen Zahlen mit 314 Mill. Euro die Erwartungen, ebenso die bereinigte Ebit-Marge mit 3,7 %. Und das, obwohl der Umsatz am unteren Ende der Zielspanne lag. Wie ist Vitesco das gelungen? 

Ganz klar: Die Erhöhungen der Kosten und Preise haben zusammengepasst.

Ihr Ziel war, etwa 80% der höheren Kosten an die Kunden weiterzugeben. Ist das aufgegangen?

Ja, das ist uns gelungen. Wobei es aber noch einen anderen wesentlichen Grund für das gute Ergebnis gibt.

Welchen?  

Wir haben die Sparten, die nicht zum Kerngeschäft gehören, deutlich heruntergefahren. Zudem arbeiten wir weiter daran, unsere Kosten zu senken. Mit dem wachsenden Produktionsvolumen gelingt uns das auch immer besser. Die Skalierbarkeit ist für uns ein ganz wichtiger Hebel.   

Im Elektrifizierungsgeschäft streben Sie für dieses Jahr die Gewinnschwelle an – bezogen auf das bereinigte Ebit: Ist das trotz des abgeschwächten Marktwachstums zu schaffen?

Wir halten ganz klar an diesem Ziel fest. Das ist eines unserer drei Fokusthemen für dieses Jahr.

Welche sind die anderen zwei? 

Die Profitabilität zu steigern und natürlich die erfolgreiche Integration in den Schaeffler-Konzern. Ich finde es sehr wichtig, wenige, aber klare Ziele zu setzen. Ich bin kein Freund von vielen Einzelzielen.

Ging das Ergebnis im vierten Quartal 2023 in der Elektrifizierungssparte schon in die richtige Richtung? In den ersten neun Monaten waren es noch minus 117,5 Mill. Euro.

Das vierte Quartal war ein sehr starkes. Mehr dazu wird am 14. März zu erfahren sein, wenn wir unser Jahresergebnis veröffentlichen.

Hat Vitesco hier die Gewinnschwelle im letzten Quartal also schon erreicht?

Die Antwort gibt es am 14. März.

Die größten deutschen Autozulieferer Bosch, ZF und Continental haben den Abbau von tausenden Arbeitsplätzen angekündigt. Wird Vitesco ebenfalls Stellen streichen?

Nein. Vitesco hat ja schon im Jahr 2019 bekannt gegeben, welche Standorte, die nicht zum Kerngeschäft gehören, heruntergefahren oder geschlossen werden. Fast alle dieser Schritte sind inzwischen umgesetzt. Zudem haben wir im Kerngeschäft neue Stellen geschaffen. 

BZ: Wie wird sich die Zahl Ihrer Beschäftigten in diesem Jahr entwickeln?

Sie wird weitgehend stabil bleiben.

Das Interview führte Joachim Herr.