IM GESPRÄCH: FRANK SCHULZ

"Völlig unrealistische Benchmarks"

Der Deutschland-Chef von ArcelorMittal warnt vor den Auswirkungen der EU-Klimapolitik auf Investitionen in der Stahlindustrie

"Völlig unrealistische Benchmarks"

Die deutsche Stahlbranche macht gegen die Verschärfung des europäischen Emissionshandels mobil. Nachdem die Branche im September mit Gewerkschaftern und der nordrhein-westfälischen Landesregierung vor Zusatzkosten durch die EU-Klimapolitik gewarnt hat, legt jetzt der Deutschland-Chef von ArcelorMittal, Frank Schulz, nach. Die EU-Pläne hätten Auswirkungen auf Investitionen und Beschäftigung, warnt er.Von Andreas Heitker, DüsseldorfDer Deutschland-Chef von ArcelorMittal, Frank Schulz, warnt vor unrealistischen Vorgaben der Europäischen Union in der künftigen Klimapolitik. Im Gespräch mit der Börsen-Zeitung verwies Schulz auf die Zielmarken für den CO2-Ausstoß, die die Stahlindustrie ab der kommenden Handelsperiode erfüllen soll. “Kein Stahlwerk weltweit wird in der Lage sein, diese Benchmarks zu erfüllen”, sagt er. In Deutschland werde der zusätzliche Zertifikatebedarf in der 2021 beginnenden Periode bis zur Hälfte des heute in der Stahlindustrie erwirtschafteten operativen Ergebnisses (Ebitda) aufzehren. “Dies hätte natürlich gravierende Auswirkungen auf Investitionen und Beschäftigung in den Unternehmen”, warnt Schulz. Rund 1 Mrd. Euro mehrDie Europäische Kommission hatte im Juli Pläne zur Reform des Emissionsrechtehandels veröffentlicht. Die Wirtschaftsvereinigung Stahl befürchtet ab der nächsten Handelsperiode jährliche Zusatzkosten für die Stahlkonzerne in Deutschland von 1 Mrd. Euro. ArcelorMittal wird nach Angaben von Schulz gleich zum Start der Periode 2021 in die Unterdeckung mit CO2-Zertifikaten kommen. “Wir rechnen damit, dass wir 2030 dann etwa 40 % zu wenig Zertifikate haben werden.” ArcelorMittal setzt nach den Worten von Schulz grundsätzlich auch in Zukunft auf Europa und den europäischen Markt. “Aber natürlich führt die Klimapolitik der EU auch dazu, dass Investitionen in Frage gestellt werden. Das gilt europaweit und damit natürlich auch für Deutschland.”ArcelorMittal hat mit 9 300 Beschäftigten im vergangenen Jahr einen Umsatz in Deutschland von rund 5,5 Mrd. Euro erzielt und kam operativ wieder zurück in die schwarzen Zahlen. Der Konzern will in diesem Jahr 88 Mill. Euro in Deutschland investieren, was bereits unter dem Schnitt der vergangenen fünf Jahre von 126 Mill. Euro liegt. Allerdings hatten in den vergangenen Jahren auch Großprojekte wie der Bau einer neuen Drahtstraße in Duisburg die Investitionssumme beeinflusst.Schulz schätzt eigentlich die Ziele, die sich die Juncker-Kommission mit der ausgerufenen Stärkung der Industriepolitik gesetzt hat. Die Ansätze beim Amtsantritt seien sehr gut gewesen, sagt er. “Die Realität in der Industriepolitik sieht aber mittlerweile anders aus. Wir würden uns mehr Realitätssinn in Brüssel wünschen.” Dazu gehört für den gebürtigen Eisenhüttenstädter unter anderem, dass den Branchenbesten keine untragbaren Zusatzkosten aus dem Zertifikatehandel aufgebürdet werden.Seit 1990 hat die deutsche Stahlindustrie ihre Emissionen um rund 20 % gesenkt, wie Schulz im Gespräch anmerkt. “Wir kommen in der klassischen Hochofentechnologie so langsam an die physikalischen Grenzen.” Die Branche arbeite zwar weiter an Prozessverbesserungen. Es gehe hier aber nur um wenige Prozentpunkte, mit denen die Emissionen eventuell noch gesenkt werden könnten. “Das ist weit entfernt von den Vorgaben, die wir aus Brüssel bekommen sollen.” China bereitet SorgenSchulz, der mit anderen führenden deutschen Stahlmanagern vor zwei Wochen auch schon bei Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel vorgesprochen hat, sieht ein wachsendes Verständnis für die Position der Stahlindustrie in der Politik. Er plädiert in diesem Zusammenhang auch darauf, nicht nur auf die Emissionen zu schauen, die bei der Stahlherstellung entstehen, sondern auch die Stahlverwendung und die langlebigen Produkte zu beachten.”Wenn man den Lebenszyklus des Stahls betrachtet, dann fällt die CO2-Bilanz der Branche ganz anders aus”, betont der ArcelorMittal-Mann. “Wir versuchen, die Emissionsbilanz insbesondere auch über innovative Stahlprodukte zu verbessern.” Hier geht es zum Beispiel darum, in der Automobilindustrie das Gewicht der Karosserien über neue Stahlprodukte zu senken und damit auch die Emissionen dieser Fahrzeuge. In knapp der Hälfte der in Europa produzierten Autos ist Stahl von ArcelorMittal enthalten.Für den Deutschland-Chef des Konzerns geht es beim Thema Klimapolitik vor allem auch um einen Kampf der Stahlindustrie um faire Wettbewerbsbedingungen. Das gelte auch im Wettbewerb der hiesigen Unternehmen mit China. Schulz verwies auf die stark zugenommenen Stahlimporte aus China. Dies sei auf “der Basis unfairer Handelspraktiken” geschehen, monierte er.Für bestimmte Produktgruppen liefen schon Antidumpingverfahren, und in der Branche werde überlegt, solche Verfahren auch noch für weitere Produktgruppen einzuleiten. “Das Preisdumping muss ein Ende haben. Deshalb sind wir auch besorgt, sollte China der Marktwirtschaftsstatus verliehen werden.”